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Sketch des Monats… Der Auftrag

Ich habe eine heftige Abneigung gegen diese Kultur des Beleidigtseins. Offenbar reicht allein die Behauptung, man sei beleidigt, um sich ins Recht gesetzt zu sehen [,,,]

Salman Rushdie

 

Dieser Blog geht nicht ohne Sketche. PuLa ist nicht PuLa, ohne Wundersdorf, die Schafe und ohne unsere Freunde aus Qíjī cūn! Hinzu kommt, ihre schmerzhafte Suspendierung, bzw. Exilierung hatte nicht den erhofften (wenn auch nie erwarteten) Erfolg, so in Richtung auf die „Kultur des Beleidigtseins“. Ist nicht besser geworden.

Aber vor allen Dingen: Was sich so alles angesammelt hat in dem guten halben Jahr! Das Leben ist ja weitergegangen, da oben in Wundersdorf. Könnte also gut sein, es erscheinen in naher Zukunft mal ein paar Sketche außer der Reihe.

 


Der Auftrag

Ein Sketch für zwei Personen

 

(Berlin – Prenzlauer Berg, im Büro der Unternehmensberaterin Brigitte Thaler. Frau Thaler, eine sehr sorgfältig gekleidete und überaus gepflegte Dame mittleren Alters, sitzt hinter ihrem Schreibtisch und schaukelt ausgesprochen gutgelaunt in ihrem Chefsessel. Ihr gegenüber sitzt, ebenfalls entspannt zurückgelehnt, Martin Kellermann, ihr Mitarbeiter in der Auftragsakquise. Doch das Gespräch nimmt einen für beide Beteiligten unerwarteten Verlauf …)

Thaler: Hervorragend, lieber Herr Kellermann, ganz hervorragend!

Kellermann: Da hatte ich, mit Verlaub, einen guten Riecher…

Thaler: Den hatten Sie! Der kirchliche Bereich ist durch die Unternehmensberatung bei weitem noch nicht hinreichend erschlossen!

Kellermann: Man wähnt sich dort immer noch viel zu sehr im konkurrenzfreien Raum.

Thaler: Wo auch immer die Herren Geistlichen diese Einschätzung in den Jahrzehnten der Kirchenaustritte hernehmen mögen (beide lachen). Spaß beiseite, Kellermännchen, dieser Auftrag saniert unser Unternehmen auf Jahre! (Kellermann errötet ein wenig und wirft sich stolz in die Brust.)

Thaler (plötzlich ernst): Was freilich nichts anderes bedeutet, als daß ich Sie nicht weiter beschäftigen kann.

Kellermann (erschrocken auffahrend): Wie bitte?

Thaler (kühl): Sie müssen gehen. Ich habe die Personalabteilung angewiesen, Ihre Kündigung zum Quartalsende auszufertigen. (Sie klickert eine Kugelschreibermiene hin und her.)

Kellermann (völlig entsetzt und verständnislos): Aber … aber haben Sie nicht gerade meine Arbeit gelobt?

Thaler: Selbstverständlich habe ich das. Wir werden Ihnen auch das beste Zeugnis ausstellen, mit dem je ein Mitarbeiter unser Unternehmen verlassen hat. Aber einen Mitarbeiter in der Auftragsakquise brauche ich jetzt einfach nicht mehr.

Kellermann: Aber… das ist doch unmöglich…

Thaler: Herr Kellermann! Dem Lieben Gott ist nichts unmöglich (sie lacht schmutzig). Pfarrer Kneif und seine ‚Rechte Hand’ haben in den kommenden fünf Jahren volles Programm (triumphierend) und wir mit ihnen! Haben Sie die Terminplanung von Frau Hinterberger noch nicht eingesehen?

Kellermann (gedrückt): Die Detailplanung? Nein, die war mir noch nicht zugänglich.

Thaler (schiebt ihm einen Ordner hin und schlägt selber eine äußerlich identische Sammelmappe auf. Sie liest kursorisch, während beide zu blättern beginnen. Wieder wippend):

„Mediation in der katholischen Pfarrgemeinde Maria Hilf! in Wundersdorf/Oderbruch.

Sechs-Augen-Gespräche zwischen den Konfliktparteien.

Mittwoch, 2. Mai 2012, 10 Uhr

Frau Corinna Bischoff – Frau Herta Bierksch in Sachen Räumung der gemeindeeigenen Villa Köpenicker Damm 24 zwecks Umbau zur Kindertagesstätte; Mediation Brigitte Thaler.“

So. Dasselbe am Tag drauf mit dem Pfarrer, Anschlußgespräche, ein Termin mit einem Vertreter des bischöflichen Ordinariats. Da sind wir bei Mitte Mai, wenn wir Glück haben. Anschließend Familie Wagner, selber Konflikt, Räumung der Villa Köpenicker Damm 24.

Juni/ Juli volles Programm mit fast allen Mitarbeiterinnen des Altenheims der Gemeinde. Fühlen sich alle bevormundet, Klima stimmt überhaupt nicht mehr – Sommerpause – im September geht’s weiter (sie blättert): Bischoff – Thaler bzw. Kneif – Thaler und nacheinander Vertreter aus den Gemeindegremien (aufblickend) noch vor der nächsten Wahl, (wieder lesend) dann verschiedene Hauptamtliche der Gemeinde, dann haben wir Weihnachten (sie blättert einige Seiten weiter), 2013 Bischoff und Kneif sollen mit verschiedenen Mitarbeitern des bischöflichen Ordinariats in Sachen Kirchenrestaurierung reden, im Frühjahr 2013 Handwerksbetriebe und Architekten – Sommerpause – Herbst 2013 Bischoff – Thaler bzw. Kneif – Thaler und einige Mitarbeiter einer Orgelbaufirma, dann haben sie da einen Blogger aus der Gemeinde auf dem Kieker, der ist im November dran, wenn er kommt, aber das fällt gar nicht ins Gewicht, zeitlich gesehen, dann der Chefrestaurator der katholischen Kirche, Frau des Chefrestaurators – Weihnachten – 2014 Bischoff – Thaler bzw. Kneif – Thaler und Hochschulangestellte aus den Fachbereichen der Kirchenmusik – ehemalige Leiterin Jugendchor – ehemalige Leiterin Kinderchor – ehemalige Leiterin Malkurse – Sommerpause … in Sachen einer Auftragskomposition …

Kellermann (schlägt den Ordner zu und wirft ihn auf den Tisch, laut): Hören Sie auf! Das ist ja furchtbar!

Thaler (blickt auf): Das waren jetzt erst die, die überhaupt noch die katholische Kirche in Wundersdorf besuchen. Ab Herbst 2014 geht es mit denen weiter, die eigentlich nicht konvertieren möchten, aber keinen Ausweg mehr sehen, als in die evangelischen Gemeinden der Gegend auszuweichen. – Bischoff – Thaler – Frau M…

Kellermann (hält sich die Ohren zu): Hören Sie auf! Was hab ich da bloß angestoßen? (Er verbirgt sein Gesicht auf der Tischplatte in seinen verschränkten Armen.)

Thaler (beugt sich vor und legt ihre Hand auf einen Arm): Aber, aber, Herr Kellermann … Wer die Konflikte benennt, hat sie doch nicht geschaffen! Sie trifft keine Schuld!

Kellermann (schnieft): In welche Abgründe müssen wir blicken?!

Thaler (lehnt sich seufzend zurück, mütterlich): Wenn Konflikte über Jahre schwelen und man die Eskalation zuläßt, bis eine vermittelnde Konfliktbearbeitung nicht mehr möglich erscheint, dann dürfen wir nicht erwarten, daß das Problem mit ein-zwei Gesprächen vom Tisch ist und alle wieder fröhlich mittun.

Kellermann (steht auf und erhebt sich): Frau Thaler, darf ich um meine sofortige Beurlaubung bitten, noch vor dem Quartalsende? (Frau Thaler stutzt und sieht ihn fragend an.)

Kellermann (entschlossen): Ich möchte meinen Beruf an den Nagel hängen und einem Orden beitreten. Hier hilft nur noch beten!

Der junge Mann verläßt den Raum, Frau Thaler blickt ihm, halb vom Sitz erhoben, entgeistert nach.

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Bloß gut, daß sich bei uns in Weimar kaum einer solch eine Fülle an unbewältigten Konflikten  vorstellen kann!

 

 

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