Der Dominoeffekt
Ein Sketchlet für vier Schafe und beliebig viele Schafstatisten
Wundersdorf, die Schafweide. Die Herde wirkt lustlos, manche lungern herum, andere schlafen oder grasen, manche vertreten sich ein bißchen die Füße. Blütenweiß tritt an die Gruppe um Wolle, Flocke und Kohle heran.
Blütenweiß: Du, Wolle?
Wolle (träge): Hm?
Blütenweiß: Warum werden wir heute nicht zur Kirche abgeholt?
Wolle: Weil wir da nicht mehr gebraucht werden.
Blütenweiß: Nicht mehr gebraucht? Aber wir sind doch die ‚Bischäflichen Hilfskräfte‚ und wärmen dem Orgelprofessor die Füße, wenn er sechs Stunden am Stück unterrichtet. Das weiß doch jedes Lämmchen!
Wolle: Hat sich ausgewärmt.
Blütenweiß: Aber warum?
Wolle: Weil der Professor jetzt im Winter gar nicht mehr spielt.
Blütenweiß: Auch nicht mehr freitags?
Wolle: Auch nicht mehr freitags.
Blütenweiß: Und nicht mehr dienstags?
Wolle: Und nicht mehr dienstags!
Blütenweiß: Aber das steht doch sogar in den Veranstaltungsprogrammen der Hochschule! Das war ganz fest ausgemacht!
Wolle: Tja! Ist dem Pfarrer doch egal.
Kohle (grunzt): Oder Corinna.
Blütenweiß: Was hat denn Corinna damit zu tun?
Wolle, Flocke und Kohle: Blütenweiß!!!
Flocke: Das hatten wir doch nun schon!
Blütenweiß: Sag nicht, sie hat das mit der Heizung immer noch nicht geregelt gekriegt?
Wolle betrachtet geflissentlich ihren linken Huf, den sie sich vor die Augen gehoben hat, Kohle scheint sich plötzlich für den Tannenbaum auf der Weide zu interessieren und Flocke beginnt ein kleines Liedchen zu pfeifen.
Blütenweiß: Ou, nein!!! Das kann doch nicht wahr sein! Wie lange geht das jetzt schon?
Flocke: Also zwei Jahre bestimmt.
Wolle: Weil unsere liebe „Gemeindeleitung“ sich mit der Heizsituation taub oder quer stellt, können die Professoren nicht unterrichten …
Flocke: … und der Professor in den Zwischenstunden nicht die Messen vorbereiten – registrieren und so.
Kohle: Und ohne Vorbereitung spielt er nicht.
Wolle: So einfach ist das.
Flocke: Hat ja nun lange genug Geduld gehabt.
Kohle: Und deshalb dürfen wir auch nicht mehr zur Kirche fahren und bei den Übungen zuhören.
Wolle (traurig): Das war immer soooo schön! (Sie singt): „Es ist der Herr stark und määäääää …“
Kohle: Wolle! Bitte!
Wolle (pikiert): Es gibt wohl kaum ein Schaf auf dieser Weide, das mehr Freude an guter Musik hat als ich …
Flocke: … und wenn dir nur etwas Förderung zuteil geworden wäre, wäre eine große Musikerin aus dir geworden, ich weiß!
Kohle (zu Wolle): Hallo Lady Catherine de Bourgh!
Wolle: Pfff!
Blütenweiß: Hört auf mit dem Quatsch! Es ist ernst! Soll das heißen, unter dem Starrsinn unserer „Gemeindeleitung“ leiden jetzt nicht nur die Professoren und die Studenten, sondern immer mehr auch alle Schafe?
Kohle (resigniert): Du hast es erfaßt!
Flocke (nüchtern): Klassischer Dominoeffekt.
Kohle: Aber sei getrost …
Flocke: … „[…] Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen.“ (Am 8,7)
ENDE
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
Ja, so geht’s zu in Wundersdorf und drumherum! Ob es in Weimar besser ist? Oder wird? Wir werden sehen!
PS:
Wer sich in die literarische Anspielung vertiefen will, hier ist die Szene aus Jane Austens Pride and Prejudice
Und hier der Text:
„What is that you are saying, Fitzwilliam? What is it you are talking of? What are you telling Miss Bennet? Let me hear what it is.“
„We are speaking of music, madam,“ said he, when no longer able to avoid a reply.
„Of music! Then pray speak aloud. It is of all subjects my delight. I must have my share in the conversation if you are speaking of music. There are few people in England, I suppose, who have more true enjoyment of music than myself, or a better natural taste. If I had ever learnt, I should have been a great proficient.
Den man u.a. hier nachlesen kann. 🙂
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[…] (grinst): „I must have my share in the conversation […]
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