Heute, am 6. Mai wird der Welttag der Orgel begangen (hier und hier). Und übermorgen, am 8. Mai jährt sich die Einweihung der „Franz-Liszt-Gedächtnisorgel“ in Herz-Jesu-Weimar zum zweiten Mal. Dieses schöne Zusammentreffen nimmt PuLa zum Anlaß, in einer kleinen Reihe von Beiträgen zu schauen, wie das denn anderswo so funktioniert, der Umgang mit einem bedeutenden Instrument im gemeindlichen Kirchenraum…
Die Denkmalschützer
Ein Sketch für drei Personen
(Wir befinden uns in dem beschaulichen Städtchen Wundersdorf im Oderbruch. Die katholische Pfarrkirche Maria Hilf!. Wie gewohnt will sich Corinna die Kirche aufsperren, um nach dem Rechten zu sehen und die Kollekte für die vielfältigen Aufgaben in der Großpfarrei nachzuzählen, als sie wie angewurzelt stehenbleibt: Die Kirche ist offen! Ohne ihre Erlaubnis! Wutschnaubend stürmt sie das Gebäude, um wiederum vor Schreck zu erstarren: Im Blick hat sie die Deckenlampen der Pfarrkirche: die zwölf Hängeleuchter mit je zehn blitzblanken Bommelbirnen. Auf einer hohen Leiter steht ein Arbeiter, offensichtlich im Begriff, diese Deckenbeleuchtung nach und nach abzuschrauben. Ein weiterer Arbeiter steht am Fuße der Leiter und assistiert seinem Kollegen.)
Corinna (im Befehlston): Was machen Sie hier?!
Der zweite Arbeiter: Det sehn Se doch. Wir schrauben de Lampen vonna Decke.
Corinna: Sofort hören Sie damit auf und verlassen das Gebäude! (Sie zeigt mit ausgestrecktem Arm den Mittelgang entlang in Richtung Hauptportal.)
Der erste Arbeiter (hebt vorsichtig die gerade entfernte Lampe aus ihrer Halterung und dreht sich gelassen nach dem Störenfried um): Mit wen ham wa denn die Ehre?
Corinna (barsch): Corinna Bischof. Ich bin hier der Herr im Haus!
(Die beiden Arbeiter prusten vor Lachen los. Der erste steigt vorsichtig von der meterhohen Leiter, reicht zwischendurch dem Unterstehenden die Lampe an und verrückt die Leiter unter die nächste Deckenleuchte. Während der zweite Arbeiter die Lampe in einer vorbereiteten, gepolsterten Kiste verstaut, steigt der erste Arbeiter wieder die Sprossen hinauf.)
Corinna (wütend): Runter da, hab ich gesagt! (Sie stürmt auf die Leiter zu, um daran zu rütteln. Gerade noch rechtzeitig kann der zweite Arbeiter ihr in den Arm fallen.)
Der zweite Arbeiter: Jetz hörn Se mir ma jut zu, Frollein Jungefrau! Wir ham hia im Ufftrach vonne obastn Denkmalbehörde de Lampen vonna Decke und de Taschenhaken vonne Bänke zu entfern’n. Und det wern wa ooch mach’n! Is schließlich nich Ihr Jebäude, hia!
Corinna: Aber selbstverständlich ist das mein Gebäude! Ich bin doch die Gemeinde!
Der erste Arbeiter (guckt schief von der Leiter): Wenn Sie imma so’n Ufftret’n haam, wundert mich det jar nich, det sons‘ keena mehr komm‘ will!
Corinna: So habe ich das nicht gemeint! Bei der Wahl zum Kirchenvorstand konnte ich 327 Stimmen sammeln – äh, auf mich vereinen. Von 5613 Leuten. Und jetzt raus! (Sie versucht wieder an der Leiter zu wackeln.)
Der zweite Arbeiter (fällt ihr in den Arm): Sagen Se ma: Wenn Sie hier de selbsternannte Nummer Eins sind, denn ham Sie doch selba de Denkmalbehörde uff den Zustand von dieset Jebäude hia uffmerksam jemacht!
Corinna: Selbstverständlich! Ohne mich geht hier gar nichts. Aber ich habe doch nicht angeordnet, die Lampen zu entfernen!
Der zweite Arbeiter: Nee, det nich. Aba Se ham sich bei de Denkmalbehörde über det Klangsejel von de Orjel beschwert, wat die Fachleute zum Stimm’n und Rejistrian brauchen.
Corinna: Das Klangsegel ist ja auch eine Zumutung! Gut, daß das sofort wieder weg kam!
Der zweite Arbeiter: Wenn hia wat ne Zumutung is, denn sind det die Taschenhaken, die irjendeena, der nischt von de Sache vasteht, nach de Renovierung hat anbring’n lass’n. Det war wohl Ihr Kirchenvorstand?
Corinna (verächtlich): Pff! Für solche Entscheidungen brauche ich doch nicht die Gremien! Das habe ich selbstverständlich allein entschieden. Die Haken sind funktional und bleiben dran! Und jetzt raus!
Der zweite Arbeiter (nimmt die nächste Lampe von seinem Kollegen entgegen): Die Haken komm’n ab und wern durch ne stiljerechte Serje asetzt. Da kriejen Se in den neesten Tag’n Bescheid von unsan Fachpersonal. (Er hilft seinem Kollegen, die Leiter zu verrücken.) Und mit de Lampen detselbe.
Corinna: Die Lampen sind funktional – das sieht doch schon gar keiner mehr!
Der zweite Arbeiter: Wenn hia wat funktional is von den neu einjebauten Sachen, denn is det det Klangsejel. Und det sieht schon jar keena, det hängt ja hinta de Leute über de Orjelempore.
Corinna: Eben! Und dort sehen es der Pfarrer und ich vom Altarraum aus, wenn wir unsern Dienst tun. Völlig unmöglich! Das Klangsegel verdeckt wertvolle bauliche Details, die unsere Kirche verschönern.
Der erste Arbeiter (grinst): Ick denke, Se möjen’s funktional … (Die beiden lachen.)
Corinna (eiskalt): [Es folgt eine längere Textpassage vulgärer Flüche und Beschimpfungen, die wir unseren Lesern nicht zumuten möchten.] So! Und jetzt verschwinden Sie, ich sag’s zum letzten Mal!
Der zweite Arbeiter (grinst): Na, denn ham wa ja jetz endlich unsre Ruhe! (Er nimmt die dritte Lampe entgegen und verstaut sie vorsichtig in der Kiste.)
Corinna: Wenn Sie hier die Lampen alle abschrauben, dann ist die Kirche ja dunkel!
Der erste Arbeiter: Denn stell’n Se ma hia nich immer so ville Lichter unta ‘n Scheffel, denn strahlt ihre Jemeinde ooch ohne Lampen.
Corinna (dreht sich um und schreit): Weihbischooooof! (Sie rauscht raus.)
Der zweite Arbeiter (blickt ihr schmunzelnd nach): Wie meene Kleene: Null Frustrationstoleranz!
ENDE
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Ob man sich eine so durchsetzungsfähige Denkmalspflege wohl auch in anderen Teilen Deutschlands vorstellen könnte? 😉
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[…] Frau Bischof hat alles versilbert! Denken Sie doch nur mal an den Pritschenwagen… Also – ich würde ihr […]
[…] so dringend benötigten Senf zum Anlaß dazugeben. Heute möchten wir Ihnen zunächst einmal den Sketch vom 6. Mai 2013 in Erinnerung rufen – ein Sketch, der die Widerstände gegen das von fachlicher Seite ergänzte […]
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