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Die Stoffsammlung

Die Stoffsammlung

Ein Sketchlet für fünf Personen

 

Wundersdorf, Oderbruch. Auf dem Pfarrhof der katholischen Gemeinde Maria Hilf! Silke will gerade im Pfarrbüro die nächsten Kantorendienste absprechen, als auch Emma angeradelt kommt. Beide begrüßen sich schon aus der Ferne und schließen ihre Fahrräder an. Als Emma ewig an einem riesigen Paket in ihrem Fahrradkorb herumhebt, kommt Silke auf sie zu.

Silke: Grüß dich, Emma!

Emma (zerrt an dem Paket): Ja! Guten Morgen erstmal! (Sie umarmen sich.)

Silke: Sag mal! Was schleppst du hier für ein Paket an?

Emma (hat es herausgewuchtet): Na, die Stoffreste.

Silke: Was für Stoffreste?

Emma: Hast du nicht gelesen? Stand doch in den jüngsten Vermeldungen – es wird dringend rosafarbener Stoff gesucht für ein rosa Gewand!

Silke: Wie? – Was? – Sternsinger? Was für ein rosa Gewand?

Emma: Nicht Sternsinger! Ein rosa Gewand für Laetare und Gaudete! Das fehlt hier doch seit Jahren.

Silke: Das fehlt, stimmt! Aber sie können doch für liturgische Gewänder nicht …

Emma: Da stand, jeder, der irgendwelche rosanen Stoffreste übrig hat … (läßt Silke in ihr Paket gucken): Schau! Rosa! (Sie blickt Silke erwartungsvoll an.)

Silke (faßt in das Paket): Ja, aber … das ist ja … dieser Baumwolljersey … für was war das denn mal gedacht?

Emma: Das ist Sweatshirtstoff. Ok – du hast recht, nicht das tollste … aber besser als nichts – so wie es jetzt die ganzen Jahre über war!

Silke (zieht ein Stück des Stoffes heraus und entdeckt, daß er bedruckt ist; entsetzt): Hör mal! Das ist doch – ist das nicht Prinzessin Lilifee? (Sie breitet das Bild aus und schaut es kopfschüttelnd an.)

Emma (verlegen): Ja – das ist natürlich Mädchenstoff, ich meine – ohne was kriegt man das ganz schwer!

Silke: Aber du kannst doch nicht …

Emma (wiegelt ab): … das Bild machen wir auf die Schauseite, die sieht doch heute keiner mehr! (Sie blickt zur Uhr.) Um Himmels Willen! Schon achtunddreißig! Silke! Sei ein Schatz und gib du das für mich beim Pfarrsekretär ab – ich muß unbedingt zur Bahn! (Sie drängt Silke ihr Stoffpaket auf.)

Silke (läßt sich das Paket in die Arme drücken): Na, du hast Nerven – aber ok, ich muß ja sowieso rein. Gib her! (Sie rüttelt das Paket zurecht, um es besser tragen zu können.)

Emma (schwingt sich auf ihr Fahrrad): Vielen Dank, Silke! Du hast was gut bei mir! (Sie radelt vom Hof.)

Silke: Frohes Schaffen!

(Als Silke eben versucht, bepackt wie sie ist die Tür des Pfarramtes zu öffnen, klingelt es hinter ihr und Hanna schwingt sich von ihrem Fahrrad.)

Hanna: Guten Morgen! Na? Was schleppst du denn da an?

Silke: Von Emma. Stoffe.

Hanna (hält ihr die Tür auf): Ouh! Was besonderes. Ich will mal wieder bloß den Schlüssel holen (sie lacht). Was denn für Stoff?

(Sie klopfen und betreten das Pfarrbüro, in dem der neue Pfarrer und der Pfarrsekretär gerade vor dem Bildschirm sitzen und irgendeine Problemlösung auszubrüten scheinen. Sie sehen nachdenklich aus. Ihr Gesichtsausdruck ändert sich schlagartig, als sie die beiden Frauen begrüßen – und vor allem, als Silke ihr Paket auszupacken beginnt.)

Silke: Hier. Das ist von Frau Schramm. Stoffe.

(Der Pfarrsekretär fängt als erstes an zu lachen.)

Silke (irritiert): Ich hatte die Notiz übersehen, aber Frau Schramm sagte, wegen des rosa Gewandes …

(Jetzt lacht auch der Pfarrer.)

Hanna (fängt an, die Lage zu peilen, zu Silke): Sag nicht, ihr habt rosa Stoffreste angeschleppt … (sie lacht jetzt auch.)

Silke: Naja – ich wie gesagt nicht, aber Frau … (blickt von einem zum andern) Sagt mal – was ist eigentlich los?

Der Pfarrsekretär: Haben Sie mal aufs Datum geschaut?

Der neue Pfarrer: Am Freitag war der 1. April.

Silke (sinkt auf einem Stuhl zusammen, das Stoffpaket auf dem Schoß, und fängt auch an zu lachen.)

Hanna: Das kann doch nicht wahr sein!

Der Pfarrsekretär: Rosa Sweatshirtstoff – also ganz so nötig haben wir’s doch noch nicht!

Silke: Sie haben Nerven!

Der neue Pfarrer: Ich habe nicht wirklich geglaubt, daß jemand darauf hereinfällt – es ist eigentlich zu irre! Stoffspenden für ein liturgisches Gewand …

Hanna: Die Wundersdorfer nehmen alles ernst! (Sie lacht.)

Silke: Tja – wir sind eben hilfsbereit! Aber jetzt mal Spaß beiseite: Maria Hilf! hatte früher ein rosa Gewand. Ich bin ganz sicher!

Hanna: Na klaaar!!! Wir hatten immer ein rosa Gewand! Bis vor ein paar Jahren – seit ein paar Jahren ist es weg.

Silke: Und Triebschens aus Petershagen haben erzählt, dort wär seit einigen Jahren eins, das sie früher nicht hatten.

Hanna: Du meinst – ob das unsers ist?

Der neue Pfarrer: Wieso sollte das unseres sein?

Silke: Frau Bischof hat alles versilbert! Denken Sie doch nur mal an den Pritschenwagen… Also – ich würde ihr zutrauen, daß mal wieder an irgendeiner Ecke Geld für eines ihrer Bauprojekte fehlte …

Hanna: Wir sollten es jedenfalls in Augenschein nehmen!

(Das Telefon klingelt.)

Der Pfarrsekretär (nimmt den Hörer ab): Pfarrbüro Maria Hilf! Wundersdorf – einen wunderschönen guten Morgen! (Er lauscht) Ah! Frau Engelke! (Er lauscht und beginnt zu schmunzeln.) Haben Sie recht herzlichen Dank, Frau Engelke, das ist wahnsinnig nett von Ihnen! Aber ich glaube, wir lösen das Problem gerade auf andere Weise! (Er lauscht) Genau so ist es! Herzlichen Dank nochmal! Auf Wiederhören! (Er legt auf. Alle schauen ihn erwartungsvoll an.) Das war Frau Engelke. Sie sagte, Stoffreste hätte sie leider nicht, aber sie würde anbieten, das Gewand zu nähen.

 

ENDE

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Bloß gut, daß das Kirchenjahr jetzt erstmal ein bißchen Zeit läßt, um allerorten den möglichen Verbleib liturgischer Gewänder in Ruhe zu prüfen…

Ein Trackback/Pingback

  1. Pulchra ut Luna › Das rosa Gewand, 4/n on Mittwoch, 13. September 2017 um 09:16

    […] Meßgewands in Rosa nämlich. Und wir meinen das, auch wenn wir es heiter behandeln (bisher hier, hier und hier), völlig ernst: Die Symbolsprache, die die Kirche in langen Jahrhunderten für ihr […]

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