Schon die PuLa-Adventskalender der vergangenen drei Jahre waren ja so angelegt, daß sie sich gewissermaßen an die Lektüre des zurückliegenden Jahres anlehnten: ‚Chesterton‚ 2011, ‚Zwei katholische Bücher‘ 2012 und das ‚Dodekapropheton‘ (Zwölfprophetentbuch) im vergangenen Jahr.
In diesem Jahr hat nun allein ein Buch 2014 für meine geistliche Lektüre zu einem großartigen Jahr werden lassen und so fiel die Entscheidung nicht schwer, dieses Verfahren auch heuer beizubehalten.
Das erste Mal gehört habe ich von diesem Buch am oder um den 8. März, denn da wurde es in der Literaturbeilage der FAZ in der Rubrik „Neue Sachbücher“ besprochen. Ob ich es nach der Rezension gekauft hätte, wenn ich den Verfasser nicht bereits gekannt hätte?
So war es aber zum Glück und daher habe ich (wie ich im nachhinein feststellen mußte) die Besprechung nur höchst oberflächlich gelesen, denn ich war einfach zu begeistert zu erfahren, daß es das gäbe:
Robert Spaemann, Meditationen eines Christen, Über die Psalmen 1 -51, Stuttgart (Klett-Cotta) 2014
Der verehrte und geliebte Robert Spaemann schreibt über die Psalmen, die mir, wie man vermutlich auch hier auf dem Blog schon hat merken können, in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden sind – wie wunderbar! Ja, ich war voll Freude, Vor-Freude bis Ende September und Freude bei der Lektüre seitdem, denn das Werk ist nichts zum „Runter-Lesen“ (obwohl es „spannend“ genug ist!).
Nun braucht auf der einen Seite Robert Spaemann, der große Gelehrte und herausragende deutsche Philosoph der letzten Jahrzehnte nicht die Empfehlung durch einen kleinen Provinz-Blogger, andererseits ist das Werk ja explizit nicht für ein wie auch immer geartetes Fachpublikum geschrieben, sondern es hat ausdrücklich ‚ganz normale‘ Menschen im Blick und stellt sich auch damit in die große Reihe christlicher Psalmenkommentare, deren wohl bekanntester, die ‚Enarrationes in Psalmos‘ des Hl. Augustinus ja auch zu einem Gutteil aus Predigten des Bischofs von Hippo entstanden sind. Und aus dieser Perspektive kann ich nur sagen: „Kaufen“! Oder noch viel besser: „Schenken lassen“!, schließlich steht Weihnachten vor der Tür… 😉
Das Buch ist teuer; knapp 50 € sind wahrhaft kein Pappenstiel, aber es ist eben auch unschätzbar, wenn einem dieses „Gebetbuch der Christenheit“ erschlossen wird aus der Perspektive eines einerseits ganz heutigen Denkers, vertraut mit dem, was Philosophie und Theologie im zurückliegenden Jahrhundert vorgelegt haben, dessen Katholizität andererseits unbezweifelbar und dabei nicht „versteckt“, sondern deutlich spürbar wird, wenn sie auch ganz und gar „unaufdringlich“ bleibt. Da man mit den Psalmen sein Leben lang nicht fertig wird, wird sich auch, davon bin ich überzeugt, die Investition in dieses Buch als eben solche erweisen: Eine lohnende Anschaffung. Und übrigens ist es auch ein sehr schön gemachtes und solide produziertes Buch, das lange Haltbarkeit verspricht.
Übrigens war Klett-Cotta so großzügig (und so klug), eine ausführliche Leseprobe bereitzustellen: Die Einleitung und den kompletten Kommentar zu Psalm 1, hier!
Was ich mir dennoch an dem Buch noch anders vorstellen könnte, bzw. wünschen würde, dazu kommen wir gleich beim ‚praktischen Teil‘ noch!
Aber bevor das diesjährige Schreiben losging, habe ich natürlich auch die oben erwähnte Rezension noch einmal gelesen und nun muß ich kurz darauf eingehen.
Sie stammt von Christoph Markschies, einem evangelischen Kirchenhistoriker und Theologen, der vor einigen Jahren relativ kurzzeitig Präsident der Humboldt-Universität in Berlin war. Und es handelt sich zweifelsohne um die eingebildetste, oberflächlichste, unangemessenste und ärgerlichste Besprechung, die ich in diesem Jahr überhaupt zu Gesicht bekommen habe. Der Gedanke, daß für dieses Machwerk vermutlich auch noch Geld geflossen ist, ist schwer erträglich. Es Punkt für Punkt im einzelnen auseinanderzunehmen, wäre reizvoll – aber das paßt nicht in den Advent (und leider steht der Text nicht in Gänze online zur Verfügung, vgl. aber hier). Daher muß ich mich auf ein paar Schlaglichter beschränken:
Der Text läßt, beim besten Willen, nicht erkennen, daß Markschies vor seiner Abfassung wesentlich mehr als die Einleitung und den Kommentar zum ersten und zum 23. Psalm (moderne Zählung) gelesen hat, wirklich nicht. Zum Anfang setzt sich die oberflächliche Lektüre fort mit der Bemerkung, im ersten Psalm gehe es um den „Rat“, nicht bei den gottlosen Spöttern zu sitzen, Davon steht da aber nichts. (und es ist wirklich gut, daß Sie sich davon in der Leseprobe selber überzeugen können!) Psalm 1 stellt das fest über den ‚Gerechten‘, er konstatiert eine objektive Wirklichkeit, das ist ein erheblicher Unterschied. Schlimmer wird die nicht nur oberflächliche, sondern schlicht unkorrekte Wiedergabe des Spaemannschen Gedankengangs, wenn Markschies behauptet, dieser schriebe in der Auslegung des ersten Psalms „Der Gottlose schrumpft ‚an Bedeutung unter die Amöbe‘“ und mit der Frage fortfährt: „Darf man es sich so einfach machen?“ Nun, wenn es Robert Spaemann an dieser Stelle um eine anthropozentrische Betrachtung des Schicksals je einzelner Menschen, und seien es „Gottlose“, ginge, er hätte es gewiß nicht so knapp abgehandelt. Aber darum geht es an dieser Stelle eben nicht. Und das kann man bei aufmerksamer Lektüre auch sehen, dort steht: „Das Bild der Spreu trifft das Wesen der Gottlosigkeit. Sie ist das Nichtige. Person ist der Mensch als Ebenbild Gottes. Als solches hat er unendliche Bedeutung, kein Haar fällt von seinem Haupt, ohne daß der Vater es will. Der Gottlose ist bedeutungslos. Er hat kein Gewicht. Es ist so gut, als hätte er nicht gelebt. Das ist die Holle: der Zustand reiner Kontingenz, reiner Gleichgültigkeit. Ein Zustand, dem nicht einmal Mitleid oder Trauer gilt: »ewiger Tod« (Oftb 20,14; 21,8). Der endliche Geist ist entweder mehr oder weniger als die Dinge. Mehr, wenn die Leere zur Transparenz, zur »Lichtung« des Göttlichen wird; weniger, wenn er bei sich bleibt, sich »in sich verkrümmt« (Augustinus). Dann schrumpft er an Bedeutung unter die Amöbe.“ (S. 19, Hervorhebungen von mir).
In diesem auch schöpfungstheologisch reichen Gedankengang geht es um die Freiheit, die radikale Freiheit, des „endlichen Geistes“ und deren unausweichliche, „objektive“ Folgen, und nicht darum, es sich „leicht zu machen“ damit, einzelne bedauernswerte gottlose Individuen ‚abzuschreiben‘; es ist mir auch anhand des weiteren Zusammenhangs nahezu völlig unverständlich, wie ein derart plattes Mißverstehen zustande gekommen sein kann. Freilich nur „nahezu“, denn Markschies liefert schon Hinweise auf den Grund, sie lassen sich mit den Stichworten Relativismus und Anthropozentrismus zusammenfassen. Das blitzt z.B. auf in folgender Passage: „Dann spricht eher der Philosoph und wirbt […] in der freien Selbstbestimmung des Menschen nur ein Mittel zu sehen und nicht das Ziel: ‚Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach ihr richten‘ [so zitiert er Spaemann].“. (Hervorhebung von mir). Ja, in der Tat, was denn sonst? Wohin „freie Selbstbestimmung des Menschen“ ohne Ziel außerhalb ihrer selbst führt, haben wir das nicht erlebt, erleben wir es nicht ständig?
Der gleiche Rezensent, der es so eklatant versäumt, die Grundlagen seiner insofern ins Leere zielenden Kritik anzuzeigen, glaubt dessenungeachtet ganz vom hohen Roß schreiben zu können: „Natürlich ist solcher Vorbehalt gegen eine unziemliche Vermischung von Theologie und Philosophie nicht das einzige Gefühl, das einen Protestanten bei der Lektüre der Meditationen beschleicht.“ Oder: „Da lebt einer aus und in dieser biblischen Bilderwelt, gewiß. Aber er lebt in der ungebrochenen Tradition christlicher Auslegung seit ihren Anfängen.“ (Hervorhebung von mir) Aber!!! Der Theologe Markschies, so der unausweichliche Schluß, lehnt diese Tradition ab. Was Sie immer schon über moderne Theologen wissen wollten, sich aber nie zu fragen getraut haben…
Leider verabsäumt Prof. Markschies anzugeben, in welcher Tradition er sich denn sieht (vermutlich beginnt die Antwort mit „A“ und geht mit „ufklärung“ weiter… 😉 ). Und so jemand bescheinigt Robert Spaemann und seinem Buch im letzten Satz der Rezension „Grenzen“…
Es ist vielleicht abschließend nicht völlig ohne Interesse, darauf hinzuweisen, daß Markschies, der von der ZEIT, dem protestantisch imprägnierten Zentralorgan „aufklärerischen“ Gedankenguts in Deutschland, anläßlich seines Amtsantritts als Präsident der Humboldt-Universität hochgejubelt wurde („Ein Pontifex in Berlin“, sic!, hier) darin ziemlich schnell gescheitert ist, was offenbar mit seiner Art des Umgangs mit anderen Menschen zusammenhing; warum wundert uns das nicht? (vgl. z.B. hier und hier)
„Aufgefangen“ hat ihn dann – die EKD. Sie hat ihn zum Vorsitzenden der sog. „Kammer für Theologie“ gemacht, Pöstchen muß offenbar sein, einem Gremium, dem auch der in diesen Zeilen schon bekannte Thies Gundlach (hier, mit weiterführendem Link) zugeordnet ist und dessen letzte im Netz greifbare Publikation aus dem Jahre 2009 zu stammen scheint (hier). Hm! Na, vielleicht hat sie aber ‚hinter den Kulissen‘ mitgearbeitet an den „großartigen Erfolgen“ der theologischen Veröffentlichungen der EKD in letzter Zeit, als da wären z.B. die Publikation über Ehe und Familie und die letzte Veröffentlichung über ‚reformatorische Theologie‘ im Vorfeld des 2017er-Jubiläums, die zu einer ausgemachten Krise der amtlichen „Ökumene“ geführt hat (verteidigt hat er es jedenfalls vgl. hier). Passen würde es.
Aber nun genug davon! Indirekt und sicher gegen den Willen des Rezensenten ist ja aus seinen Worten gerade erneut deutlich geworden, was dieses Buch so wertvoll macht, nicht wahr?
Markschies: „Hier versucht einer eine traditionell katholische Lektüre des Psalters als Gebetbuch der Christenheit [und] es erstaunt […], wie harmonisch hier Gegenwart und Tradition, Glaube und Vernunft zusammenpassen.“
Genau! 🙂
Kommen wir also dazu, wie ich mir diesen Adventskalender vorstelle. Da mußte selbstverständlich zunächst eine Auswahl her, eine Auswahl aus dem jeweiligen Psalm und aus der Kommentierung durch Spaemann. Das ist natürlich schmerzhaft, denn beides lebt an und für sich gerade aus der jeweiligen und aufeinander bezogenen Vollständigkeit und jede Auswahl muß allerlei Wertvolles unter den Tisch fallen lassen (wie z.B. regelmäßig den für die Psalmen so charakteristischen „Umschwung“ [Peripetie]) oder auch manche ‚Wiederholungen‘, die in ihrem jeweiligen Kontext eben gerade mehr als das sind…
Aber es geht nicht anders und ich muß Ihnen ja auch noch was zu lesen übrig lassen… 🙂 Zudem gibt es glücklicherweise auch eine große und gute Tradition des Zitierens einzelner Psalmverse! Ich bin daher sehr zuversichtlich, Sie werden dennoch einen Gewinn haben, von den Ausschnitten!
Nun zur Gestaltung im einzelnen:
Ich hatte oben ja schon angedeutet, daß es bei aller Begeisterung noch etwas gibt, das ich mir an dem Buch anders wünschen würde. Das hängt in erste Linie mit einer Entscheidung zusammen, die aber einen großen Vorzug des Buchs ausmacht: Spaemann zitiert die Psalmtexte nach der Vulgata, allerdings leider nicht zweisprachig, also lateinisch und deutsch, sondern bloß in der Übersetzung der Allioli-Bibel (vgl. hier). Dabei merkt man, was er in der Einleitung auch selber andeutet, immer wieder, wie er tatsächlich (u.a.) mit dem lateinischen Text gearbeitet hat. 🙂 Hier auf PuLa werden wir daher die Ausschnitte zunächst im Latein der Vulgata (genauer der „Clementina“) bringen, und natürlich auch in deren Zählung. Damit ist man so nah wie realistisch möglich an der Form, in der diese Texte Jahrhunderte hindurch im ganzen Abendland gebetet worden sind. Sie können die vollständigen Psalmtexte jederzeit auf dem „Bibleserver“ abrufen (hier) (und zu der Frage „Clementina vs. Nova Vulgata“ werde ich auch irgendwann mal was schreiben… 🙂 )
Nun ist es allerdings leider weiterhin auch so, daß der Text der Allioli-Bibel hier in einer mehrfach überarbeiteten Form gegeben wird, ohne daß dies (und das ist meine einzige echte Kritik an dem wunderbaren Buch) deutlich gemacht wird. Klett-Cotta wünschte sich vermutlich eine „moderne“ Textgrundlage mit klarem Copyright etc.. Nun, wer PuLa kennt, der weiß, „behutsame Überarbeitungen“ und „vorsichtige Anpassungen“ sind uns aus Erfahrung zumeist ein Graus, sie verhunzen in aller Regel die Sprache des Originals eher, als daß sie irgend etwas anderes tun und sie berauben uns der Chance, die darin liegt, sich einmal mit einer anderen (älteren) Sprachform auseinanderzusetzen. Wie gut, daß wir vor einiger Zeit ohnehin aus eben diesen Gründen eine „originale“ Allioli-Bibel angeschafft hatten, genauer eine Ausgabe von 1851. Daraus werden wir also den deutschen Text bieten, wundern Sie sich also nicht über ungewöhnliche Orthographie, bitte! 😉
Weiterhin haben wir noch zu Rate gezogen die Auswahl, die Hans Urs v. Balthasar aus Augustinus‘ Enarrationes‘ vorgelegt hat (Über die Psalmen, Freiburg [Johannes Verlag Einsiedeln], 3. Aufl. 1996), was dann mit „(AA)“ gekennzeichnet wird, Spaemann dementsprechend natürlich mit „(RS)“, und ein weiteres älteres Werk: Psallite sapienter; Erklärung der Psalmen im Geiste des betrachtenden Gebets und der Liturgie von P. Dr. Maurus Wolter, ursprgl. 1869, zitiert nach der 3. Aufl. Freiburg [Herder] 1904, „(MW)“. Ein sehr schönes Buch (in fünf Bänden…), dem die gelegentlich erheiternde Sprache der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum Abbruch tut, und aus dem man nebenbei so allerlei mitkriegt, welch ungeheuren (liturgischen) Reichtum wir (vorübergehend) verloren haben…
Daneben haben wir gelegentlich auch noch in die „Septuaginta Deutsch“ geschaut, die sich bekanntlich mit „(LXX)“ für lateinisch „Siebzig“ abkürzt (Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, 2009). Soweit erforderlich werden wir weitere Quellen (und ggf. Abkürzungen) von Fall zu Fall nennen.
(Und sollte ich gar, horribile dictu, meinen, mir sei selber etwas eingefallen, dann steht da natürlich „GL“ 😉 )
Morgen früh geht’s los!
Ein Kommentar
Wunderbar, ich freue mich schon auf die 24 „Türchen“!
LG!
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[…] in dieser Gemeinschaft seinen Grund und sein Wesen. [vgl. die Kritik der Rezension am Vorabend!, hier] Er soll Gottes gedenken, weil er selbst im Gedenken Gottes gründet. Er ist zwar auch »Werk […]
[…] fiel mir auf, daß der Dichter katholisch sein müßte, was die Kurzbiographie offen läßt, vgl. hier) sowie die berühmten Hymnen Venantius‘, das „Pange Lingua“ und das „Vexilla Regis“. Die […]
[…] wurde, starb gestern, im Alter von 91 Jahren, Robert Spaemann, hier auf PuLa vor allem durch den Adventskalender 2014 mit Auszügen aus dem ersten seiner zwei Psalmenbücher vertreten. Ich bin sehr traurig, denn von […]
[…] ist. Der erste Teil der von mir so geliebten Spaemann-Meditationen über die Psalmen (Sie erinnern sich?) hat bekanntlich im Grundsatz die im wahrsten Wortsinne ‘gute alte’ […]
[…] Hubert Wolf, Thomas Sternberg, Monika Grütters und Chr. Markschies (zu ihm auf PuLa vgl. hier). Wie sagt das Sprichwort so richtig? “Wer solche Freunde hat braucht keine Feinde mehr!” […]
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