Das Unterstanding (4/4) Ein Sketchlet zum 4. Advent
Das interkulturelle Krippenspiel
Ein Sketchlet für – ach! alle möglichen Mitspieler
Wundersdorf, vor der katholischen Kirche Maria Hilf! Aus Richtung des Gemeindehauses kommt mit viel Geklingel ein Rentierschlitten daher gefahren. Äh … Schlitten? Bei den Temperaturen? Nein. Da sausen sie an uns vorbei und über den barrierefreien Zugang in die zum Bersten gefüllte Kirche hinein. Schnell hinterher! In Ermangelung von Rentieren ziehen acht Schafe das Gefährt. Aus dürren Zweigen haben sie sich kleine Geweihe zwischen die Öhrchen gebastelt. Es sieht entzückend aus! Im dritten Geschirr machen wir Flocke und ihre Schwester Curly aus und vornean läuft, eine dicke rote Nase im Gesicht, Kohle. Er ist also der „Rudolph“. Klar: Das schwarze Schaf eben, das letzten Endes alles rausreißt. Das paßt! „Santa“ – Moment! … ist das nicht der dicke Rudi? Na klar! – „Santa“ also thront auf einem alten Bollerwagen und winkt nach allen Seiten. Sie sind fast im Altarraum angekommen, als die Choralschola zu singen beginnt. Wie schön! Einen Introitus zum Krippenspiel. Nette Idee! Aber … was singen sie da eigentlich?
In der Kirche rumort und kichert es.
Hanna (in der Bank, leise zu Edith): Sie singen nicht wirklich „Rudolph the red nosed reindeer“ auf lateinisch?
Edith (grinst): Hört sich ganz so an!
Karl (schaltet sich ein): Wo haben sie das bloß her?
Edith: Kohle hat die letzten Wochen über Twitter einen Adventskalender verfolgt, bei dem irgendein Blogger jeden Tag O-Antiphonen ins Netz gestellt hat – auch gregorianische. Darüber ist er drauf gekommen.
Richard: Fehlt für Rudolph nur der Nebel.
Hedwig: Dabei ist in der katholischen Kirche nichts leichter als das!
Silke: Wie soll ich denn das verstehen?
Hedwig: Na, Weihrauch!
Silke: Ach so! Ich dachte schon …
Hanna: Tja. Die Weihrauchpraxis ist in den letzten Jahren bei uns ein wenig eingebrochen.
Karl: Aber sagt mal – ein gregorianisches Lied zum Einstieg … das ist ja mutig. Schließt das nicht Leute aus?
Hedwig: Die Idee war glaube ich, daß das Lateinische eben gerade das Interkulturelle ist und alle katholischen Christen verbindet.
Silke: Ah! Das Intrakulturelle, sozusagen.
Hedwig: Sozusagen.
Edith: Da ist was dran – und zugleich das Rudolph-Lied – american culture in der lingua franca der alten Kirche. Das hat was!
Richard: Wo hat Kohle eigentlich seine rote Nase her?
Hanna: Die hat er von einem Kirchenclown leihen können.
Richard: Ah! Na, da war‘s ja mal zu was gut …
Edith stupst ihn vorwurfsvoll in die Seite und Hanna legt den Finger auf die Lippen, denn „Santa“ hat sich aus seinem Karren befreit, im Altarraum aufgebaut und hebt zu sprechen an.
Rudi (deklamatorisch):
Kommt her, ihr Kinder, ihr Männer und Frau‘n!
Kommt, unser Krippenspiel anzuschau‘n.Als Geschenk bring ich euch die Weihnachtsgeschicht,
und wehe euch, ihr mögt sie nicht! (Er droht wirkungsvoll mit dem Finger).Dieses Jahr sind Menschen hier
aus Syrien, so sagt‘ man mir,
wo stand des Christentumes Wiege.
(zu den Kleinen) Ja, glaubt es nur! ‘S ist keine Lüge.Drum sind beim Schauspiel sie dabei
mit ihrer Sprache frank und frei.
Ein jeder spricht in seinem Idiom.
(zu den Kindern) Ich glaube, ihr versteht das schon!Wir brauchen keinen Übersetzer,
nicht Rushdie und nicht Günther Netzer.
Denn Euch ist ja die Geschichte vertraut,
habt sie gehört und angeschaut:Die Reise, schrecklich unbequem,
von Nazareth nach Betlehem.
Mit ihrem ungebor‘nen Kind
Maria und Joseph so tapfer sind.Und wie das Kindlein kommt zur Welt,
daß Fried‘ auf Erden Einzug hält.
So kündet’s der Engel Hallelujah
auf syrisch und deutsch der Hirten Schar.Nun wünsch ich euch der Freuden viel
beim ganz besond‘ren Krippenspiel.
„Santa“ verbeugt sich und nimmt an der Seite des Altarraumes Platz.
Tja, und so nahm das inter- oder besser: intrakulturelle Krippenspiel in Wundersdorf seinen Lauf. Zum Teil, wie man es eben kennt: Flocke war die ganze Zeit halb abgelenkt, weil sie sich fragte, was wäre, wenn Fixi zwischendurch aufs Klo müßte (was nicht der Fall war). Denn es war ja das erste Krippenspiel, das die Herde wirklich mitspielte. Schließlich hatte ihnen Krutzi damals einen Strich durch die Rechnung gemacht (vgl. hier, hier und hier). Und in der Kirche hatten sie auch noch nie gespielt. Aber – wie gesagt – wie so häufig umsonst gesorgt, alles lief glatt. Einzelne Szenen aber erhielten eine ungeahnte Emotionalität, da die ganz konkreten Erfahrungen einiger Flüchtlinge mit Händen zu greifen waren. Edith mußte an die legendäre Aufführung mit den „Herdmanns“ denken (auch wenn die neuen syrischen Gemeindemitglieder ansonsten natürlich nichts, aber auch gar nichts mit den Raufbolden der „Herdmann-Kinder“ gemeinsam hatten.) Das Hirtenvolk oder auch die Engel sangen einige schöne Lieder, die Gemeinde durfte zuletzt auch etwas singen, und so verließen alle frohen Mutes, gestärkt und eingestimmt auf das Christfest die Kirche. Wer konnte, fuhr noch mit hinaus auf die Weide, wo die Schafe bekanntlich eine kleine Party im Unterstand organisiert hatten – mit jeder Menge Mince Pies und allem drum und dran.
Ach so – Sie fragen, wie die Schafe eigentlich in die Stadt und zurück auf ihre Weide kamen? Stimmt, das haben wir noch gar nicht erzählt. Der gute „Jabba“, Herr König-Bär, hatte es sich nicht nehmen lassen, mit seinem Pritschenwagen nach Wundersdorf raus zu kommen und die Schafe zu kutschieren. Er blieb auch nach dem Krippenspiel im Unterstand noch eine Weile dabei, und Flocke will aufgeschnappt haben, daß er auf der Suche nach einem neuen Auto ist. Das kann er sich aber erst leisten, wenn er die alte Karre verkauft hat. Und in dem Zusammenhang soll er unseren neuen Hirten beiseite genommen haben … Aber das hab ich jetzt nicht gesagt, gel?! Nicht, daß es nachher wieder heißt … Also für irgendwelche Spekulationen ist es noch viel zu früh!
ENDE
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
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