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Der Kardinal und der Kalbsbraten, Überlegungen zum Ende der Fastenzeit

Das gilt auch für das geistliche Leben: Wo Geist, Seele und Leib übereinstimmen und nicht entgegengesetzte Bestrebungen im Streit miteinander liegen, da erhält man vom Vater das, worum man bittet. Es gibt keinen Zweifel, daß man wirklich um etwas Gutes bittet, wenn Leib und Geist dasselbe verlangen. (Hl. Hieronymus)

Am 19. September 2014, einem Freitag abend, trafen sich die Teilnehmer des dritten deutsch(sprachig)en Bloggertreffens im Bildungshaus des Bistums Erfurt, das nach dem nahegelegenen Ursulinenkloster den Namen St. Ursula trägt. Das (leckere) Abendbuffet (incl. des „berühmten“ roten Tees 🙂 ) beinhaltete keinerlei Fleischanteile, was natürlich niemanden verblüfft hat, entspricht doch der Verzicht auf Fleisch an Freitagen uralter christlicher, Tradition, katholischer zumal.

Normalität also? Aber sicher! Jedoch…

Am 4. April 2014, ebenfalls einem Freitag abend, setzten sich die Mitglieder des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, die sich anläßlich ihrer Frühjahrsvollversammlung im Bildungszentrum (und Tagungshaus) des Erzbistums München-Freising, das nach Kardinal-Döpfner heißt, zusammengefunden hatten, zum Abendessen. Es gab Kalbsbraten und „Rahmschwammerl“, dazu wurde Rotwein gereicht. Es war der 5. Freitag der Fastenzeit.

Ebenfalls Normalität? Im Sinne dessen, was einem ‚immer wieder begegnet‘ gewiß!

Aber – gibt es dazu vielleicht auch ‚Normen‘?

Natürlich gibt es die. Wir haben es hier wirklich einmal mit einer sogenannten „Partikularnorm“ zu tun, also einem Regelungsgebiet, auf dem Rom die Zuständigkeit weitgehend auf die jeweilige Bischofskonferenz übertragen hat. Diese Übertragung geschah ursprünglich durch die Apostolische Konstitution ‚Paenitemini‘ Papst Pauls VI. vom 17. Februar 1966, in Kapitel III, Abschnitt VI. Nummer 1, in der die Reglungen für „Fasten und Abstinenz“ für die Gesamtkirche in Folge des 21. Ökumenischen Konzils (aka. 2. Vatikanisches Konzil) festgelegt wurden. Die Bestimmungen finden sich heute in den canones 1251 und 1253 des CIC (1983).
In Deutschland haben wir es näherhin mit der Partikularnorm Nr. 16 der Deutschen Bischofskonferenz zu tun, mit dem etwas umständlichen Titel: „Bußordnung/Fasten-Abstinenz (Kirchliche Bußpraxis/Weisungen zur Bußpraxis)“.

Allein, von der Festlegung von Aschermittwoch und Karfreitag als strikten Fast- und Abstinenztagen abgesehen hat das mit „Weisungen“ eher wenig zu tun und so ist dann ja auch die „Normalität“ im Sinne des empirisch Feststellbaren: Fasten und Abstinenz wirken wie weitestgehend abgeschafft.
Dabei hat sich ja mittlerweile ein Interesse an Fasten entwickelt, das die tiefe anthropologische „Richtigkeit“ dieser Verhaltensweise eindrucksvoll unter Beweis stellt, selbst der unsägliche „grüne“ Veggie-Day legt ja davon noch ein fernes Zeugnis ab und auch im (eher) kirchlichen Raum kommt es zu allerlei Verbindungen mit ökologischem Gedankengut (vgl. z.B. hier [Audiodatei DLF-Morgenandacht vom 20. Februar 2015]).

Daß es all solcher „Zusätze“ nicht bedarf ist (für mich) klar, aber von Fall zu Fall schaden sie vielleicht auch nicht, aber das soll heute das Thema  nicht sein.

Eher schon frage ich mich, wie das Kardinal-Döpfner-Haus eigentlich folgende Sätze aus der Partikularnorm Nr. 16 interpretiert: „Das Freitagsopfer kann verschiedene Formen annehmen: Verzicht auf Fleischspeisen,  der nach wie vor sinnvoll und angemessen ist […]“, „Das Zeugnis gemeinsamen Freitagsopfers hat zudem seinen besonderen Wert. Kirchliche Häuser […] können hier ein Beispiel ge­ben.“
Ah ja! Wirklich? Können sie? Mit Kalbsbraten, ja? Scheint, manche Häuser (in der Disapora…) können es eher als andere.

Doch ich will heute einmal nicht vorwiegend (Rechts-) Texte intensiv betrachten und mir auch versagen, „Paenitemini“ näher zu beleuchten, obwohl das, glaube ich, lohnen könnte.
Mich berührt dieser Text ganz eigentümlich, wenn man ihn heute, nach fast 50 Jahren liest, wie neben solider Herleitung aus der Tradition das überdeutliche Selbstbewußtsein einer „neuen (besseren) Zeit“ steht, und man den Zeilen geradezu abspürt, daß sich ihre Autoren (und gewiß am allerwenigsten der Hl. Vater) vor lauter „konziliarem“ Optimismus überhaupt nicht vorstellen konnten, daß sie de facto einen Sargnagel der persönlichen Frömmigkeitspraxis geschmiedet hatten. Wie wir alle wissen, hat Papst Paul VI. nur wenige, ganz wenige Jahre später bereits nur allzu deutlich gespürt, wie problematisch etliche Entwicklungen waren, die in Folge des Konzils eintraten.

Ganz in diesem Sinne hat die Bischofskonferenz von England und Wales im Jahr 2011 ihre Regelungskompetenz genutzt und ist zum verpflichtenden Verzicht auf Fleisch an Freitagen zurückgekehrt! Ja, wirklich! (vgl. hier und hier). Schönerweise haben sie dazu den Jahrestag des Besuchs von Papst Benedikt XVI. auf der Insel, den 16. September, genutzt.
Freilich, wie soll man den Zustand finden, daß englische und walisische Katholiken dazu verpflichtet sind, deutsche aber nicht? Und wie ist das, wenn ich jetzt nach England fahre? Nehme ich dann „mein Recht“ mit? Solche Rechtsvorstellungen gab es übrigens im – Mittelalter… 😉  Und wenn nicht, wie ist das dann, wenn man sich vorstellt, man wohnt im Grenzgebiet zweier Bischofskonferenzen mit unterschiedlichen Regelungen. Kann ich dann am Freitag dorthin fahren, wo ich keine Abstinenz halten muß? ❓ „Fröhlicher Fasten-Tourismus“? 😕
Meines Erachtens ist das alles einfach nur albern und wir kehrten besser heute als morgen zu einer weltweit einheitlichen, ergo „katholischen“, Regelung zurück; an dieser Stelle wird erneut deutlich, daß sich diese eigentümliche und neumodische Organisationsebene „Bischofskonferenz“ zur Rechtssetzung schlicht nicht besonders gut eignet.

Und damit kommen wir, so seltsam das klingen mag, dem Auslöser dieser Betrachtungen ein ganzes Stück näher!
Haben Sie sich vielleicht schon gefragt, woher ich eigentlich weiß, was vor fast einem Jahr in einem Speisesaal in Freising geschah? Ich will ehrlich sein, so groß ist PuLas Korrespondenten-Netz noch nicht (aber wir arbeiten dran 😀 )
Und haben Sie sich vielleicht auch gefragt, wo eigentlich der „Kardinal“ in der Überschrift herkommt?

Nun, es war einer da, an diesem Abend im schönen Bayern, naheliegenderweise der örtlich zuständige, der Vorsitzende der Freisinger („Bayerischen“) Bischofskonferenz, der deutschen Bischofskonferenz, der Berater des Papstes, der…, die Aufzählung von Ämtern könnte noch (lange) weitergehen, kurz: Reinhard Kardinal Marx:

„Beim Es­sen im Speisesaal des Kardinal-Döpfner-Hauses wird Marx familiär. Den Rotwein trinkt er in langen Zügen, vom Kalbs­braten mit Rahmschwammerl nimmt er zweimal nach, beim zweiten Mal drei Krustenstücke. Er kaut, schimpft und lacht. Aber den Nachtisch lässt er stehen, und als alle denken, jetzt geht der Abend erst richtig los, da ist der Kardinal weg.“

So berichtete im CICERO die Journalistin und Romanautorin Sophie Dannenberg (CICERO 5, 2014, S. 41, momentan leider nicht [mehr] online) in einem auch sonst atmosphärisch sehr dichten Porträt. Dabei ist darauf hinzuweisen: Frau Dannenberg ist keine Katholikin, ja, sie bezeichnet sich selbst als (jedenfalls ursprünglich) „links“ (vgl. hier). Aber ihre ästhetische, eben „dichterische“ Sensibilität hat sie, ganz zum Abschluß ihres Artikels, erspüren lassen, wo etwas nicht stimmt.

Dabei ich habe ganz gewiß nicht die Absicht, die persönliche Bußpraxis eines Kardinals anzuzweifeln. Vielmehr gehe ich, selbstverständlich!, davon aus, der DBK-Vorsitzende wird, ganz der augenblicklichen Rechtslage entsprechend, eine andere Form der persönlichen Buße an diesem Freitag, diesem Freitag in der Fastenzeit, gewählt haben (und ich meine jetzt nicht, daß er den Nachtisch hat stehen lassen).

Es geht deswegen auch nicht etwa darum, wie sein Pressesprecher meinte, als ich ihn im vergangenen Jahr bereits um eine Stellungnahme zu dem Artikel gebeten hatte, „Fleischstücke nachzuzählen“.

Es geht aber darum, daß schon jeder einfache Priester besonders vorbildlich zu sein hat (cf. Paenitemini III c) „Abnegationis officium perfectiore ratione […] a sacerdotibus, charactere Christi altius insignitis, […] impleatur oportet […]“), vorbildhaft in „sichtbaren Zeichen“, solchen, die die Herde wahrnehmen kann.

Ein anderes Zeichen jedoch wurde an diesem Abend sehr wohl gesetzt: Mir gelingt es nicht, mir vorzustellen, wie man sich in diesem Rahmen deutlicher, ostentativer, ja, anstößiger außerhalb der jahrhundertealten Tradition der Kirche stellen könnte, als durch dieses Verhalten an einem Freitag in der Fastenzeit.

Deswegen war das tapfere Bemühen des Pressesprechers, seinen Chef zu verteidigen verlorene Liebesmüh: Nein, ich muß wirklich nicht „zählen“, ich weiß jetzt genug.

PS: Wer das alles nicht glauben will: Ich wollte es auch nicht und habe Frau Dannenberg im letzten Jahr gefragt. Ergebnis: Auch sie wollte ganz sicher gehen und hat extra in der Küche angerufen: Es war –  Kalbsbraten…

PuLa wünscht allen Lesern von Herzen einen guten Abschluß der Fastenzeit, „ertragreiche“ Heilige Tage und ein gesegnetes und frohes Osterfest!

 

3 Kommentare

  1. Ester schrieb:

    Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, als schämten sich die führenden Katholiken katholisch zu sein.
    Stand man früher am Zaun zur Welt und heulte weil man nicht hinüberkam, ist der Zaun verschwunden, und man traut sich aber immer noch nicht, die ungeliebte Weide zu verlassen, heult aber immer noch genauso wie früher rum.
    Langsam wuchert die Weide allerdings zu, was nicht weiter auffällt, weil der Schäfelein eh immer weniger werden und auch die Lämmchen nicht mehr so viele sind wie früher.
    Im Grunde will man wohl der Welt beweisen, dass man ganz normal ist, nur weiß die Welt das eben besser!

    Donnerstag, 2. April 2015 um 20:51 | Permalink
  2. Eugenie Roth schrieb:

    In unserem Nachbarort muss früher (vor dem Konzil) ein reicher Bauer gewohnt haben, der jeden Freitag seine Ochsen vor den Wagen spannte um in unseren Ort zu fahren.
    Denn wo man zu Gast ist (so ist meine Information) darf man (um den Gastgeber nicht zu beleidigen, aber da nehme ICH katholische Häuser aus!!!) alles essen, was einem vorgesetzt wird.

    Freitag, 3. April 2015 um 19:26 | Permalink
  3. sursum corda schrieb:

    Wenn man den Herrn Kardinal so sieht, besteht doch im Grunde kein Zweifel daran, dass er Verzicht und Askese sehr ernst nimmt 😉
    Vielleicht war es ja ein Tofu-Kalbsbraten…

    Sonntag, 5. April 2015 um 21:54 | Permalink

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