Sketch des Monats September:
(Anm. der Redaktion: Die Tatsache, daß der Sektch sozusagen im Wortsinne ‚post festum‘ kommt, ist ausschließlich einer Erkrankung des Bloggers zuzuschreiben, der dafür um Nachsicht bittet)
Das Eigenhochfest
Ein Sketch für vier Personen
Wir befinden uns in der uns gut bekannten Gemeinde Maria Hilf! in Wundersdorf im Oderbruch. Wie wir wissen, begeht diese Gemeinde am Fest Mariä Namen ihr Patronats- und Gemeindefest. Edith kommt nach Hause und findet ihre beiden Töchter schwer beschäftigt am großen Eßtisch vor. Emily hat ein DIN A0-Blatt vor sich liegen und scheint ein Spielfeld zu entwerfen, während Teresa eifrig in einem großen bebilderten Buch blättert und sich Notizen macht.
Edith: Hallo ihr beiden! (Sie stellt eine volle Einkaufskiste ab und gibt jedem Kind einen Kuß auf die Haare.)
Teresa und Emily: Hallo, Mama!
Edith: Was treibt ihr denn da Schönes?
Emily: Vorbereitung fürs Gemeindefest.
Edith: Ah ja!
Teresa: Ich stelle in Hedwigs Leseecke ein Buch vor. (Sie klappt das Buch zu und zeigt ihrer Mutter das Titelbild) „Alles meins! Oder 10 Tricks, wie man alles kriegen kann.“
Edith (zweifelnd): Na weißt du … das willst du vorstellen?
Teresa: Na klar! Wo Rabe Socke jedem was weg nimmt, worauf er neidisch ist, und hinterher kann ihn niemand mehr leiden und Rabe Socke ist ganz allein mit all den Dingen und die andern spielen alle zusammen, nur ohne ihn, und da überlegt er sich, ob er die Sachen nicht doch lieber zurückgibt, weil er so einsam ist.
Edith: Ja! In der Literatur geht so was dann immer gut aus und die Menschen oder Raben kommen zur Einsicht.
Teresa: Genau! Aber vielleicht ist es ja bei uns in der Gemeinde auch irgendwann mal so.
Emily: Voraussetzung wäre natürlich, daß Corinna bei der Buchvorstellung auch zuhört und sich die Botschaft zu Herzen nimmt. (Sie malt.)
Edith: Emily! Wie kannst du denn so was sagen?
Emily: Na, auf wen paßt denn der Rabe Socke bei uns sonst?
Edith: Aber Corinna klaut doch nicht!
Emily: Nö, das wohl nicht. Aber es geht ihr immer nur um Sachen, die sie mit dem Geld der Gemeinde anschaffen will. Und wenn jemand anders zum Beispiel eine Orgel für alle baut, dann will sie am Schluß nicht, daß irgendwer drauf spielt, weil sie es nicht ertragen kann.
Teresa: Also: Sie gönnt keinem was.
Emily: Denk doch mal an die arme Frau Hartlieb, die ewig kein Gewand kriegte für ihren Dienst im Altarraum. Einfach nur so.
Teresa: Und jetzt kommt sie schon ganz lange nicht mehr zur Messe, sondern geht in den evangelischen Gottesdienst.
Emily: Oder wie geizig Corinna immer mit den Studenten war, die Orgel gespielt haben.
Teresa: Als wäre es ihr Geld.
Edith: Oh ja! Ich fürchte, das denkt Corinna wirklich …
Emily: Weißt du noch, wie uns mal aufgefallen ist, daß auf der homepage der Gemeinde in der Bildergalerie nur Sachen abgebildet waren – „unser neuer Altar“, „unser neuer Ambo“, „unsere neue Orgel“ – kein einziges Bild mit Leuten, die was machen, singen oder zusammensitzen oder ihre Handarbeiten für Haiti verkaufen.
Edith (nachdenklich): Jaja, ihr habt schon recht …
Teresa: Und wie Corinna Monis Malkurs abgeschafft hat, nachdem sie eine richtig erfolgreiche Ausstellung im Petershagener Gemeindehaus hatten? Bloß weil sie neidisch war, daß Moni mit dem Ikonen-Malkurs ab und zu in der Zeitung stand.
Edith: Hm!
Emily: Also, Mama: Man muß nicht gleich klauen, wenn man allen was wegnehmen will …
Teresa: … oder vorenthalten.
Edith: Na, dann stell mal dein Buch schön vor und wir hoffen, daß es was nützt. Und du, Emily, was machst du?
Emily (stolz): Ich habe ein Spiel erfunden. „Die Bockshornjagd“. Diese schwarze Figur hier ist Corinna …
Edith: Emily!
Emily (unbeirrt): … wieso – ist doch so! Diese schwarze Figur hier ist Corinna und steht auf dem Startfeld. So. (Sie schiebt ein schwarzes Plastikmännchen aus dem Mensch-ärger-dich-nicht-Spiel auf ein Quadrat ihres Spielfeldes.) Dort hinten ist das ‚Bockshorn‘, da muß noch diese Pappe hier drauf (sie hält eine zusammengedrehte Tüte aus dunkelbraunem Tonpapier in die Höhe), das wird plastisch, da kommt niemand wieder raus. Also dort ist das Bockshorn und da will Corinna alle andern reinjagen. (Sie verteilt sechs verschiedenfarbige Spielfiguren auf entsprechenden Feldern, die sie auf das Papier gemalt hat.) Manche stehen schon ganz nah dran, aber für manche ist der Weg ins Bockshorn auch ganz weit – für den Gelben da zum Beispiel …
Teresa: Das ist Papa!
Emily: Ruhe! Und es gibt eben auch Wege am Bockshorn vorbei. (Sie zeigt auf verschiedene Linien, die am andern Ende des Spielfeldes auf ein himmelblaues Quadrat führen.) Ziemlich viele sogar.
Edith: Dann kann man da ja einfach hinziehen!
Emily (schaut ihre Mutter strafend an): Mama! Man muß doch Karten ziehen. Nur das schwarze Männchen zieht automatisch in jeder Runde ein Feld vor. Das macht der Spielleiter.
Teresa: Das macht Silke, wir haben sie schon gefragt.
Emily: Genau. Also die Spielleiterin. Die andern würfeln. Je nachdem, auf was für ein Feld man kommt, muß man aus einem der beiden Stapel ziehen (Sie nimmt einen Stapel Karten in die Hand und blättert sie ein bißchen durch.) Hier zum Beispiel: „Das wird ein Nachspiel haben.“ Wenn man „Das wird ein Nachspiel haben“ zieht, muß man drei Felder in Richtung Bockshorn gehen.
Edith: Ui!
Emily: Ja! Oder hier: „Wenn Sie wüßten!“ – ein Feld Richtung Bockshorn. Wieviele Felder, sieht man an den Sternchen hier oben. Es gibt bis zu fünf.
Edith: Oh je! Und welche Karte ist das?
Emily (grinst): „Das kriegen wir an den Gremien nicht vorbei.“
Edith (bricht in schallendes Gelächter aus): Herrlich! Wunderbar! Hör mal, hast du schon „Dafür gibt es im Erzbistum Köln eine zweijährige Bußzeit!“, oder: „Wir wollen doch keine unbedarften Gemeindemitglieder verunsichern!“?
Emily: Nee, noch nicht, können wir aber auch nehmen, das ist gut! (Sie notiert sich die Sätze auf einem separaten Zettel.) Drei bis vier Sternchen, würde ich sagen.
Die Tür geht und Richard kommt nach Hause.
Richard: Haaaalloooo!
Die drei andern: Hallooooo!
Emily (ruft): Ich erklär Mama grad mein neues Spiel fürs Gemeindefest.
Richard (kommt ins Zimmer und zieht sich den Mantel aus): Sehr schön! Ach! Was können wir froh sein, daß wir diese Tradition und dieses Patronat haben, sonst würden sie uns Mariä Namen auch alle Nase lang streichen.
Die Kinder gucken Edith und Richard verdutzt an.
Edith: Mariä Namen ist von Papst Innocenz XI. 16 … keine Ahnung, 83 glaube ich für die ganze Kirche eingeführt worden, als Dank für die Befreiung Wiens …
Teresa: von wem?
Edith: von einer Belagerung …
Richard: … durch die Türken.
Teresa: Echt jetzt?
Edith: Ja. Das war damals so. Und auf dieses Dankfest geht unser Patronat „Maria Hilf“ zurück, das wir auf Mariä Namen feiern.
Richard: Genau! Und Mariä Namen würde wieder vollkommen unter den Teppich gekehrt, wie fast alle Marienfeste, die entweder auf einen Wochentag fallen und keiner in die Kirche kann. Dafür entfallen sie dann sonntags, wo die Leute vielleicht in die Kirche gehen und etwas mitkriegen würden …
Edith (fällt ihm ins Wort): … oder weil sie sogar vom Sonntag weggeschoben werden, wenn es mal zufällig hinkommt, wie Mariä Verkündigung …
Teresa: Schweinerei!
Edith: Oder von irgendwelchen DBK-Predigtvorschlägen zum Welttag des Friedens überlagert werden wie zu Neujahr, dem einzigen Marienfest, das zuverlässig auf einen Feiertag fällt.
Richard: Ja, aber so neu erfunden, daß es kaum jemandem bewußt ist.
Emily: Wie alt ist es denn?
Richard: Paarundvierzig Jahre, nach dem II. Vatikanischen Konzil.
Edith: Und dafür feiert man lauter altbewährte Marienfeste nicht mehr. Es ist eine Schande!
Richard: Wie ich eigentlich gerade sagen wollte: Es sei denn, man hat eine örtliche Tradition wie wir mit unserem schönen Gemeindefest auf Mariä Namen. Das nennt man dann ‚Eigenhochfest‘. Das kann so oft auf einen Sonntag fallen, wie es will, wir werden es immer feiern und eine schöne Prozession durch den Ort machen …
Teresa: … und Kuchen backen!
Emily: Apropos Kuchen! Ich hab‘ eigentlich Hunger!
Edith: Gut so! Der Papst hat neulich zu einem Fast- und Gebetstag im Gedenken an den Krieg in Syrien aufgerufen, bewußt am Vorabend von Mariä Geburt, weil Maria ja die Königin des Friedens ist …
Emily: Jajaja, das hatten wir ja grade.
Richard: Und was machen unsere Helden in der „Gemeindeleitung“? Erwähnen Mariä Geburt nicht mal!
Emily: Fäääääääil!
Edith: Oberfail, sag ich dir!
Emily: Ich habe aber trotzdem Hunger.
Edith: Na gut, dann lassen wir das und machen erst mal was zu essen. (Sie geht mit Richard Richtung Küche. Die Kinder natürlich hinterher.)
Edith (zeigt auf den vollen Tisch, zu den Kindern): Aufräumen!
ENDE
Cornelie Becker-Lamers
Ja, so geht’s zu in Wundersdorf!
Bloß gut, daß bei uns in Weimar ja niemand je solche Sätze sagen würde, oder?
Ein Trackback/Pingback
[…] katholischen Diasporagemeinde „Maria Hilf!“ Wundersdorf. Auch in diesem Jahr, wie schon 2013 , hat man sich aus diesem Anlaß etwas ganz Besonderes […]
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