Um das folgende verstehen zu können, muß man, vor allem für die Leser außerhalb Weimars, ein wenig ausholen. Seit etlichen Jahren wird in unserer Stadt immer wieder die Umbenennung einer bestimmten Straße diskutiert. Das ist nun als solches alles andere als seltsam (mir fielen noch weitere „Kandidaten“ ein!) und auch die Tatsache, daß eine solche Debatte Jahre dauern und ganz unterschiedliche Standpunkte hervorrufen kann, ist nicht ohne Präzedenzfälle.
Nun fragen Sie sich vielleicht, was so ein (stadt-)geschichtliches Thema auf einem katholischen Blog zu suchen hat? Dazu kommen wir gleich und dann beantwortet sich auch die Frage, worin das „Seltsame“ an dieser speziellen Debatte liegt!
Diskutiert wird im vorliegenden Fall die Umbenennung der „Hans-Wahl-Straße“. Hans Wahl (1885 1949) leitete in der Zeit zwischen den Kriegen das Goethe-Nationalmuseum und ab 1928 auch das Goethe und Schillerarchiv, das jetzt an der Straße liegt, die seinen Namen trägt. Höchst bemerkenswerterweise verblieb er bis 1949 in diesen Ämtern, obwohl „völkisch“ orientiert und Mitglied der NSDAP.
Im vergangenen November hat die Klassik Stiftung zu der Thematik eine wissenschaftliche Tagung organisiert, die der öffentlichen Diskussion natürlich in erheblichem Umfang neue Nahrung gegeben hat.
Mir persönlich scheint, jedoch ohne, daß ich mich mit dem Für und Wider der Angelegenheit (bisher) näher befaßt habe, in dieser Lage sehr viel für eine Umbenennung zu sprechen. Das würde jedoch alles die Beschäftigung damit auf PuLa nicht rechtfertigen.
Die Angelegenheit hat jedoch seit einiger Zeit einen besonderen „katholischen Aspekt“!
Denn es wurde vorgeschlagen, die Straße künftig nach dem Sel. Otto Neururer zu benennen, dem österreichischen Priester, der im KZ Buchenwald gelitten und in Ausübung seines priesterlichen Dienstes das Martyrium erlitten hat. Unsere Pfarrei verfügt über Reliquien Otto Neururers und unser Gemeindehaus ist nach ihm benannt.
Bemerkenswert, nicht wahr? In einer Zeit, in der das Religiöse in der Öffentlichkeit allgemein eher auf dem Rückzug scheint, da entsteht gerade in dieser allgemein glaubensfernen Gegend und aus katholischer Sicht zumal in der Diaspora, der Gedanke, an einen katholischen Priester erinnern zu wollen, wenn es um den Widerstand gegen eine unmenschliche und widergöttliche Diktatur geht.
Ein schöner Gedanke, oder? Sollte man nicht die begeisterte Zustimmung der örtlichen katholischen Gemeinde erwarten?
Und damit beginnt es, das „Seltsame“. Es begann genauerhin mit einem Artikel (offenbar direkt) aus der Feder der stv. Vorsitzenden des Kirchenvorstands in der TLZ vom 15. Juni. Unter der Überschrift: „Gemeinde widerspricht“ verwahrte sie sich dort dagegen, die Gemeinde (korrekter wohl die Pfarrei!) habe dies vorgeschlagen sowie gegen die gegen die vom „Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus“ in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe „Antifaschist“ und „Widerstandskämpfer“.
Wir hatten gehofft, der eigentümliche Eindruck, den eine solche öffentliche Einlassung ausgerechnet von katholischer Seite machen mußte, würde untergehen, zumal am 30. Juni mit dem Leserbrief von Amei Mende ein deutlicher Kontrapunkt gesetzt wurde:
„[…] die Stadt, die Pfarrer Paul Schneider und Edith Stein ehrt, würde mit dem Namen Otto Neururer auch ein Zeichen setzen. Es ist kaum denkbar, dass eine städtische Würdigung des Märtyrers – weil auch andere dafür wären – ausgerechnet am Widerstand der katholischen Gemeinde scheitern sollte.“
Damit schien alles gesagt, aber ein Leserbrief des Initiators der künftigen Benennung nach Otto Neururer in der heutigen Ausgabe der TLZ, zeigt, daß es leider nicht an dem ist, und daß zusätzliche Erläuterungen erforderlich sind. PuLa antwortet daher Herrn Dr. Johannes Bock in Form eines Offenen Briefes:
Sehr geehrter Herr Dr. Bock,
mit großer Aufmerksamkeit haben wir heute in der TLZ Ihren Leserbrief zum Thema der künftigen „Otto-Neururer-Straße“ gelesen.
Sie schreiben darin: „Einigermaßen unerwartet gab es die in der Thüringischen Landeszeitung von Christine Herzog publizierte Stellungnahme „Widerspruch zu Neururer Straße“. Falls das die Meinung der Gemeinde sein sollte, frage ich allen Ernstes, ob in Europa nur noch im Olympischen Dorf in Innsbruck per Straßennamen an den österreichischen Pfarrer erinnert werden kann?“
Diese Sorge, sehr geehrter Dr. Bock, können wir Ihnen nehmen! Sie werden schon dem Leserbrief von Frau Mende in der TLZ vom 30. Juni entnommen haben, daß die Stv. Vorsitzende des Kirchenvorstands keineswegs die vorherrschende Stimmungslage in der Herz-Jesu-Gemeinde wiedergibt.
Sie müssen darüber hinaus ihre Äußerung im Kontext betrachten, um sie richtig zu bewerten. Die Betreffende ist aus dem genannten Ehrenamt heraus in keiner Weise befugt, in einer solchen Frage für die Pfarrei Herz-Jesu zu sprechen (vgl. hier §§ 1, 3 und 10)! Sie neigt allerdings leider dazu, diesen Eindruck zu erwecken, sogar, wenn sie gerade über gar kein Amt verfügt (vgl. hier) aber das ändert nichts an den rechtlichen Tatsachen: Ausschließlich dem Ortspfarrer stünde hier eine Stellungnahme im Namen der ganzen Pfarrei zu! Eine solche Äußerung gibt es unseres Wissens aber nicht.
Sie müssen sich auch nicht dafür entschuldigen, Dr. Bock, daß Sie nicht „alle gefragt“ haben, denn manche sind einfach gar nicht zuständig, egal wieviel sie reden!
Es gab auch in der Gemeinde keinen Meinungsbildungsprozeß zu dieser Frage, wie ebenfalls Frau Mende schon geschrieben hat. Hätte es ihn gegeben, ich habe keinerlei Zweifel daran, wie er ausgegangen wäre. Mit großer Zustimmung und herzlichem Dank für Ihre Initiative!
Wir haben es übrigens besonders schön gefunden, daß Sie den Sel. Carl Lampert erwähnt haben! Vielleicht wissen Sie es nicht, aber im Jahr 2011 gab es in der Weimarer Pfarrei sehr wohl ein Gedenken anläßlich seiner Seligsprechung! In kleinem Rahmen, aber immerhin. Schauen Sie hier und hier!
Wenn wir Ihnen einen Rat geben dürfen: Warten Sie in Ruhe die Sommerpause ab und wenden sich ab September an den neuen Ortspfarrer. Dann wird Schluß sein, mit unzuständigen Querschüssen.
Für Ihre Initiative dankbare Pfarrkinder wünschen Ihnen einen schönen Sommer!
Cornelie Becker-Lamers & Gereon Lamers
5 Kommentare
Stimmt es, dass Reliquien des sel. Otto Neururers im Altar sind? Reliquien gibt es doch nur von Heiligen? Meines Wissens sind Reliquien des hl. Sturmius, eines Begleiters des hl. Bonifatius, im Altar!
Hm, das ist ein guter Punkt, vielen Dank! Da es auf die Schnelle (Mittagspause!) nicht zu klären ist, werde ich die Formulierung im Beitrag sicherheitshalber ändern.
Nochmals Dank und Gruß
GL
Hallo Marietta, ich glaube schon, daß Asche von Otto Neururer auch im Altar ist. Da formuliert unsere Gemeindehomepage (unter Historisches – Persönlichkeiten) allerdings zu ungenau (so ist das, wenn das Redaktions“team“ über Jahre aus einer einzigen Person besteht, die auch noch alles andere alleine machen will).
Aber Reliquien von ihm gibt es auf jeden Fall: Denk doch an den spektakulären Raub und die noch spektakulärere Wiederauffindung des Neururer-Reliquiars aus Schöndorf, letzten Herbst, PuLa hat das hier aufgearbeitet (mit weiteren Links zu Zeitungsartikeln etc.: Hier und Hier).
Apropos: Hat Herr Paech eigentlich seine 1000 Euro Finderlohn zuguterletzt doch noch bekommen?
Neururers Geburtsort Piller besitzt auch eine Reliquie von ihm: Hier!
O. k. habe mich schlau gemacht, Reliquien sind nicht unbedingt an die Heiligsprechung gebunden.—Was allerdings genau im Altar ist, lohnt sich zu recherchieren.
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