Der Mond taucht die Dächer von Wundersdorf in sein weißliches Licht und in der lauen Sommernacht umspielen sanft schmeichelnde Lüftchen die Wipfel der märkischen Kiefern. Zwei tagsüber getigerte, jetzt natürlich graue Katzen patrouillieren auf Samtpfoten durch die Straßen der kleinen Stadt.
Es ist vollkommen still.
Die Frage, ob es unter den Dächern auch so friedlich ist, haben wir ja bereits gestellt (hier). Stellen wir sie noch einmal.
Der Zettel
Ein Sketch für vier Personen und viele, viele Statisten
Wundersdorf im Oderbruch. Im Pfarrhaus der katholischen Gemeinde Maria Hilf!
Der Pfarrgemeinderat hat sich zu einer Sommersitzung zusammengefunden. Alle sind da. Nur der Stuhl neben dem Herrn Vorsitzenden ist leer: Corinna, ihres Zeichens Vertreterin des Kirchenvorstands im Pfarrgemeinderat und doch (un)heimliche Leiterin auch jeder PGR-Sitzung, ist schon in Urlaub gefahren. Der PGR ist quasi herrenlos!
Da sich die Aussicht auf ein corinnafreies Treffen wie ein Lauffeuer in der Gemeinde herumgesprochen hatte, sind diesmal viele, viele Gemeindemitglieder als Gäste zur Sitzung erschienen und harren nun interessiert und voller Tatendrang der Dinge, die da kommen sollen.
Die Sitzung plätschert mit dem Bericht über die Einnahmen des Gemeindefestes, der Frage nach einem ansprechender gestalteten Schaukasten und einem neuen Fahrradständer, der irgendwann auch mal geschickter zu plazieren wäre, so vor sich hin, als der Herr Vorsitzende ein loses DIN A4 Blatt aus seinen Unterlagen zieht.
Der Herr Vorsitzende: Dann habe ich in meinem Fach noch einen Zettel gefunden, ich lese mal vor: (schnodderig und nuschelnd) Die „Gemeindeleitung“ hat beschlossen, daß der Schlüssel zur Orgelempore vom Orgelprofessor und seinen Studierenden ab jetzt unbürokratisch im Pfarrbüro abgeholt werden kann. Genehmigungen zur Orgelnutzung, Orgelwartung und Orgelführung durch Professor Ehrlich werden kurzfristig erteilt. Wenn die Orgel frei ist, kann sie genutzt werden.
Es ist mucksmäuschenstill. Die Anwesenden glauben ihren Ohren nicht zu trauen. Dann schwillt ein Raunen an und die ersten Finger gehen in die Höhe.
Silke (wie immer die schnellste): Und ab wann soll das gelten? Ab sofort?
Der Herr Vorsitzende (dreht ein wenig unschlüssig das Blatt hin und her): Das gilt, also so wie ich das hier sehe, ist das – das tritt – nach meiner Kenntnis ist das sofort – (liest und nickt) „unverzüglich“.
Tumultuöses Treiben, Stühle fallen um, die Gäste stürmen aus der Sitzung, um die gute Nachricht so schnell wie möglich zu verbreiten. Im Vorbeilaufen drückt eine Frau dem völlig verdatterten Vorsitzenden einen Kuß auf die Wange.
***
Schweißnaß erwacht Corinna und setzt sich ruckartig im Bett auf. Nach einer Schrecksekunde blickt sie zur Uhr, springt aus dem Bett und läuft zum Telefon. Sie wählt die Nummer der Pfarrsekretärin. Nach langem Klingeln wird der Hörer abgenommen.
Frau Schramm (verschlafen): Hallo?
Corinna: Frau Schramm – ich bin‘s. Sagen Sie die PGR-Sitzung in den Ferien ab! Das hat überhaupt keinen Sinn.
Frau Schramm (immer noch verschlafen): Wie bitte?
Corinna: Sie sollen in die Vermeldungen schreiben, daß die PGR-Sitzung zu Ferienbeginn entfällt! Jetzt!
Frau Schramm: Ich – was? Moment … es ist halb drei.
Corinna: Ich weiß, daß es halb drei ist. Es duldet aber keinen Aufschub!
Frau Schramm: Die Vermeldungen sind fertig. Das geht nicht mehr.
Corinna (tobt): Dann machen Sie eben ein paar handschriftliche Aushänge!
Frau Schramm: Man könnte auch auf der Homepage …
Corinna (unterbricht sie): Ich fahre morgen in Urlaub. Da kann ich doch jetzt nichts mehr auf die Homepage stellen!
Frau Schramm: Und warum fällt es aus?
Corinna: Ohne mich ist die Runde gar nicht beschlußfähig.
Frau Schramm (erstaunt): Ach! Ist das so?
Corinna: Steht doch in der Satzung. Sie können wohl nicht lesen?
Frau Schramm (eingeschüchtert): Äh – Satzung? Habe ich nicht.
Corinna: Das ist auch schon besser so! Außerdem geht es einfach nicht – Schluß! Wenn ich nicht da bin! Da kann ja sonstwas passieren!
Cornelie Becker-Lamers
Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Und warum denke ich mitten im Sommer immer an den November? Warum nur? 😉
Und wenn wir auch nicht wissen, wie es im Erzbistum Berlin ist, im Bistum Erfurt sind Sitzungen des PGR ohne Vertreter(in) des Kirchenvorstands selbstverständlich sehr wohl beschlußfähig, denn diese(r) hat ohnehin bloß beratende Stimme (§ 4, Satz 2 und § 15, Abs. 1 PGR-Ordnung Bistum Erfurt) Merke: Wer sich von interessierter Seite erzählen läßt, was angeblich gilt, wird es nie zuverlässig wissen. Selber lesen macht klug.
Bloß gut, daß in Weimar natürlich alle Verantwortlichen die Gremiensatzungen besitzen, gelesen haben und befolgen…
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