Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit einem etwas lebensälteren (Jg. 1935) Gesprächspartner über einen kleinen Artikel, den R. Bingener, der Chef-Korrespondent der FAZ zu evangelischen Fragen, über „Petrus“, ja, den Hl. Apostel Petrus, geschrieben hatte. Der kam, wie es leider in ermüdender Regelmäßigkeit der Fall ist, wenn Protestanten über Petrus schreiben, nicht aus, ohne Petrus und Paulus gegeneinander auszuspielen (und, natürlich, den „profilierteren Theologen“ Paulus implizit für sich zu reklamieren) Das ist auch so ein Ökumene-Hindernis, über das niemand spricht, um nicht zu sagen, es ist schon ein Hindernis für einen wirklich höflichen Umgang miteinander, aber das soll heute das Thema nicht sein, zumal ich ansonsten durchaus schätze, was Bingener schreibt!
Auslöser des Gesprächs war ein Satz aus dem Artikelchen, der relativ häufig zitiert wird: „Jesus wollte das Reich Gottes – und gekommen ist die Kirche.“, der von dem „französischen Exegeten“ Alfred Loisy (1857 – 1940) stammt.
Und Alfred Loisy, so mein Gesprächspartner, „[…] sei ja nun kein Häretiker gewesen“
Dieser Satz erschüttert mich immer noch: O doch, Loisy war/ist ein Häretiker und was für einer!
Loisy war sozusagen der Erzvater des „Modernismus“ und wurde am 7. März 1908 förmlich exkommuniziert und zwar in der damals noch vorhandenen verschärften Kategorie des „vitandus“, als einer also, den Katholiken fortan zu meiden hatten. Ein Häretiker erster Klasse könnte man beinahe sagen 😉
Nun gäbe es hinsichtlich des genannten Satzes vielerlei zu sagen (vom „Modernismus“ als solchem mal ganz zu schweigen!), aber heute nur soviel: So, wie Loisy ihn offenbar meinte war er wohl durchaus (relativ) anerkennend gemeint, in dem Sinne: ‚Es kam immerhin die Kirche‘, sehr im Gegensatz zu seinem deutschen Kollegen, A. v. Harnack, der jeden geistlichen Sinn von Kirche leugnete. Es geschah wohl auch vor diesem Hintergrund, daß sogar Papst Benedikt den o.g. Satz (wenn auch natürlich nicht identifikatorisch zustimmend) in seinem ersten Jesus-Buch zitiert hat.
Allein, solche Differenzierungen sind interessant, aber Loisys weitere Entwicklung zeigt, wohin sein unbelehrbarer Weg gegen das Lehramt führte: Zu Ende seines Lebens leugnete er schließlich die Göttlichkeit Jesu und hielt die persönliche Inkarnation Gottes für einen „philosophischen Mythos“. Sehr traurig.
Aber traurig finde ich es eben auch, wieviel an falscher und ganz und gar fehlleitender Meinung zu solchen Persönlichkeiten und ihren Irrlehren so allgemein verbreitet scheint! Im Zweifelsfall ist einer eben immer „kein Häretiker“. Und wenn sich diese Feststellung partout nicht vermeiden läßt, dann findet man das im Zweifelsfall noch eher „schick“ und/oder muß es „aus der Zeit heraus verstehen“ (und natürlich gibt es dann auch bald Leute, die sich um das verschüttete Erbe solcher Leute bemühen, hier, z.B.). 🙁
Diese Wahrheitsverstellende, ja Wahrheit letztlich als Kategorie leugnende Haltung findet man nun nach meiner Beobachtung besonders häufig in etwa der angegebenen Alterskohorte (was ein wertneutraler demographischer Fachbegriff ist!), die naturgemäß das geistige Klima der Bundesrepublik (vor allem der alten, westlichen) ganz entscheidend geprägt hat und zum gut Teil immer noch prägt.
Es sind vor allem ältere (J. Ratzinger, R. Spaemann) und dann wieder deutlich jüngere Menschen, die sich von diesem klebrigen „anything goes, ist ja alles nicht so schlimm und vor allem gaaanz ‚spannend‘“ hat lösen, bzw. befreien können, obwohl diese Haltung eigentlich schon vor über 80 Jahren von G.K. Chesterton so unnachahmlich wie gründlich lächerlich gemacht und entlarvt worden ist, daß man sich immer wieder wundert, warum es nicht schon längst jedermann verstanden hat (Heretics, 1905, Text hier)
Ob das wirklich eine gute Idee war, die Unterscheidung zwischen Häretikern der Kategorie toleratus (ein tolerierter) und vitandus (ein zu meidender) im Kirchenrecht von 1983 aufzuheben? Mal ganz zu schweigen davon, daß ich außerhalb Roms überhaupt noch niemanden aus der kirchlichen Hierarchie laut und deutlich: ‚Häretiker‘ habe sagen hören…
Als kleines Schmankerl zum versöhnlichen Abschluß hier ein Abschnitt aus der Einleitung zu Chestertons „Heretics“ (wie immer in eigener Übertragung); er ist der Meister!
Suppose that a great commotion arises in the street about something, let us say a lamp-post, which many influential persons desire to pull down.
A grey-clad monk, who is the spirit of the Middle Ages, is approached upon the matter, and begins to say, in the arid manner of the Schoolmen, „Let us first of all consider, my brethren, the value of Light. If Light be in itself good—“
At this point he is somewhat excusably knocked down. All the people make a rush for the lamp-post, the lamp-post is down in ten minutes, and they go about congratulating each other on their unmediaeval practicality.
But as things go on they do not work out so easily. Some people have pulled the lamp-post down because they wanted the electric light; some because they wanted old iron; some because they wanted darkness, because their deeds were evil.
Some thought it not enough of a lamp-post, some too much; some acted because they wanted to smash municipal machinery; some because they wanted to smash something.
And there is war in the night, no man knowing whom he strikes. So, gradually and inevitably, to-day, to-morrow, or the next day, there comes back the conviction that the monk was right after all, and that all depends on what is the philosophy of Light.
Only what we might have discussed under the gas-lamp, we now must discuss in the dark.
[Nehmen wir an, auf der Straße entstünde eine große Aufregung über irgend etwas, sagen wir einen Laternenpfahl, den viele einflußreiche Persönlichkeiten niederzureißen wünschen.
Man wendet sich an einen in grau gewandeten Mönch, den Geist des Mittelalters, der in der trockenen Art der Scholastiker anhebt zu sagen:
„Laßt uns, Brüder, zuerst den Wert des Lichts bedenken. Wenn Licht in sich selbst gut wäre…“
An diesem Punkt wird er, irgendwie entschuldbar, niedergeschlagen. Die vielen Menschen stürmen los auf den Laternenpfahl, und der Laternenpfahl liegt innerhalb von 10 Minuten am Boden, und die Leute gehen umher und beglückwünschen sich gegenseitig zu ihrem unmittelalterlichen Pragmatismus.
Aber so wie die Dinge sich weiter entwickeln, funktioniert alles nicht so gut. Einige Leute haben den Laternenpfahl umgestürzt, weil sie das elektrische Licht wollten, einige, weil sie altes Eisen wollten, einige, weil sie Dunkelheit wollten, denn ihre Werke waren böse.
Einige dachten, dem Laternenpfahl habe es an etwas gemangelt, andere, es sei zuviel an Laternenpfahl gewesen, einige handelten, weil sie kommunales Gerät zerschlagen wollten, andere, weil sie irgend etwas zerschlagen wollten.
Und so gibt es einen Krieg in der Nacht und kein Mensch weiß, auf wen er einschlägt. So, allmählich und unweigerlich, heute, morgen, oder am Tag darauf, kehrt die Überzeugung zurück, daß der Mönch immer schon recht hatte, und daß alles davon abhängt, was die Philosophie des Lichts ist.
Nur daß wir, was wir im Licht der Gaslampe hätten besprechen können, nun im Dunkeln diskutieren müssen.]
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