Und jetzt? Gott in Sicht?
53 Jahre Gagarin in Erfurt. Mit Sketch
Vor 55 Jahren, genauer am 12. April 1961 (schon wieder ein 12. April – kommt der jetzt in jedem meiner Texte vor? 😉 befand sich der russische Raumfahrer Juri Gagarin für 108 Minuten im Weltall und kehrte wohlbehalten zurück.
Eine Menge Witze sind über dieses Ereignis gemacht worden:
Der arme Gagarin! Hat die ganze Welt umrundet und wo ist er gelandet? Ausgerechnet in der Sowjetunion!
war m.W. ein beliebter DDR-Witz,
Ich war im Weltall und habe Gott gesehen. Sie ist schwarz.
kursierte vielleicht eher in der west-feministischen Studentenszene. (Yep! Studenten. Das zugehörige Maskulinum lautet bekanntlich Studerpel.) Am bekanntesten aber wurde der ihm durch die Sowjet-Propaganda in den Mund gelegte Spruch, er, Gagarin, sei im Weltall gewesen, aber Gott habe er nicht gesehen.
Anläßlich des wenn auch nicht gerade runden Jubiläums (aber was soll‘s – wir haben schließlich auch 90 Jahre Bauhaus gefeiert) zeigte das Museum für Thüringer Volkskunde Erfurt in der vergangenen Woche, nämlich vom 8. – 15. Oktober 2016 als Sonderausstellung Exponate einer von Gagarins Nichte zusammengestellten Schau und verband das ganze mit einer Erinnerung an den umjubelten Besuch Juri Gagarins und seiner Kollegin Valentina Tereschkova in einer ganzen Reihe Thüringer Städte 1963; vgl. auch den Radiobeitrag von DR-Kultur hier.
Als Kind lernte ich zum Thema Gagarin ausschließlich seinen angeblichen Ausspruch über die Nichtexistenz Gottes kennen, welche aus dessen – wie soll ich sagen? – beobachteter Unsichtbarkeit erschlossen wurde. Ich fand den Spruch schon damals so unglaublich dumm, daß ich erstens erleichtert bin, daß er lediglich von Propagandaseite erfunden worden ist und zweitens schon damals darüber nachgedacht habe, in welcher Form man nachvollziehbar machen könnte, wie dumm er ist. Irgendwann im Laufe der Jahre fiel es mir ein. Heute möchte ich es erzählen. Hier kommt
Der Menschenbeweis
Ein Sketch für zwei Erythrozyten, einen Haufen wildgewordener Leukozyten, einige renitente Thrombozyten und jede Menge Blutzell-Statisten
Wundersdorf, Oderbruch. Bei der im regelmäßigen Turnus im Gemeindehaus stattfindenden Blutspende (vgl. diesen, zur Zeit glücklicherweise historischen Sketch) rutscht ein Schwung Blutzellen eines beliebigen Spenders in die Blutkonserve. Wenige Tage später werden die Blutkörperchen im nahen Klinikum während einer Operation einem anderen Menschen verabreicht. Ery6x108, eines der transfundierten roten Blutkörperchen, wird dabei Throzy23, einem roten Blutkörperchen des Empfängerkreislaufs, vor die Füße geschleudert.
Ery6x108: Puh!
Throzy23 (stolpert fast über den Neuankömmling): Heidewitzka! Kannst du nicht aufpassen?
Ery6x108 (rappelt sich auf): Entschuldigung!
Throzy23: Neu hier, was? Nie gesehn!
Ery6x108: In der Tat – ich weiß nicht recht – aber mir kommt es auch so vor, als sei ich hier noch nie gewesen … (Er blickt sich suchend um).
Throzy23: Laß uns im Schwimmen weiterreden – der Sauerstoff hier muß in die Leber. (Er schwimmt weiter.)
Ery6x108 (hinterher): Wie heißt du denn?
Throzy23: Throzy23 – und du?
Ery6x108: Ich bin Ery6x108.
Throzy23: Komischer Name!
Ery6x108: Wo ich herkomme, hießen wir alle so.
Throzy23: Kaum zu glauben. Und? Bist du wenigstens Rhesus negativ?
Ery6x108 (ganz erschrocken): Ja klar!
Throzy23: Hm! Ist auch schon besser so! (Eine Zusammenballung von Thrombozyten wird vor ihnen sichtbar): Oh nein! Nicht schon wieder!
Ery6x108: Ok – so was gab es bei uns auch.
Throzy23: Eine Thrombozytendemo?
Ery6x108: Nicht direkt – bei uns waren das die Jungs von der Kalkreiße. (Sie erreichen den Engpaß bei den Thrombozyten.)
Throzy23 (schnauzt die Thrombozyten an): Müßt ihr immer in dieser Arterienecke rumhängen? Die Passage ist hier grad eng genug! (Er schwimmt mitten in die Gruppe hinein und versucht sie auseinanderzutreiben.)
Die Thrombozyten (durcheinander): Häääääi! – Ey, Alter, paß bloß auf! – Autoritäres … [das folgende Wort wurde zensiert.]
Throzy23 (schwimmt weiter, ärgerlich): Jeden Tag das selbe Theater! Irgendwann kommt man da gar nicht mehr durch! Was sagt man dazu?
Ery6x108: „Raucherecke“…
Throzy23 (guckt Ery6x108 amüsiert an): Gar nicht schlecht! Wo hast du das her?
Ery6x108: So hieß das bei uns. (Sie schwimmen weiter.)
Throzy23 (drückt sich plötzlich eng an die Wand): Vorsicht!
Ery6x108: (drückt sich instinktiv auch an die Wand): Was ist los?
(Ein Stoßtrupp Leukozyten hechtet vorbei und rennt die beiden fast um.)
Throzy23 (blickt den Leukos hinterher, kopfschüttelnd): Das ist los! (Indem er sein Marschtempo wieder aufnimmt.) Die Herrschaften von der Abwehr denken wieder, sie seien allein auf der Welt.
Ery6x108 (vermittelnd): Naja – also sie sind ja nun auch für uns alle nicht ganz unwichtig …
Throzy23 (schnaubt verächtlich): Denen wünsche ich allesamt, daß sie mal eine Freßzelle über den Haufen schwimmen … Dann ist Schluß mit der Wichtigtuerei. Die machen Kleinholz aus allem, was ihnen in die Quere kommt.
(Sie schwimmen weiter.)
Ery6x108: Also – wir einzelnen Blutzellen sind ja eigentlich gar nicht so wichtig. Wir müssen ja alle an den Menschen denken …
Throzy23 (hält völlig verdutzt an): An den Menschen?
Ery6x108 (schlicht): Ja klar, an den Menschen.
Throzy23: Na, daß ich mal ein Blutkörperchen treffe, das an diesen Schwachsinn glaubt, hätte ich mir ja nicht träumen lassen.
Ery6x108 (verdattert): Ja – aber … was glaubst du denn, warum wir das ganze hier machen?
Throzy23 (schwimmt weiter): Keine Ahnung – für uns selbst, oder weil es so ist? Woher soll ich das wissen?
Ery6x108: Ja, aber es muß doch einen Sinn haben!
Throzy23: Es hat seinen Sinn einfach in sich selbst, und wenn es vorbei ist, ist es vorbei. So einfach ist das! (Er biegt in die Hauptschlagader ein.) Achtung, hier ist immer ziemlich viel Betrieb.
Ery6x108 (versucht, Throzy23 nicht aus den Augen zu verlieren): Also … daß es bei der ganzen Sache hier nicht nur um uns geht, das habe ich mir schon ganz früh gedacht. Dazu ist es einfach alles viel zu gut organisiert!
Throzy23 (spöttisch): Besonders die Thrombos, die ewig zusammenhängen und uns die Bahn verstopfen!
Ery6x108: Jetzt such doch nicht gleich das bißchen, was vielleicht nicht so läuft … Guck doch mal, all unsere Arbeiten sind aufeinander abgestimmt. Wenn wir etwas brauchen, ist es sofort da. Das kann doch kein Zufall sein! (Sie machen einer Freßzelle Platz und grüßen dabei ausnehmend höflich.)
Throzy23: Das heißt aber doch noch lange nicht, daß ich an diesen Blödsinn von einem Menschen glauben muß.
Ery6x108 (versucht es noch einmal anders): Hör zu. Ich hatte doch jetzt dieses Erlebnis, daß ich in eine kleine Röhre geriet und mich tagelang kaum bewegen konnte – und wie durch ein Wunder wurde ich gerettet und hier zu euch hereingespült …
Throzy23: Ja – und? Was glaubst du, wie oft ich in der Leber festsitze und nichts geht weiter.
Ery6x108: Trotzdem. Das jetzt die Tage war anders. Also mehr als das hier (er deutet im Kreis um sich) gibt es auf jeden Fall!
Throzy23 (bleibt stehen): Ich will dir mal was sagen, du Überflieger. Wo auch immer du bisher unterwegs warst: Ich kenne hier jeden Winkel. Ich war wirklich schon überall – aber einen Menschen habe ich noch nie gesehen. Das sind alles Märchen für Zellen, die irgendwie Probleme haben, ihr Leben mit Sinn zu erfüllen. (Er schnauft.) Übrigens muß ich langsam zurück, ich bin schon ganz blau.
Ery6x108: Ok. Kehr um. Ich begleite dich.
ENDE
Cornelie Becker-Lamers
Ein Kommentar
Danke für den Link drüben bei Frau Sperlich.
Falls dich interessiert, was ein Atheist dazu denkt, hier wäre einer.
Ein Trackback/Pingback
[…] wir einen Sketch wiederholen, den wir zuerst anläßlich einer Erfurter Juri-Gagarin-Ausstellung 2016 veröffentlicht haben. In diesem Monat hatte der erste bemannte Weltraumflug ein echtes Jubiläum – Mitte April […]
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