Sketch des Monats: Das Drehbuch
Ein Sketch für sechs Schafe, zwei Lämmchen, ein Mufflon
und beliebig viele Schafstatisten
Wundersdorf, Schafweide. Es herrscht reges Treiben. Zunächst fällt das trainierende Stuntschaf ins Auge, das, mit einem riesigen schwarzen Mantel bekleidet, in verschiedenen Sprungübungen quer über die Weide fliegt. Auf dem Feldweg neben der Weide steht der Pritschenwagen bereit, der die Schafe offenbar abholen soll (wo sie stehen?). Das Mufflon, Fixi und Huf, Wolle, Flocke, Kohle und einige andere Schafe aber haben einen Stapel Bücher und zusammengetackerte Papiere vor sich und sind ganz vertieft in lebendige Diskussionen. Das Mufflon und Kohle scheinen das Gespräch irgendwie in Form eines Seminars leiten zu wollen. Wolle und Grauchen aber flüstern immer wieder miteinander.
Hören wir doch mal, worum es geht:
Das Mufflon (blättert in seinem getackerten Papierstapel von hinten bis auf die ersten Seiten zurück): Also, nochmal langsam …
Kohle (grinst): … um nicht zu sagen: „für die Truppe zum Mitschreiben“ …
Das Mufflon (unbeirrt): Die Heilige Ursula zieht mit elftausend wehrhaften Jungfrauen in südöstlicher Richtung los … (er blickt erwartungsvoll zu Flocke hinüber).
Flocke (liest aus einem der Bücher): … „Ihr Vater ordnete an, daß seine Tochter, die er sehr liebte, auch Männer in ihrem Gefolge haben sollte, deren Hilfe sie selbst und ihre Scharen bedurften.“
Das Stuntschaf (fliegt mit ausgebreitetem Mantel über die Gruppe hinweg): Jippiiiiiiiieh!
Wolle (blickt dem Stuntschaf stöhnend nach): Sagt mal, warum haben wir eigentlich diesen Heiopei in der Truppe, wenn Jennifer Lawrence auf der Darstellerliste steht?
Fixi: Ich glaube, Jennifer Lawrence wird nur kurz eingeblendet, weil es sonst zu teuer würde.
Wolle: Und warum springt er hier seit Nikolaus herum?
Grauchen: Wir Schafe werden einfach zu schlecht bezahlt, sonst könnten die sich so einen Vorlauf gar nicht leisten!
Kohle: Wenn ich euch darauf aufmerksam machen dürfte, daß wir normalen Schafe für unsere Dienste für gewöhnlich überhaupt nicht bezahlt werden.
Wolle: Statt daß das mal jemand thematisiert …
Das Mufflon (ruft zur Ordnung): Würdet ihr euch jetzt bitte mal konzentrieren! Also, da ziehen junge Männer und elftausend Jungfrauen los … Flocke?!
Flocke (liest weiter vor): „… und alle schworen den Eid auf diese neue Art von Kriegsdienst. Nun begannen sie mit Kriegsübungen: Sie fuhren zusammen und trennten sich wieder, bekriegten sich und täuschten Flucht vor, übten sich in jeder Art von Spielen und ließen nichts weg, was ihnen einfiel, bald kehrten sie mittags, bald auch spät abends zurück.“
Das Mufflon (ganz im Stoff): Genau! Und bald hat Ursula neuntausend Familien in ihrem Troß …
Wolle (flüsternd zu Grauchen): Hat die Heilige Ursula eigentlich was gegen Verhütungsmittel?
Grauchen (flüstert zurück): Na klar! Sonst wär sie doch keine Heilige!
Das Mufflon (hat die beiden gehört): Blödsinn! Sie will mit ihrer Kriegstruppe ein familienfreundliches Unternehmen aufbauen! Dazu müssen ja erstmal Familien da sein! (vorwurfsvoll) Sagt mal, habt ihr das Drehbuch überhaupt gelesen?
Wolle (blinzelt ein bißchen schläfrig): Ach, liebes Mufflon, du erzählst uns das so schön! Wir hören einfach lieber zu!
Grauchen (leise zu Wolle): Aber jetzt weiß ich wenigstens, was Veronica Ferres auf der Darstellerliste soll.
Wolle (flüsternd): Neee, so viel habe ich mitbekommen: Die Ferres spielt die Heilige Ursula. Das, was du meinst, übernimmt Miley Cyrus.
Grauchen (immer leise): „La Montanara“?
Wolle: „Montana“. Ja. Aber vom Hannah-Montana-Image will sie ja grad weg.
Grauchen: Ach so!
Das Mufflon (blickt die beiden Störenfriede strafend an): Ich denke, ihr wolltet zuhören! Also weiter im Text!
Wolle (entschuldigend): Grauchen hat mich was gefragt.
Das Mufflon: Pfff! Das hätte ich jetzt auch gesagt!
Grauchen: Welche Rolle spielen wir eigentlich in dieser ganzen Geschichte?
Wolle (jammerig): Auf dem Schiff werde ich bestimmt seekrank …
Das Mufflon (stöhnt): Wenn ihr mal zuhören würdet?! Wir müssen auf kein Schiff! Bully Herbig hat ja nicht nur die Legenda Aurea ausgeschlachtet, sondern auch die Bibel, Grimmelshausens „Landstörtzerin Courasche“, die „Mutter Courage“ von Bert Brecht und die aktuelle politische Situation.
Kohle (blättert in seinem Manuskript): Und deshalb gibt es auch Szenen, in denen ein Planwagentreck durch die Wüste zieht …
Huf: … die hat er vom „Schuh des Manitu“ her schon vorrätig …
Kohle (unbeirrt): … und da ziehen wir mit.
Wolle (erschrocken): Wir spielen das Schlachtvieh im Treck der Mutter Courage?
Das Mufflon (beschwichtigend) : Naaaaain! Der berühmte Streit um den dürren Kapaun kommt auch nicht vor. Die Heilige Ursula will ja am Schluß die Kanzlerin aller Deutschen werden und hat deswegen in ihrer Truppe längst den Veggie-Day eingeführt.
Grauchen: Ou, Schaf! Was für ein Tohuwabohu!
Wolle: So sind die Filme von Bully Herbig! Ein Versatzstück am andern! Also ich hätte das ja nie zugesagt, daß wir da mitmachen …
Grauchen: Ob Krutzi von den Einnahmen wieder irgendwas refinanzieren will?
Kohle: Jetzt seid doch mal still! Ist ja schlimmer als ein Sack Flöhe!
Das Mufflon (blättert im Manuskript): Und dann kommt es zu einer echten Kampfszene: Die Kämpferinnen der Heiligen Ursula stehen mitten in der Wüste vermummten feindlichen Truppen gegenüber.
Kohle: Man verschanzt sich und es zieht sich eine Weile hin – 40 Tage genau. Aber da ja die Familien ganz in der Nähe sind, wird ihnen Essen gebracht und alles ist eigentlich ganz chillig so weit.
Blütenweiß (hat ein sehr dickes Buch vor sich – es muß eine Bibel sein – und beginnt jetzt nach einem kurzen Räuspern daraus vorzulesen): „Und Isai sprach zu seinem Sohne David: Nimm doch für deine Brüder dieses Epha geröstete Körner und diese zehn Brote, und bringe sie schnell in das Lager zu deinen Brüdern; und diese zehn Schnitten Milchkäse bringe dem Obersten über tausend und besuche deine Brüder, um nach ihrem Wohlergehen zu fragen, und nimm ein Pfand von ihnen mit. Saul und sie und alle Männer von Israel sind nämlich im Terebinthentale, streitend mit den Philistern.“
(1. Samuel 17, 17-19)
Grauchen (schlägt sich vor die Stirn): Ach jetzt versteh‘ ich, was der Heiligen Ursula da vorschwebt: Entspannte Kämpfe mit Familienanschluß wie vor 3000 Jahren!
Blütenweiß (betulich) : Jaja, es kommt alles wieder!
Huf: Ich will David spielen – mit der Steinschleuder!
Das Mufflon (schaut im Skript nach): Geht nicht! Die Szene macht Miley Cyrus auf ihrer Abrißbirne.
Entsetzen ergreift die Schafe umher und alle rufen durcheinander. Flocke stellt sich instinktiv schützend vor Fixi.
Kohle (verschafft sich Gehör): Keine Angst! Sie trägt einen Tarnanzug – wenn auch etwas lädiert und zerfetzt. Aber es wird nicht dramatischer als Gina Lollobrigida als Husarenbraut (für sich) höchstens viel viel weniger aufregend … (er grinst).
Wolle (flüsternd zu Grauchen): Aber die Botschaft dürfte klar sein: Die Frau von heute ist attraktiv und kämpferisch zugleich.
Grauchen (leise zurück): Deshalb kommen mit den elftausend Jungfrauen auch nur neuntausend Familien zustande, weil 20 Prozent der Männer damit nicht umgehen können!
Wolle: Mhm. Ist schon alles genau durchdacht!
Das Mufflon: Also am Schluß ist jedenfalls alles Friede, Freude, Eierkuchen – die Bösen sind tot, die Guten nicht …
Flocke (irritiert): Moment mal! Das ist doch in der Legende genau andersrum!
Kohle: Tja, so hat halt jede Zeit ihre ganz eigene Vorstellung vom gelingenden Leben!
Das Mufflon: Und die Heilige Ursula wird Bundeskanzlerin.
Das Stuntschaf (fliegt vorbei): Jipiiiiieh!
Wolle (seufzt): Oh, Uschi, breit den Mantel aus.
ENDE
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
(Flocke zitiert die Legende der Hl. Ursula aus der ‚Legenda Aurea‘ des Jacobus de Voragine, ca. 1264, in der Ausgabe des Manesse-Verlags, Zürich 1990)
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