Die Dienstleistung
Ein Sketch für zwei Personen
(Wundersdorf, in der Küche neben dem Pfarrbüro. Hochwürden Kneif sitzt, eine große weiße Serviette im Hemdkragen, mit Messer und Gabel bewaffnet am Tisch. Offenbar wartet er auf das Essen.)
Kneif (sieht zur Uhr): Schon 20 nach 12. – Ah! Endlich! (Er springt auf.)
Ein Mann mittleren Alters betritt nach kurzem Anklopfen mit einer großen grauen Styroporkiste auf der flachen Hand den Raum.
Der Caterer: Mahlzeit!
Kneif: Mahlzeit! Da sind Sie ja endlich! (Er will dem Mann die Warmhaltebox aus der Hand nehmen.)
Der Caterer (dreht die Box weg): Bevor ich Ihnen Ihr Essen gebe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie hiermit eine Dienstleistung in Anspruch nehmen. (Er blickt Hochwürden streng an.)
Kneif (maßlos verblüfft) : Wie – ja – aber – was?
Der Caterer: Ich empfinde meine Arbeit als Dienstleistung. (Er hebt das Wort durch Betonung besonders hervor.) Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß es keineswegs selbstverständlich ist, daß einem das Essen gebracht wird. Andere Leute kochen durchaus auch selbst.
Kneif (zornig): Jetzt hören Sie mal zu! Sie werden doch schließlich auch dafür bezahlt! Was glauben Sie, wie es anderen Menschen geht? In manchen Gegenden der Welt würden Sie dasselbe hier für freie Kost und Logis machen! (Er will ihm das Essen aus der Hand nehmen.)
Der Caterer: Wir sind hier aber in Deutschland und deshalb werde ich natürlich bezahlt und berechne täglich eine Anfahrtspauschale. Ich wollte Ihnen ja nur einmal ein wenig den Blick für all das schärfen, was Sie hier ständig in Anspruch nehmen. (Er stellt Kneif sein Essen hin.)
Kneif (öffnet die Box und entnimmt den Teller mit dem dampfenden Menü. Stinksauer): Da fahren Sie mir der Reklame auf dem Auto herum: „Kochen ist unsere Leidenschaft!“ und Ihren Kunden verderben Sie den Appetit!
Der Caterer: So schlimm wird es schon nicht sein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag – und, ach ja: mein Kind geht jetzt doch lieber in einer anderen Gemeinde zur Firmung, wo der Priester den Unterricht nicht als „Dienstleistung“ empfindet. (Er rauscht zur Tür hinaus.)
Kneif (blickt ihm ganz kurz nach, dann ruft er in den Nachbarraum): Frau Schramm! Das Kind von unserem Essenanbieter – wie heißen die Leute noch mal? Das können sie von der Liste streichen, geht nicht zur Firmung. Nur daß Sie Bescheid wissen. (Er beginnt zu essen.)
ENDE
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
Ja, so geht’s zu in Wundersdorf.
Aber andernorts gibt es sicher Priester, die die Kinder- und Jugendseelsorge in ihrer Pfarrei nicht als „Dienstleistung“ bezeichnen, sondern aus Leidenschaft Berufung leben und sich freuen, wenn sie von ihrem besonderen Wissen etwas an Kinder und Erwachsene weitergeben können.
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