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Das Vorbild

Das Vorbild

Ein Sketch für drei Personen

Im östlich von Berlin gelegenen Städtchen, dessen katholisches Pfarramt den auch für Wundersdorf zuständigen Dechanten beherbergt, sitzt ebendieser am Schreibtisch und löscht mißmutig eine jüngst eingetroffene Email, als seine Haushälterin zum Mittagessen ruft. Der Dechant schließt das Mailprogramm und seine aktuellen Dateien und begibt sich in die große Wohnküche seiner Dienstwohnung. Auch die Pfarrsekretärin ist aus dem Büro heraufgekommen.

Die Pfarrsekretärin: Jesegnete Mahlzeit! (zur Haushälterin) Also Bosch hat nu wirklich nochma jeschriebn.

Die Haushälterin (gießt die dampfenden Kartoffeln ab): Is wahr?!

Die Pfarrsekretärin: War eben inner Post. (Sie lacht) Die Kennziffern wern immer länger.

Die Haushälterin: Und wann kommn se nu?

Die Pfarrsekretärin: Det wissen se noch nich.

Der Dechant: Worum geht’s denn?

Die Pfarrsekretärin: Ach! Bosch hat ne riesen Rückrufaxion für bestimmte Jeschirrspüler ausjegebn – und unsa is natürlich dabei (sie nimmt von der Haushälterin eine Fleischplatte entgegen, stellt sie mitten auf den Tisch und setzt sich).

Die Haushälterin: Naja – der is jetz 13 Jahre alt – det kommt jenau hin (sie stellt eine Schüssel auf den Tisch und setzt sich ebenfalls).

Der Dechant (gießt sich ein Glas Wasser ein): Was ist denn kaputt?

Die Pfarrsekretärin: Ach! Irjend so een elektrischet Bauteil is damals vawendet worden, det kann überhitzen und zu Bränden führen (Sie bekreuzigen sich.)

Der Dechant: Aller Augen warten auf dich, oh Herr, du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du tust deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, nach deinem Wohlgefallen. Amen.

Die Pfarrsekretärin: Juten Appetit! (Sie beginnen zu essen. Die Laune des Dechanten bessert sich dadurch sichtlich. Es schmeckt ihm sehr gut.)

Die Haushälterin (schmunzelt): So isset richtig, Herr Pfarrer, langen Se man immer kräftig zu! Det freut meine Wenigkeit. (nach einer kleinen Weile): Jedenfalls, seit wer det nu wissen, mit der Brandjefahr, darf ick nich mehr aus’n Hause jehn, wenn die Jeschirrspülmaschine läuft.

Der Dechant (schüttelt den Kopf): Unmöglich! Dieses kaputte Teil bindet ja wirklich Kräfte.

Die Pfarrsekretärin: So isset!

Der Dechant (unwirsch): Dieses Bauteil gehört doch sofort ausgewechselt!

Die Haushälterin: Det is ja ooch jeplant! Aber et is offenbar nich so einfach!

Die Pfarrsekretärin: Na, wie det immer so is: Die betreffenden Bauteile werdn nich mehr herjestellt, und nu müssen se den Ersatz ers produzieren.

Die Haushälterin: Is ja nich wie inne katholischen Kirche, wo man alles mit Reden lösen und der Bischof selber Fakten schaffen kann.

Die Pfarrsekretärin: Nee – wat nich is, is nich!

Der Dechant (stutzt, fängt sich aber gleich wieder): Ja – und warum überhäuft uns die Firma statt dessen mit Briefen?

Die Haushälterin: Zweie warns bisher. Also, ick finde det janz vorbildlich!

Die Pfarrsekretärin (zum Dechanten): Wenn man schon nich jleich helfen kann, muß man sich wenistens so um die Leute kümmern. „Der Mißstand tut uns leid. Wir bedauern, daß wir nich schneller helfen können. Aber wir ham euch nich verjessen! Wir kümmern uns.“

Der Dechant (irgendwie matt): Das steht in den Briefen?

Der Pfarrsekretärin: Na! Nu! So jenau … Aber dem Sinne nach – natürlich!

Die Haushälterin: Naja, hier! (Sie reibt als Zeichen des Geldzählens Daumen und Zeigefinger aneinander.) Langfristje Kundenbindung. Det jet um Hunderte von Millionen!

Die Pfarrsekretärin: Na klar! Det machen die nich aus reiner Menschenfreundlichkeit! Is ja nich wie in der katholischen Kirche, wo et den Leuten einfach zu Herzen jeht, wenn irjendwo irjendwat nich stimmt und se deswegen immer sofort nach Lösungen suchen.

Der Dechant (in sich versunken): Kundenbindung durch Kommunikation …

Die Haushälterin (sorgenvoll zum Dechanten, der still im Essen herumstochert): Herr Pfarrer! Is wat nich in Ornung? Sie essen ja jar nüscht mehr! Nehmn Se doch noch nach!

Der Dechant (schreckt auf): Äh! Wie? Neinein, vielen Dank! Es war ganz köstlich! Wie immer! (Er lächelt matt.)

Die Pfarrsekretärin (nickt der Haushälterin anerkennend zu): Schmeckt vorzüglich!

Die Haushälterin: Denn bin ick ja beruhigt! Ick hab doch jestern schon allet an de Bettler verschenkt. (Zur Pfarrsekretärin, die ihr verständnisvoll zunickt) Ick meene: Man soll ja freijiebig sein, aber um die Medallions wär’s doch schade jewesen! So zartet Fleisch! (Sie ißt.)

Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit steht der Dechant auf, bevor alle mit Essen fertig sind.

Der Dechant (ein wenig zerstreut): Tut mir leid, ich habe vor dem Termin um 14 Uhr noch dringende Post zu erledigen.

Die beiden Frauen nicken ihm zu und lächeln ein wenig unsicher.

Die Pfarrsekretärin (nachdem der Dechant den Raum verlassen hat, flüsternd): Wat hat er denn?

Die Haushälterin: Keene Ahnung! So still is er doch sons nich …

Die Pfarrsekretärin: Ham wer wat Falschet jesacht?

Die Haushälterin: Über de Kirche?

Die Pfarrsekretärin: Nee! Eijentlich doch nich – oder?

Während die Frauen sich auch wieder an ihre Arbeit begeben, setzt sich der Dechant an seinen Computer und öffnet den Papierkorb des Emailprogramms. Da: Die letzte Mail einiger vom Ehrenamt zurückgetretener Gemeindemitglieder aus Maria Hilf! in Wundersdorf. Er hat sie vor dem Essen gelöscht. Jetzt holt er die Mail in sein Postfach zurück und öffnet sie erneut, klickt auf „antworten“ und setzt sich in Positur.

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

Ja, so geht’s zu, da oben in Brandenburg! Bloß gut, daß hierzulande die Dechanten immer ein offenes Ohr haben.

 

Ein Trackback/Pingback

  1. Pulchra ut Luna › Der Notausgang (Fortsetzung) on Montag, 2. März 2015 um 11:49

    […] Emma (plaudert, um Zeit zu schinden): Hier … Kühlschrank … Kaffeemaschine … Geschirrspüler … Das war ja damals was, mit der Bosch-Rückrufaktion, als es hieß, die Geschirrspüler sind alle brandgefährdet … […]

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