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Ecce homo

Ecce homo

Eine Bitte um Nach-Sicht

Wann wenn nicht heute, am Karsamstag 2017, könnte ich sie rezensieren, die Ausstellung mit dem Titel „Jesus Reloaded“, die als vierte Station ihrer Rundreise über Stade, Regensburg und Abtei Liesborn im Westfälischen vom 15. Januar bis zum 26. März 2017 auch hier um die Ecke, im Kunsthaus Apolda Avantgarde, zu sehen gewesen ist und auf die ich nicht rechtzeitig aufmerksam zu machen geschafft habe. Bitte um Nachsicht.

Die Ausstellung des Kuratorenduos aus der Kunsthistorikerin Andrea Fromm und dem Literaturwissenschaftler Tom Beege stellte Werke der Stiftung Christliche Kunst Wittenberg zum Thema „Das Christusbild im 20. Jahrhundert“ aus – wobei sich im Eifer des Gefechts auch das eine oder andere Bild eines großen Meisters dazwischen mischte, das mit Jesus nicht direkt zu tun hatte.
So wollte man sich offenbar einen Picasso der Wittenberger Sammlung nicht entgehen lassen und irritierte den Besucher zwischen den Schweißtüchern und Kreuzigungsdarstellungen mit dessen Lithographie „David und Bathseba“ aus dem Jahr 1947 (Katalog S. 61). Freilich: „Jesus is in every book of the bible“, aber es wäre mir neu, wenn er in der Bathsebageschichte typologisch versteckt sein sollte. 😉

Wie auch immer – die Ausstellung war eine sehr gelungene Zusammenschau impressionistischer wie expressionistischer Werke und dehnte ihren Fokus Moderne noch bis auf die fotografischen Dokumentationen der Installationen von Joseph Beuys oder auf Werke wie die „Auferstehung“ des Chemnitzer Graphikers Michael Morgner aus (zur Einführung und zu einer Auswahl der Namen der ausgestellten Künstler s. hier. Zum Exponat Michael Morgners vgl. hier den Text eines der begleitenden, sehr fruchtbaren und leider viel zu spärlich besuchten „Bilddialoge“ der insgesamt sieben abendlichen Begleitveranstaltungen).

Der übersichtlich gegliederte und besonders in der Qualität der Abbildungen sehr sorgfältig erarbeitete Katalog (es gibt ihn in Apolda noch zu kaufen, hier, wenn auch ein Hinweis auf die Ausstellung selber gerade in den Ritzen der Kategorien von Aktuellem und Bisherigem verschwunden ist) steigt mit einem Überblick über Christusdarstellungen der letzten 2000 Jahre ein und stellt dann Bild für Bild die Exponate und kontextbezogen die einzelnen Künstler mit ihren Biographien, vergleichbaren Werken und ihren Intentionen vor. Dabei stehen die Kuratoren diesen Intentionen und Befindlichkeit vielleicht ein wenig zu unkritisch gegenüber.
Denn der vorherrschende Schaffenstrieb zum Thema Christus ist im 20. Jahrhundert die Identifikation des Künstlers mit dem leidenden Erlöser. Den Schützengräben entronnen, parallelisieren die Künstler ihr eigenes Schicksal mit dem des Gekreuzigten. (Manchmal sind es auch nicht die traumatischen Erlebnisse des Ersten Weltkriegs, sondern schlicht das Leiden daran, als Künstler unterschätzt und unverstanden am Existenzminimum ein entbehrungsreiches Leben fristen zu müssen.) Das kann so weit gehen, daß Christus mit den eigenen Zügen dargestellt wird bzw. auf einer Radierung James Ensors (1860-1949) auf des Pilatus Schild über dem Gekreuzigten nicht INRI, sondern ENSOR steht.

In der bald vollständigen Ausblendung der Tatsache, daß es sich bei Christus nicht um einen Menschen wie du und ich, sondern um einen Menschen handelt, der ganz Mensch und ganz Gott ist, müssen manche Kunstwerke die Gestalt des Erlösers heillos verfehlen. Da wird bei Fritz Cremer – in Weimar besonders bekannt durch seine übergroße Figurengruppe am Mahnmal von Buchenwald – in den Graphiken die Kreuzigung in eine lange Reihe solcher Hinrichtungen eingereiht (Katalog S. 134). Jesus reißt sich die Dornenkrone herunter und zerbricht das Kreuz:

Fritz Cremer, „Genug gekreuzigt“ (eigenes Bild – nicht im Katalog)

„Genug gekreuzigt“, befindet der Künstler. Und wer wollte ihm widersprechen? Wer in Jesus nur einen armen, zu unrecht hingerichteten Judäer erblicken kann, der wird Christi Tod keinen Sinn ablesen können. Wer den Aspekt des eben nur Gott möglichen erlösenden Leidens ausklammert, muß den leidenden Erlöser in seiner Darstellung verfehlen. Die implizierte Religionskritik läuft entsprechend ins Leere.

 

ENDE ERSTER TEIL

Cornelie Becker-Lamers

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