Meine Familie verfolgt gelegentlich eine bestimmte Kochsendung im Fernsehen. Ich versuche diese Auswüchse rheinischer Kulinarik für gewöhnlich mit der gebührenden Nichtachtung zu strafen. Neulich bin ich allerdings selber mal vor einer solchen Sendung hängengeblieben: vor einer Feine-Soßen-Kochlernsendung des ebenso blonden wie kräftigen Westfalen Björn Freitag. Und wie das bei dergleichen Fernsehproduktionen immer so ist: Irgendwas ist für jeden dabei. So in diesem Falle erstaunlicherweise sogar für mich.
Herr Freitag, der sich in dieser Sendung als „Vorkoster“ geriert, kostete vor laufender Kamera unter anderem Fertigfonds verschiedener Firmen und besuchte für uns (die „lieben Zuschauer“) auch eine entsprechende Fabrik. Der Spannungsbogen dieses investigativen Tuns gipfelte in der Vorstellung von Brox, dem einzigen Produkt eines gleichnamigen Berliner Start-up-Unternehmen, das Knochenbrühe nach Großmutterart irgendwo in Charlottenburg im Viertelliterbecher als Take-away-Ware anbietet. Unter dem Menüpunkt How To Use schwärmt die entsprechende Homepage: „Ohne einen Tropfen Koffein ist die Brox eine natürliche Alternative, um in den Tag zu starten“: Rinderkraftbrühe, dazu angetan, das Wort Kaffeeersatz aus der Schmuddelecke zu holen. „Die Menschen haben das Gefühl: Bei meiner Großmutter schmeckte das noch so! und das lieben sie.“ So oder ähnlich äußerte sich einer der Geschäftspartner, der fürs Marketing zuständige Jin-Woo Bae, Björn Freitags lieben Zuschauern gegenüber zu seiner Geschäftsidee.
Ich war elektrisiert! Seelenverwandte! „Mitten auf dem Kurfürstendamm!“ (Wie mein Vater die „Klatschdamen“ aus dem RIAS-Club der Insulaner zitiert haben würde). Denn das wieder Verfügbarmachen von Vergessenem, das vor zwei Generationen noch weitverbreitetes Allgemeinwissen war, ist ja genau die Idee meiner „Weltreise durchs Kirchenjahr“, also der Lieder zu Kirchenfesten und Heiligenlegenden, die die braven Cäcilini seit Jahren zu Gehör bringen – und die Menschen lieben es.
Sicherlich würde Brox mir insoweit zustimmen, daß ein Brühwürfel von Maggi soviel mit Rinderfond zu tun hat wie der Tag der Jogginghose mit dem Hochfest Mariä Himmelfahrt. Aber wohl auch nicht mehr. Denn als ich die Internetseite von Brox näher studierte, wurde ich schwer enttäuscht. Man hatte die Idee zu diesem „Superfood“ nicht etwa selber, sondern sie stammt (dort unter dem [italienischen] Namen Brodo verkauft) aus New York. Ziel der „paleo-orientierten Ernährung“, die einer der Brox-Teilhaber auch in „Hol-bloß-alles-aus-dir-raus“-Kursen und „Wellness“-Praxen zu Geld macht, ist nicht wirklich ein Umdenken, sondern die Brühe wird als „effektiver Pre-Workout-Snack“ empfohlen. „Und nach dem Workout unterstützen dich die Nährstoffe, schneller zu regenerieren. So kannst du schon bald wieder Höchstleistungen abrufen!“ (Wer zum Verb „regenerieren“ das im Deutschen obligatorische Objekt zu diesem transitiven Verb vermißt, sollte die Seite nicht besuchen. Man hätte die Texte dort unbedingt auch Bastian Sick zum Korrekturlesen geben sollen!) Das Slow-Food soll also um Himmels Willen nicht etwa zur Entdeckung der Langsamkeit verleiten. Das wäre womöglich geschäftsschädigend. Und geschäftstüchtig ist man hier, bei Brox. Ein 580ml-Glas kostet regulär 7,79 Euro, ein Preis, der ohne die derzeitigen Prozente im 36-Stück-Gebinde auf 8,01 Euro ansteigt (#PuLaklärtauf). Unterschreiben würde unsereiner von all den Ausführungen also am ehesten den Satz „Hier heißt es selber kochen“, mit dem gewarnt wird, Säuglingen unter 12 Monaten die salzhaltige Brühe einzuflößen.
Wie gesund ist doch demgegenüber die „Weltreise durchs Kirchenjahr“! 😉 Ohne Altersbeschränkung geeignet auch zur akustischen Babynahrung; hier müssen Sie nichts selber komponieren. Das Hören auf YouTube ist kostenlos auch bei der sechsunddreißigsten Wiederholung (was sagen Sie?: Wenn Sie eines der Stücke 36 mal hintereinander hören sollten, müßte man Ihnen noch etwas dazugeben? Da haben Sie vollkommen Recht! Das verstehe ich. Es war jetzt auch nur ein Gedankenexperiment. Die 36 Gläser Brühe trinkt man ja auch nicht hintereinander weg.) und tatsächlich sind die Lieder gedacht, den Fokus des gesamten Lebens zu überdenken, nicht den Hörer wieder fit zu machen für die nächste Umdrehung der in den Metropolen offenbar nach wie vor ungebremsten Schneller-Höher-Weiter-Schraube.
Was Wunder, daß Brox als Botschafterin mit Ellenie Salvo González aufwarten kann, die, wie der Brox-Homepage unter Über Uns zu entnehmen ist, ihre Berühmtheit auf Kinofilme wie „Vollidiot“ oder „HUI BUH das Schloßgespenst“ stützt, während sich über die Cäcilini ungefragt ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter christlicher Pfarrgemeinden lobend äußern (so zuletzt, wie mir berichtet wurde, Ende Oktober im Rahmen einer Schulstunde zum Projekt Weimarer Kinderbibel – herzlichen Dank!).
Aber wenn Sie wissen möchten, wie man ein einziges althergebrachtes Produkt mit viel Rhetorik und Design zu einer revolutionären Neuheit stilisiert, dann besuchen Sie die Homepage von Brox, lesen den Unterschied zwischen Fond und Brühe als Broxology oder lassen Sie sich einmal die drei Gebinde des einzigen angebotenen Produktes im Shop nach Beliebtheit, Neuheit, auf- und absteigendem Preis ordnen: Es hat zweifellos einigen Unterhaltungswert.
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
Einen Kommentar schreiben