Ein Sketch für acht Personen, fünf Schafe, zwei Lämmchen
und einen Hütehund
Köthen/ Anhalt. In dem kleinen Städtchen mit der großen Geschichte herrscht immenser Aufruhr. Man hat sich, jetzt, abends, beim Bier, noch keineswegs von dem Schrecken erholt, daß heute mittag, pünktlich zum Gedenktag Mariä Krönung (der aber in dieser Gegend kaum noch jemandem etwas sagt), eine kleine Schafherde in Begleitung ihres Hütehundes mitten durch die engen Straßen des beschaulichen Städtchens ihres Weges zog. Gut … ein paar Schafe in der Stadt … das ginge bei einem Flecken von den Ausmaßen der Bachstadt Köthen/ Anhalt ja noch. [Um nicht zu sagen, das kommt auch in Thüringer Kommunen vor, und zwar heute! 😯 ]
Aber die Nachbarin der Großcousine hat gesehen, daß sie Phablets mit dem Köthener Stadtplan vor sich hertrugen. Und der Dachdecker bei Biesels hat sie sogar reden hören!
Merkwürdig! Wer oder was mag das gewesen sein?
Ich glaube, liebe Leser, wir vermuten dasselbe. Schauen wir uns die Szene doch einmal genauer an … na klar!!! Auf dem Parkplatz beim Schloß steht der neue Pritschenwagen. Und sagen Sie mal – kennen wir das Auto dort drüben nicht auch? Es kommt vom Kennzeichen her aus dem selben Kreis wie der Pritschenwagen … na, vielleicht klärt sich das im Laufe der Geschichte.
Kohle: So. Das wäre das Schloß.
Fixi (mault): Ich will nicht ins Museum!
Wolle: Mußt du ja auch gar nicht! Wir suchen die Kirche.
Kohle: Die kommt hier gleich. (Er zeigt den Schloßplatz hinunter in Richtung Stiftstraße.)
Grauchen: Nah beim Schloß.
Flocke: War ja auch für das frisch konvertierte Herrscherpaar.
Blütenweiß: „Die Romantik war das Zeichen eines fast bewußtlos hervorgetretenen Heimwehs des Protestantismus nach der Kirche.“
Wolle: Ui!
Grauchen: Wo hast du das denn her?
Blütenweiß (errötet ein wenig): Eichendorff.
Kohle: Ein schöner Satz. – Jetzt laßt uns hier die Stiftstraße lang gehen.
Huf: Ich will aber lieber hier (Er wendet sich dem Prinzessinhaus zu und stürmt die Schloßstraße entlang.)
Tatze: Wuff! Dann geht ihr auch hier lang! Die Herde muß zusammen bleiben.
Kohle (für sich): Despoten. Alles Despoten! (Er trabt hinter den Lämmchen her.)
Blütenweiß (begütigend): Laß mal! Der Ortskern hier ist glaube ich klein – dann gucken wir halt erst ein paar andere Sehenswürdigkeiten an und kommen von der andern Seite zur Kirche.
In der Tat. Nach wenigen Metern:
Huf (stolz): Seht ihr – das Rathaus! Das hat sich doch wohl gelohnt! (Er trabt weiter zum Marktplatz mit der Jakobskirche. Kohle wirft einen Blick in die Springstraße, an deren Ende er zu Recht wiederum die berühmte katholische Kirche vermutet und folgt dann den Lämmchen.)
Flocke: Na, jetzt können wir auch gleich bis zur Wallstraße durchgehen.
Grauchen: Wieso? Was ist denn da?
Wolle: Na, das Wohnhaus vom Hahnemann!
Grauchen: Welcher Hahnemann?
Huf (stöhnt): Der Entdecker der Homöopathie.
Flocke: Na – sagen wir: der Wiederentdecker. Ist alles die alte Frauenmedizin.
Grauchen: Ach! Und der wohnt hier?
Kohle: Wohnte. Ist tot. – Ja, klar. Wußtest du das nicht?
Fixi und Huf: Woher kommt die Homöopathie? (Im Quintfall) Aus Mitteldeutschland!
Über den Bachplatz mit einer typischen Büste des Komponisten gelangen sie in die Wallstraße und tatsächlich:
Kohle: Da ist es!
Fixi: Schön! (Sie liest die Gedenktafel am Haus.)
Huf: Laßt uns weiter gehen.
Wolle (will eine Infostele lesen): Daß die Lämmchen immer so einen Bewegungsdrang haben! (Sie trabt der Herde hinterher. Nach wenigen Schritten gelangen sie zum Magdeburger Turm und biegen in die Straße zur Agnuskirche ein.)
Fixi: Das soll eine Kirche sein? Sieht aus wie ein Schulhaus.
Kohle: Hm. Ist es aber nicht. Manche Kirchen sind hier einfach in die Straßenschlucht gebaut.
Wolle: Oder die Straßen sind drumrumgewachsen? Seht mal dort vorn.
Grauchen: Na endlich!
Huf: Ist das die Kirche?
Kohle: Na klar!
Fixi: Und dort sind wir verabredet?
Wolle: Yep! Ich hab telefoniert – sonst kann man nur durch eine Glasscheibe gucken.
Flocke: Aber die freuen sich ja, wenn jemand kommt!
Wolle: Ja! War supernett!
(Sie nähern sich der Kirche. Während Wolle, Flocke und Kohle die Gruppe im Pfarramt Ecke Springstraße anmelden, umrunden Fixi und Huf soweit als möglich das klassizistische Gebäude und entdecken wiederum eine Erläuterungstafel.)
Die Schafe kommen im Schlepptau der Pfarrsekretärin zurück und alle erklimmen die Stufen zum Kircheninneren. Als sich das Portal öffnet, prallen die Schafe zurück: Am Glaseinbau, der das Innere der Kirche vor Vandalismus schützt, drücken sich Edith, Richard, Teresa, Emily, Karl, Hanna und Silke die Nasen platt! Natürlich gibt es jetzt erstmal ein Riesen-Hallo.
Richard (blickt sich nach den Eintretenden um, freudig): Das gibt’s doch gar nicht!
Edith (schaut auch): Määänsch – Ihr hier?
Teresa quiekt und läuft zu den Lämmchen – die drei verschwinden ganz schnell wieder nach draußen.
Tatze: Heee! Ihr könnt euch doch nicht einfach verabsentieren!
Richard: Laß mal, Tatze, ich glaube, das geht klar! Teresa ist ein großes Mädchen.
Die Schafe begrüßen ihre Wundersdorfer Freunde begeistert und ausgiebig
Die Pfarrsekretärin (lächelt): Ach, Sie kennen sich wohl? Na, dann komm‘ Se mal gleich mit rin!
Sie sperrt auf und läßt die mittlerweile ansehnlich große Gruppe ins Kirchenschiff. Tatze der Tapfere läuft die ganze Zeit über zwischen den verschiedenen Grüppchen innerhalb und außerhalb der Kirche hin und her, damit keiner verloren geht.
Hanna (zu den Schafen): Wenn wir euch nicht hätten!
Flocke: Da kannst du mal sehen!
Schafe und Menschen verteilen sich, einige folgen der Pfarrsekretärin, die eine Kirchenführung improvisiert.
Edith (schaut auf die beiden blaugrundigen Kirchenfenster): Da!
Richard (schaut auch): Daß sich endlich mal einer traut, figürliche Darstellungen zu realisieren! Wirklich mit den Fenstern Geschichten zu erzählen – wie die alten Fenster das auch machen.
Karl: Mhm! Und sich traut, etwas Schönes zu malen. Kann sich heute kaum einer leisten!
Hanna: Ich glaube, das könnte es viel öfter geben, wenn die Juroren in den Ordinariaten nicht die figürlichen Entwürfe immer durchfallen ließen!
Karl: Du meinst, die Künstler reichen solche Arbeiten ein – und ausgesucht werden die ungegenständlichen Farbflächen?
Hanna: Oder die Pfeile von Schreiter, ja.
Richard: Hm! (Er schaut sich die beiden Fenster an.) Und sag mal – das ist dann auf die Scheiben gedruckt?
Karl: So eine Art Druckverfahren, ja.
Richard: Hm, war das früher nicht durchgefärbt? (Er schaut.)
Karl: Michael Triegel ist aber Maler!
Hanna (zu Richard): Genau! Was soll er denn machen? Mecker nicht, sondern freu dich lieber, daß wir so schöne Bilder sehen! Mariä Krönung, und Adam und Eva rechts und links …
Karl: Da: Evas Apfel taucht als Granatapfel bei Maria wieder auf …
Richard: Und sie hält ihn wie einen Reichsapfel.
Edith (kommt angeschlendert): Und so sieht also der Künstler aus? (Sie schaut die Fenster an.)
Hanna: Wie?
Edith: Na, ich hab gestern im Netz ein bißchen gelesen, und da wird dem Triegel vorgeworfen, daß der Jesus aussieht wie er selber und Maria wie seine Frau.
Karl: Vorgeworfen? Aber das ist doch ganz normal!
Hanna: Dürer …
Richard: Und James Ensor malt eine Kreuzigung, wo auf dem Kreuz nicht INRI, sondern ENSOR steht …
Karl: Ja. Heckel … Barlach … bei allen findet man das. Also das ist jetzt wirklich nicht das Problem.
Hanna (blättert in einem Katalog zu den Bildern): Da ist ein Druckfehler in der Überschrift! (Sie hält Karl den Katalog hin.)
Karl: Stimmt! „Themenfenster“.
Hanna (lacht): „Thermenfenster“!
Kohle: Doch, doch! Das stimmt. Die heißen nach ihrer Form so, weil sie in den antiken Bädern so aussahen.
Hanna: Echt jetzt?
Kohle: Ja, echt.
Hanna: Man lernt nicht aus.
Fixi und Huf kommen mit Teresa in die Kirche. Ihre Rucksäcke sehen irgendwie verändert aus, und Teresa trägt plötzlich zwei Stoffbeutel, die sie stöhnend an der letzten Bankreihe fallen läßt. Ein paar Äpfel kullern heraus.
Fixi: Draußen ist es zu heiß! (Sie setzt ihren Rucksack ab.)
Huf (schaut nach oben): Das sind aber schöne Kirchenfenster – fast wie bei uns zuhause.
Hanna: Tja – das könnte man öfter haben, aber bei der Kirche haben sie wohl meist einen etwas anderen Geschmack.
Richard: Siehe neues Gotteslob …
Karl: Hör mir damit auf! (Er lacht.)
Fixi: Könnte man die Entscheider nicht einer homöopathischen Konstitutionstherapie unterziehen?
Hanna (lacht): Wie stellst du dir das denn vor?
Huf (improvisiert): Na – mit hochpotenziertem … Imago officinale – dem Bildstöckelkraut.
Alle lachen.
Richard: Paß aber auf – der Arzt sagt immer, die Krankheit geht so lange, wie sie gekommen ist … Das kann also 50 Jahre dauern.
Edith: Umso eher sollte man mit der Therapie beginnen.
Hanna: Aber sagt mal, was schleppt ihr denn da in Rucksäcken und Beuteln herum?
Teresa (harmlos): Das? Das sind Äpfel aus dem Pfarrgarten. Wir haben den Pfarrer getroffen, und nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, meinte er, wir würden ihm einen großen Gefallen tun, wenn wir den Baum ein bißchen abernten könnten.
Richard: Na, dann krieg dir zuhause mal deine Schwester ran, um die Gläser für das ganze Apfelmus zu spülen …
Teresa (empört): Gläser spülen? Das muß Mama machen. Wir haben Schule!
ENDE
Cornelie Becker-Lamers
PS Anm. der Red. Das mit den Äpfeln (und dem Pfarrer) ist auch uns im Jahr 2015 in Köthen passiert…
PPS: Was Blütenweiß da von Eichendorff zitiert lautet vollständig so:
„Der Inhalt der Romantik war wesentlich katholisch, das denkwürdige Zeichen eines fast bewußtlos hervorgetretenen Heimwehs des Protestantismus nach der Kirche.“ Joseph von Eichendorff, Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, Paderborn 1857, S. 208, zitiert nach Barbara Mikuda-Hüttel, „Und nur wo Gräber sind, gibt es Auferstehungen.“ Die katholische Marienkirche in Köthen zwischen Gottfried Bandhauer und Michael Triegel, in: Die Fenster von Michael Triegel in der Köthener Schloßkirche, hg. von der ostdeutschen Sparkassenstiftung, Dresden: Sandstein Verlag 2015, S. 12-17, S. 17.
Ein Trackback/Pingback
[…] verfügt die Kirche über eine weitere Besonderheit: Glasfenster von Michael Triegel! (die Schafe waren übrigens schon da, ob sie jetzt nochmal nach Köthen fahren? 😉 […]
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