Der englische Besuch
Ein Sketchlet für acht Schafe, zwei Lämmchen und beliebig viele Schafstatisten
proudly starring also
Mighty M. („Jabba the hutt“) KingBear
as himself
Wundersdorf, Schafweide. Sonntagnachmittag zur Kaffeezeit. Milde lächelt die Sonne unseren Wundersdorfer Schäfchen zu, an diesem Zweiten Adventssonntag. Sie hat aber heute dort auch jede Menge zu bescheinen – heidewitzka! Was für ein Auflauf. Die Lämmchen und Schäfchen stehen am Weidezaun und Fixi drückt sich am Gatter die Nase platt.
Sie tuscheln, warten und lauschen.
Was ist nur los?
Da! Jetzt kommt Bewegung in die Menge. Von Ferne ertönt ein Tuckern, wie man es früher hier des öfteren vernahm. Ein Pritschenwagen ganz ähnlich dem alten gemeindeeigenen kommt über den Hügel gefahren und bremst sanft an der Weide ab. Das Auto ist Gott weiß wo zugelassen und trägt das Kennzeichen „BRA“. Wir haben keine Zeit, darüber nachzudenken, welche Stadt das sein könnte, denn von der Ladefläche springen drei quicklebendige Schäfchen herab und dem Führerstand entsteigt ein junger Mann. Lächelnd geht er auf die Schäfchen zu. Bevor sie sich begrüßen können, stimmen allerdings Flocke und eins der Gastschafe ein großes Hallo an.
Flocke: Curly! Schwesterherz!!! Laß dich umarmen!
(Die beiden fallen sich in die Vorderläufe.)
Curly (blickt Flocke gerührt an): Das wurde aber auch wirklich mal wieder Zeit!
Flocke: Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!
Curly: Es ist aber doch auch ein ganzes Ende von Cornwall bis hierher.
Flocke: Wie gut, daß du die Mitfahrgelegenheit über deine Freunde aus Nordenham organisieren konntest.
(Alle Schafe begrüßen die drei Neuankömmlinge. Grauchen und Blütenweiß verwickeln die beiden norddeutschen Schafe sofort in ein Gespräch und tauschen sich mit ihnen über den Verlauf ihrer langen Reise aus.)
Fixi (neugierig zu Curly): Und du kommst wirklich aus England?
Curly: Ja, Fixi, ich komme aus England. Aber ich habe euch ja unseren freundlichen Fahrer noch gar nicht vorgestellt: Das ist Jabba.
Kohle: Guten Tag, Herr Jabba.
Jabba (lacht): Jabba ist eigentlich nur mein Spitzname. Ich heiße König-Bär.
Kohle: Oh, Entschuldigung! Guten Tag, Herr König-Bär.
Jabba: Nichts für ungut! Aber es zieht ja ganz mächtig hier – trotz der Sonne. (Er zieht seine Kapuze fester um den Kopf.)
Kohle: Mächtig, mächtig, Herr König-Bär. Aber kommen Sie doch bitte in den Unterstand. Dort ist es windgeschützt und wir haben eine Kleinigkeit zu essen vorbereitet.
Flocke (zu Jabba, charmant): Vielen Dank, daß Sie meine Schwester und ihre deutschen Freundinnen hergebracht haben! (äußerst charmant) Das war wirklich reizend von Ihnen!
Jabba (jovial): Oooooch – nicht der Rede wert! Ich fahre zur Zeit ständig zwischen Berlin und Nordenham hin und her – da kann ich immer mal ein paar Schafe mitnehmen! Überhaupt kein Problem.
Wolle: Trotzdem danke!
Huf (neugierig): Fahren Sie von Berlin nach Nordenham und zurück oder von Nordenham nach Berlin und zurück?
Jabba: Ach weißt du, Fixi …
Huf: Ich bin Huf.
Jabba: … Huf, das ist mittlerweile eine Frage nach dem Huhn und dem Ei. Ich fahre immer hin und her – das ist alles. Aber jetzt muß ich wieder los. Vielen Dank für die Einladung, Kohle – vielleicht ein andermal. Ich will noch im Hellen in Berlin sein. (Er wendet sich zum Gehen, über die Schulter zurück) Schick mir einen Tweet, wie der Nachmittag gelaufen ist.
Kohle: Ehrensache, Jabba! (Er begleitet den Gast zum Gatter und stupst es hinter ihm mit der Schnauze zu.)
(Die Schafe bummeln zum Unterstand, damit die drei Gäste ankommen und sich ein wenig stärken können.)
Curly (nachdem sie ausgiebig getrunken hat): Und ihr plant also ein interkulturelles Krippenspiel?
Grauchen: Ganz recht, Curly. Weißt du, es sind doch einige Flüchtlinge jetzt hier in der Gemeinde – für die muß man etwas tun.
Blütenweiß: Gerade zu Weihnachten!
Curly: Und jetzt soll ich euch über englische Weihnachtsbräuche erzählen?
Fixi und Huf (begeistert): Ja, bitte!
Curly: Aaaaalso … Santa Claus …
Huf (unterbricht): Neinnein! Das ist ja Nikolaus, das wäre ja schon heute – das schaffen wir zeitlich nicht mehr!
Curly: Nein, Huf. Santa ist nicht der Nikolaus. Nikolaus feiern die Engländer nicht, genauso wie Sankt Martin oder so – alles Fehlanzeige. Santa ist der Weihnachtsmann.
Fixi: Santa …! Wie das klingt. Das heißt doch einfach Heiliger. Als gäbe es keine anderen Heiligen.
Curly: Tja, damit sieht‘s in England auch wirklich schlecht aus, wißt ihr, die Engländer sind ja in ihrer Mehrheit nicht katholisch.
Wolle: Ach ja, stimmt ja … aber es wird doch irgendwelche Patrone geben?
Curly: Es gibt, ja, aber die heißen Saint … Saint George bei uns, und Saint Andrew in Schottland, und Saint Patrick in Irland und Saint David in Wales. Ihre Festtage sind mehr oder weniger ein Grund, sich zu betrinken …
Flocke: Oh je! Aber Santa ist immerhin der Weihnachtsmann?
Curly (nickt): Santa ist Santa Claus und das ist der Weihnachtsmann . Ich denke, er ist aus einer amerikanischen Tradition nach England gekommen. Er kommt mit einem Schlitten, den acht Rentiere ziehen, durch den Kamin.
Fixi (beginnt leise zu singen): Rudolph, the red-nosed, reindeer …
Curly (lacht): Ja, Rudolph ist das bekannteste – aber eigentlich gehört er gar nicht zur klassischen Ausstattung des Rentierschlittens. Das sind Dancer and Prancer, Dasher, Comet and Cupid … puh (sie überlegt) … ach ja: Vixen und Donner and Blitzen.
Kohle (elektrisiert): Donner und Blitzen?
Curly: Ja. Donner und Blitzen. Aber ich glaube, niemand weiß, daß das Donner und Blitzen heißt.
Fixi: Hä?
Curly: Wenn die Engländer „Blitz“ hören, denken sie an den „Blitz“, also die deutsche Luftoffensive 1941, das ist sehr präsent, aber sie wissen nicht, daß es „Blitz“ – also „lightning“ – heißt.
Grauchen (schüttelt den Kopf): Donner und Blitzen!
Fixi (leise zu Huf): Erinnerst du dich, was wir damals in der Bibliothek über Knecht Ruprecht gelesen haben?
Huf: Daß der Name eine Liquidmetathese aus Rauh-Percht, der rauhen Perchta ist
Fixi: … der Regen- und Fruchtbarkeitsgöttin den Germanen! Genau! (Sie schaut Huf vielsagend an.)
Huf: … und du meinst …
Fixi: Donner und Blitzen! Genau! In der Santa-Legende steckt auch noch die Wettergöttin drin!
Huf (erschüttert): Donner und Doria!
Curly (hat inzwischen weitererzählt): … in der Heiligen Nacht, also in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember durch den Kamin, und man hängt die Socken dort auf, die er vollstopft.
Wolle: Klar!
Curly: Damit Santa sich stärken kann, muß jede Familie ein Glas Sherry und ein paar Mince Pies am Kamin aufstellen.
Flocke (schüttelt sich): Brrr! Die Engländer immer mit ihrem Pfefferminz …
Curly: Mince, nicht mints.
Blütenweiß: Mä? Nochmal.
Curly (erklärt): Mints sind Pfefferminzbonbons. Aber Mince Pies kommt von dem Verb to mince – das heißt kleinhacken. Mince Pies wären eigentlich Gehacktesküchlein, also Teilchen mit Hackfleischfüllung. Aber man nimmt heute kleingehackte Früchte in Blätterteigtaschen, mit Soße. – Also mir schmeckt es nicht besonders … (Sie zupft ein Löwenzahnblatt vom Buffet und verspeist es genüßlich.)
Wolle: Das ist egal! Wenn es traditionell ist, backen wir das!
Flocke: Äh … und wer, bitte schön …
Wolle: Teresa?
Fixi: Das ist gut! Teresa wird uns gerne helfen!
Huf: Laß uns gleich morgen zu ihr gehen und die Sache klar machen.
Blütenweiß: Edith wird „begeistert“ sein …
Wolle: Wieso? Die Kinder, Teresa und Emily, machen doch ohnehin beim Krippenspiel mit – da kann sie als Mutter auch was backen!
Kohle (weltmännisch): Das ist schließlich ihre Aufgabe!
(Einige empörte Schafe setzen zu einem breitangelegten Disput über die Aufgaben von Müttern in den Familien an, als es an die Tür des Unterstandes klopft. Es ist der neue Hirte der Wundersdorfer Herde. Eine tüchtige Brise frischen Windes fegt durch den Raum, als er den Unterstand betritt.)
Kohle: Guten Abend, lieber Hirte!
Der neue Hirte: Guten Abend! Ja – ich wollte mich auch hier in der Gruppe mal vorstellen.
Flocke: Immer herein spaziert. Wir planen das interkulturelle Krippenspiel für in zwei Wochen.
Der neue Hirte (blickt sich im Unterstand um): Coole location! (Er schiebt seinen Hut ein wenig in den Nacken.) Das ist ja toll, daß ihr euch da so engagiert! Vielen Dank!
Die Schafe (durcheinander): Ehrensache! – Bitte, bitte. – Aber gern! – Aber das ist doch selbstverständlich!
Der neue Hirte: Und – wie sieht’s aus? Meint ihr, ihr kriegt dieses Krippenspiel wirklich hin?
Die Schafe (durcheinander): Na klar! – Jederzeit – Da können Sie ganz unbesorgt sein! –Lassen Sie uns mal machen.
Flocke (grinst): Wir schafen das.
Hirte (lacht): Ihr schaft das? Na, dann bin ich ja beruhigt.
(FORTSETZUNG FOLGT)
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
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[…] (zerstreut): Mhm. (Sie schaut in den Backofen, ruft): Teresa, ich glaube, die Mince Pies können gleich raus. (Nach einem Blick auf die Eieruhr) Noch zweieinhalb Minuten. (Sie spült den […]
[…] gebastelt. Es sieht entzückend aus! Im dritten Geschirr machen wir Flocke und ihre Schwester Curly aus und vornean läuft, eine dicke rote Nase im Gesicht, Kohle. Er ist also der „Rudolph“. Klar: […]
[…] in Gruppen und reden, andere vertreiben sich die Zeit im Unterstand. Fixi und Huf, die gerade vom Plätzchenbacken bei Teresa und Emily zurückgekommen sind, beanspruchen ebenfalls Raum für ihre Erzählungen. Eine […]
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