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Der Notausgang (Fortsetzung)

Der Notausgang Folge 2/2

Ein Sketch für drei Personen

(Wir erinnern uns: In Wundersdorf / Oderbruch stehen Edith und Emma, die für die erkrankte Reinemachefrau eingesprungen ist, auf dem Pfarrhof und tauschen Neuigkeiten aus, als plötzlich ein Feuerwehrauto mit Licht- und Hornsignal angebraust kommt und vor dem Gemeindehaus zum Stehen kommt.)

Der Feuerwehrmann: Guten Morgen, die Damen! Frau Schramm?

Emma: Bedaure. Frau Schramm ist nicht da.

Edith: Die löscht hier schon lange keine Brände mehr (Sie lacht).

Der Feuerwehrmann (etwas unsicher): Aber, bei uns ging ein Anruf ein, in der katholischen Gemeinde würde es brennen, wir sollten kommen – und da wäre eine Frau Schramm im Sekretariat.

Edith: Also – im Pfarramt bei uns brennt schon lange die Luft, klar! – aber so akut?

Emma (muß wegen Ediths Bemerkung ein Grinsen unterdrücken): Da hat wohl leider jemand eine Straftat begangen und Sie umsonst hierhergeschickt.

Edith (für sich): Na, da können wir ja jetzt drauf warten, daß Corinna einen Brandschutzbeauftragten benennt, dann hat sie endlich wieder einen Angestellten, den sie herumkommandieren kann … Und Geld ist ja jetzt übrig …

Der Feuerwehrmann (baut sich ärgerlich vor den beiden Frauen auf): Ein falscher Alarm wird gemäß § 145 StGB: „Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln“ mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft!

Emma (nachdenklich): Hm!

Edith (betroffen): Wir können Ihnen leider nicht helfen – wir haben keinen Verdacht, wer das getan haben könnte. Das Pfarrbüro ist seit Wochen nicht besetzt, die Stelle ist ausgeschrieben.

Der Feuerwehrmann (läuft ein wenig unschlüssig hin und her; dann, mit Blick auf das Gemeindehaus): Aber – wo ich schon mal da bin: Ihre Notausgänge und die Feuertreppe hier sind seit längerem nicht inspiziert worden, das habe ich ohnehin auf der Agenda stehen. Machen wir‘s jetzt gleich mit! (Er marschiert auf die offene Tür des Gemeindehauses zu.)

Edith und Emma (sehen sich erschrocken an): Die Notausgänge …

Emma: Äääääh … wissen Sie … die Notausgänge …

Der Feuerwehrmann: Wenn Sie mich bitte begleiten wollen!

Emma (leise und hastig zu Edith): Schaufel du oben den Notausgang frei, der Unterrichtsraum ist noch offen, die Kinder sind vorhin erst raus. Ich halt ihn hier unten so lange hin. (Eilt dem Feuerwehrmann hinterher, laut und geschäftig): Ich komme schon!

(Während Emma und der Feuerwehrmann den großen Gemeindesaal betreten, stürmt Edith die Treppe zum oberen Geschoß hinauf und macht sich im Unterrichtsraum an die Arbeit: Vor dem der Tür gegenüberliegenden Notausgang türmen sich Stapelstühle. Es steht ein quadratischer Tisch mit Fernsehgerät davor und eine große Korktafel, an die Bilder und handbeschriebene Zettel gepinnt sind.)

Emma (im Erdgeschoß, gemütlich): So! Das ist der große Gemeindesaal. Hier finden die meisten Veranstaltungen statt. Hier diese Tür führt in den Pfarrgarten. Die ist offen, wenn draußen gegrillt wird und hier drin der Kuchen steht, zum Beispiel, beim Gemeindefest.

Der Feuerwehrmann (öffnet die Tür): Ah ja! Auch nach dem Abschließen von innen zu öffnen. Sehr gut! Da ist ja damals bei der Renovierung nicht gespart worden.

Emma (strahlt): Ja, das hatte der damalige Pfarrer sehr gut geplant und viele Gelder beantragt – auch von der Stadt. Das Gemeindehaus ist ja eigentlich auch für die offene Senioren- und Jugendarbeit da … Das sollten wir als Gemeinde ja gar nicht nur alleine nutzen … Das sollte gar nicht so viel leer stehen unter der Woche!

Der Feuerwehrmann: Ach so?! Und?

Emma: Naja … (Aus dem Obergeschoß hört man Schrammen und Poltern, das Edith beim Stühle- und Tischerücken verursacht.)

Der Feuerwehrmann (sieht an die Decke): Was ist denn da oben los?

Emma (lacht verlegen): Ach … das … das werden die Kinder sein … Der katholische Religionsunterricht findet ja hier im Gemeindehaus statt … da ist jetzt wohl gerade Schluß … Aber ich zeige Ihnen noch die Küche … (Sie lotst den Feuerwehrmann in die benachbarte Küche.)

Emma (plaudert, um Zeit zu schinden): Hier … Kühlschrank … Kaffeemaschine … Geschirrspüler … Das war ja damals was, mit der Bosch-Rückrufaktion, als es hieß, die Geschirrspüler sind alle brandgefährdet

Der Feuerwehrmann (schaut auf die Spülmaschine): Aber Sie haben doch ’ne Miele?!

Emma (lacht): Tjaha – äh, da haben Sie Recht! Aber in unserem Dekanat, die haben Bosch. (Im Obergeschoß schiebt und rumpelt es immer noch. Plaudert also weiter) Wissen Sie, was der Neffe vom Schwager von der Pfarrsekretärin dort ist, (wichtig) der hat nämlich einen ganz hohen Posten bei Bosch … Kwiatkowski heißen die. Die Sekretärin heißt ja Baumgarte, also das ist über ihre Schwester (überlegt kurz, dann, gestikulierend) – von ihrer Schwester der Mann der Bruder und dem sein Sohn – der ist bei Bosch. Irgendwo im Westen. Naja! Und da konnte er natürlich alle Geräte zu Sonderkonditionen beschaffen.

Der Feuerwehrmann (hat den Kühlschrank, Steckdosen und Stecker inspiziert und schaut gerade nach den Anschlüssen unter der Spüle; sich aufrichtend): Einmal mußten wir sogar ausrücken, weil was passiert war mit so einem Geschirrspüler – Wohnungsbrand! Hier in der Straße – wie heißt die noch – wissen Sie, wo die HO war – bis kurz nach der Wende, da an der Ecke, wo es so scharf rechts rum geht nach Petershagen – da war doch dann lange die Sparkasse, wo jetzt dieser Pfennigfuchser ist … (er blickt Emma fragend an; Emma nickt interessiert) – und von da noch drei-vier Häuser weiter, das haben sie jetzt so grün gestrichen, auf der linken Seite (Emma nickt eifrig) und da im dritten Stock. (Er kommt ins Erzählen) Da schlugen die Flammen schon aus dem Fenster vorne raus! Draußen eine Menschentraube! Wir konnten kaum ranfahren mit unserem Löschfahrzeug … (Edith kommt die Treppe hinuntergeschlichen.)

Emma (scheinbar unglaublich interessiert): Jaaa! Das ging ja durch die Zeitung damals! Ach! Und da waren Sie dabei, ja? (Der Feuerwehrmann wirft sich lächelnd in die Brust.)

Edith (vorsichtig): Ich will nicht stören (flüsternd zu Emma): Gib mir doch nochmal den Schlüssel zu dem kleinen Flur da …

Der Feuerwehrmann (energisch): Aber ich hab ja nicht ewig Zeit! Wir müssen jetzt mal nach oben gehen! (Er steuert die Treppe an.)

Emma (schlüpft an ihm vorbei und versperrt ihm den Weg): Wenn Sie erst nochmal hier nach dem Fahrstuhl – da hatten wir auch schon, daß der mitten zwischen zwei Stockwerken steckengeblieben ist! Das war schlimm! Da waren zwei Mädchen eingeschlossen!

Der Feuerwehrmann: Ja, kommen wir gleich zu. Ich gehe jetzt erstmal nach oben. (Er nimmt zwei Stufen auf einmal. Emma und Edith hechten hinterher.)

Edith (flüsternd zu Emma): Also der Unterrichtsraum ist ok – aber der kleine Flur, da darf er nicht reingucken …

(Emma nickt ihr verständnisvoll zu und seufzt auf. Oben angekommen, sieht sie die Stuhlstapel vor der Fahrstuhltür stehen. Die Pinnwand hat Edith mitten in den Raum gestellt, in dem die Unterrichtstische in einem „U“ aufgebaut sind. Der Fernsehtisch steht vor der Tafel.)

Edith (begleitet den Feuerwehrmann in den Unterrichtsraum): So! Bitte schön! Der Notausgang. Immer frei zugänglich.

Der Feuerwehrmann: Ah ja! (Er geht auf den Notausgang zu.) Und wo sind die Kinder?

Edith (verdutzt): Welche Kinder?

Emma (rasch, indem sie Edith einen „Sei bloß still“-Blick zuwirft): Ach – die werden durch den Notausgang runtergestürmt sein! Das machen sie gern, bei dem schönen Wetter – Sie wissen ja, wie Kinder sind!

Der Feuerwehrmann (will die Notausgangstür öffnen, die allerdings klemmt. Nachdem er sich mit Schwung dagegen geworfen und die Tür so geöffnet hat): Diesen Notausgang hat schon verdammt lange keiner benutzt! Das ist ja alles verquollen! Die Tür hier kriegt in dem Zustand kein Kind auf! (Er sieht die beiden Frauen streng an, die verlegene Blicke wechseln. Dann nimmt er die Pinnwand mitten im Raum in Augenschein.) Steht diese Pinnwand immer hier?

Edith (mit belegter Stimme): Selbstverständlich! Die wird ständig gebraucht … Sie sehen ja, vor der Tafel steht der Fernsehtisch.

Der Feuerwehrmann (hat die Pinnwand ein wenig studiert und sieht Edith kritisch an): Soll ich das glauben? Hier geht’s um eine Religiöse Kinderwoche.

Emma (errötend): Ähm – ja … die ist bei uns in den Winterferien … Die waren ja gerade erst.

Der Feuerwehrmann (liest): „RKW 2014“ – in den Winterferien 2014 wäre dann die letzte Nutzung gewesen …

Emma: Ach Quatsch – Winterferien – was rede ich denn: Weihnachtsferien wollte ich sagen …

Der Feuerwehrmann: Ich habe draußen noch eine zweite Tür gesehen. (Er geht ins Treppenhaus und sieht das Leuchtschild mit dem grünen Männchen, das den Notausgang markiert. Der Feuerwehrmann klinkt, aber die Tür ist verschlossen.)

Der Feuerwehrmann (im Tonfall einer sachlichen Belehrung): Die Tür darf nicht verschlossen sein, wenn sie zum Notausgang führt. Schließen Sie bitte auf!

(Emma trabt mit einem „Jetzt ist schon alles egal“-Gesicht heran und schließt die Tür auf, hinter der ein kleiner Flur zum zweiten Notausgang führt. Der Feuerwehrmann öffnet und ist angesichts dessen, was er zu sehen bekommt, sprachlos. In dem engen, kaum meterbreiten Flur stehen wiederum mehrere Stapel von Stühlen, drei längliche Tische und große runde Kleiderständer mit Sternsingergewändern und Kommunionkinderkutten. Edith und Emma werfen sich hilflose Blicke zu.)

Edith (flüsternd zu Emma): Also – wir haben ja wirklich alles versucht, um Corinna rauszuhauen, aber ich fürchte, da muß sie jetzt durch …

Emma (ebenso zurück, spöttisch): … als alleiniger „Hausrat“ …

Edith (flüsternd, aber grimmig): Das hat sie jetzt davon, daß sie immer und überall der Boß sein will!

Emma (ebenso): Geschieht ihr eigentlich ganz recht!

Edith: Wenn sie sich jetzt wieder aus der Verantwortung stiehlt, wie bei der Sternsingeraktion, was ich dir vorhin erzählt habe, dann gnade unserem Pfarrer Gott …

Emma (wurschtig): Dem geschieht’s aber auch recht! Warum läßt er immer alles schleifen!

Der Feuerwehrmann: Meine Damen! Ich habe genug gesehen! Das ist ja hanebüchen!!! Aber sagen Sie mal – warum um alles in der Welt sind hier so viele Stühle übrig?

Edith: Soviel ich weiß, wurde die Planung der ganzen Anlage hier zwischenzeitlich umgeworfen, als der Vorgänger von unserem jetzigen Pfarrer starb. Die Bibliothek ist jetzt nicht unten in einem großen Raum, sondern die beiden kleinen hier oben sind zusammengefaßt (Emma hat während Ediths Ausführungen die Tür zur Bibliothek geöffnet und läßt den Feuerwehrmann einen Blick hineinwerfen.)

Der Feuerwehrmann: Oh Gott! Und der teure flexible Raumteiler ist durch ein Regal verbaut! Das ist ja völlig absurd! (Er blickt die Frauen an) Aufs Geld kommt’s in Ihrer  Pfarrei wohl nicht an, wa?!

Edith: Naja – jedenfalls nicht, wenn es um Sachen geht. Da purzeln gern schon mal die Hunderttausender.

Der Feuerwehrmann (streng): Also – das geht mich nichts an … Aber die Notausgänge hier, die gehen mich was an! Und da werden wir tätig werden müssen. Sagen Sie mir bitte, an wen ich mich da wenden kann. Da gibt’s ein paar Auflagen und wir werden prüfen, ob die Maßnahmen durchgeführt wurden. (Kopfschüttelnd, während Emma ihm den Namen, die Anschrift und die Telefonnummer des Rektors der Pfarrkirche zu Wundersdorf im Oderbruch notiert): Da läuft der Pfarrer hier jeden Tag an den versperrten Notausgängen vorbei … und tut nichts …

Edith (für sich): Ich fürchte, unser Pfarrer versperrt sich seit Jahren in jeder Hinsicht den Notausgang, nicht nur hier im Haus!

 

ENDE

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

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