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Mühlberg 1547

Noch ein PuLa unterwegs

Wie gesagt: In Mühlberg waren wir von Torgau aus auch.
Klar, das muß man ja mitnehmen, wenn man schon mal in der Gegend ist. Sie erinnern sich: Am 24. April 1547 wurde das protestantische Heer unter Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen (als Kurfürst in Torgau geboren, als nurmehr „geborener Kurfürst“ in Weimar gestorben) von den Truppen Kaiser Karls V. vernichtend geschlagen und der Kurfürst selbst in Innsbruck gefangengesetzt. Von einem Museum der Stadt Mühlberg (deren Name bei gläubigen Lutheranern immer noch ebenso gesträubte Nackenhaare erzeugt wie – glaubt man René Goscinny
der Name Alesia bei den Galliern) würde man daher eher keine Elogen auf die Reformation und die Figur Martin Luthers erwarten.
Aber in der Planung des neu zu gestaltenden Museums, das im Rahmen der „Lutherdekade“ am 25. April 2015 renoviert wiedereröffnete, war man offenbar wild entschlossen, diesen Ausgang der Schlacht als Irrtum der Geschichte zu ignorieren:

In der Nähe der Stadt Mühlberg/Elbe wurde am 24. April 1547 europäische Geschichte geschrieben, als die Heere der katholischen Allianz, angeführt von Kaiser Karl V., und des protestantischen Schmalkaldischen Bundes unter dem Kommando des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich hier aufeinander trafen. Diese für den Verlauf der Reformation entscheidende Schlacht bildet den thematischen Schwerpunkt im sanierten und konzeptionell neu ausgerichteten wieder eröffneten Museum, das sich nun würdig in die Reigen der mitteldeutschen Stätten der Reformation einreihen kann.
(Quelle)

Klingt doch, als hätte das „Aufeinandertreffen“ der Truppen zu einem Sieg der Protestanten geführt, oder? Aber – nein! Einen Sieg der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg könnten wir gerade in Weimar, könnte insbesondere PuLa keinesfalls gutheißen – hätte ein solcher Sieg doch bedeutet, daß man in Weimar den Hornstein, dessen Eingangsportal noch die gekreuzten Schwerter der Kurwürde zeigt, nicht zum Renaissanceschloß ausgebaut und die Hauptresidenz der Wettiner nicht nach hier verlegt hätte, wo 200 Meter weiter – in der heutigen Windischenstraße – noch die Jauche über die Gosse lief.
Jena hätte nicht schon vor 460 Jahren eine Universität bekommen, denn Wittenberg wäre ja weiterhin Ernestiner Gebiet gewesen. Carl August hätte Goethe nicht hier beschäftigt, Liszt hätte nicht hier seinen Wohnsitz genommen und nicht für den neuen Bau einer katholischen Kirche sammeln können, der „heilige Sumpf“, als den die Etymologie des Wortes „Weimar“ unser Städtchen zu erkennen gibt, hätte nicht so schön vor sich hinsumpfen können und – es gäbe PuLa nicht!
Stellen Sie sich das mal vor! Geht ja gar nicht! 😉

Aber zurück nach Mühlberg: Tatsächlich ist das Museum in der ehemaligen Propstei des 1540/1559 zwangsaufgelösten Zisterzienserinnenklosters, von den Schautafeln und besonders der aufwendigen multimedialen Schlachtenpräsentation her (in welcher sich das Museum übrigens keinesfalls erschöpft – von Reliquienschätzen über freigelegte Wandmalereien des frühneuzeitlichen Baus bis hin zu Dokumentationen zum sowjetischen Speziallager in Neuburxdorf bei Mühlberg wird hier eine sehr breit angelegte Rückschau präsentiert), mit seinem geschichtlichen Überblick sehr um Objektivität bemüht.

Ehemalige Propstei, jetzt Museum „Mühlberg 1547“ (eigenes Bild)

Aus dreierlei Perspektiven läßt eine riesige interaktive Schautafel anhand authentischer Aufzeichnungen den Schlachtenverlauf revuepassieren: Aus der katholischen Perspektive des Herzogs von Alba, aus der protestantischen Perspektive eines kursächsischen Heerführers, der sich an bewußtem Tag hatte krankmelden müssen und sich daher der Niederlage wegen Vorwürfe machte sowie eines Mühlberger Bürgers namens Barthel Strauchmann, dem die Protestanten tags zuvor die Pferde weggenommen und der den Kaiserlichen nach erfolgreicher Zerstörung der Pontonbrücke durch die Protestanten eine Furt über die Elbe gezeigt hatte.

Dennoch ist es irritierend, wenn der Museumsbesuch hier mit dem Anblick einer erkennbar neuen überlebensgroßen Lutherstatue beginnt.

Lutherstatue am Eingang der musealen Schau „Mühlberg 1547“ (eigenes Bild)

Aber es kommt noch besser:

Der stolze Religionsstifter und sein demütiger Nachfolger … oh, wait! (eigene Bilder)

Erschrocken? Ich auch! Aber auch hier muß man lesen, was auf den Erklärungstafeln steht:

Das 1911 gestiftete Glasfenster zeigt einen heldenhaften Martin Luther, der unbeirrt an der Bibel festhält. Das Fenster bringt die kulturelle Überlegenheit zum Ausdruck, die die Christen lutherischer Konfession für sich beanspruchten.

Na gut, na gut, na gut. Hoffen wir, daß das Präteritum hier zu Recht steht und sich das Überlegenheitsgefühl nur auf den damals noch frisch erinnerten Kulturkampf in Preußen bezieht. Der herrische Blick Luthers auf dem Glasfenster paßt jedenfalls überhaupt nicht zum Gebaren irgendeines der doch etlichen lutherischen Geistlichen beiderlei Geschlechts, mit denen ich seit einigen Jahren musikalisch hier in Thüringen zusammenarbeite! Ich bin sicher, sie würden vor diesem Anblick genauso erschrecken wie ich.

Lassen wir den Text also lieber mit einigen schönen Impressionen aus Mühlberg an der Elbe ausklingen.

Mühlberg/ Elbe, Blick von Westen auf die Turmhaube der evangelischen Kirche (eigenes Bild)

Mühlberg/ Elbe, ehemaliges Zisterzienserinnenkloster, seit der Jahrtausendwende neu belebt von Claretiner-Patres (eigenes Bild)

Aaaah! Auch Mühlberg hat einen Bonibus! (eigenes Bild)

 

Ein PS: braucht es aber doch noch: Mir persönlich erscheint Luthers Gesichtsausdruck auf dem 1911 gestifteten Fenster nur allzu realistisch ein (damaliges) Selbstbewußtsein der Protestanten widerzuspiegeln. Ich selber habe nämlich ein solches durch und durch verinnerlichtes und bis zuletzt (2017) unreflektiertes Überlegenheitsgefühl eines (im übrigen areligiösen) Lutheraners über Jahrzehnte hautnah erlebt: bei meinem Vater, geboren 1930 im preußischen Berlin und, da bereits im Alter von 2 Jahren Halbwaise, von einer strengen Grußmutter aufgezogen, die meinen Vater glauben ließ, „Kathole“ sei ein allgemeines Schimpfwort. Mein Vater war ein zweifellos hochintelligenter, bescheidener und überaus zuvorkommender Mensch und selbstverständlich auch gegenüber allen Priestern und Kaplänen, die meine (damals noch) katholische Mutter selten einmal zum Mittagessen einlud, respektvoll, höflich und gesprächsbereit. Aber seine Verachtung für die Katholiken im allgemeinen, ja sein wirklicher Haß auf die für ihn im Papst verkörperte Amtskirche brach sich dennoch ab und zu Bahn und war unausgesprochen immer da (dagegen half nicht einmal die offensichtliche Bedeutung Johannes Pauls II. für den politischen Aufbruch im Ostblock der 80er Jahre).

Ich habe nie einen Streit meiner Eltern über dieses Thema miterlebt – ich bin zehn Jahre nach Eheschließung geboren, da war offenbar längst klar, welche Themen man ausspart. Mit dem Bruder meiner Mutter muß es explizite Auseinandersetzungen gegeben haben – aber auch das habe ich nie verfolgen können, da meine Eltern die DDR verlassen haben, mein Onkel nicht und beide Männer sich meine ganze Schulzeit hindurch nur ein einziges Mal begegnet sind.

Obwohl also all diese handfesten Beweise fehlten – aber damit natürlich auch eine Überprüfbarkeit etwaiger Argumente, ich kriegte ja nie ein einziges zu hören –, war mir die Verachtung meines Vaters für die in seinen Augen unterreflektierten und hörigen Katholiken immer selbstverständlich. Er hat in diesem Punkt nie gezweifelt – anders als meine arme Mutter, die mit ihrem Glauben gerungen hat und unterlag: Mit 75 Jahren ist sie – ich möchte nicht sagen: evangelisch geworden, denn selbstverständlich trägt sie ihr von der schlesischen Großmutter in die Wiege gelegtes, bis heute letztlich unversehrtes Wissen um die Heiligen über die Zeit – in die evangelische Kirche übergetreten (was sie nicht hinderte, sich zeitgleich sämtliche Bücher des damals gerade frisch gebackenen Papstes Benedikt XVI. zuzulegen und zu lesen).

Wie gesagt – hoffen wir, daß das in der Bildbeschreibung des Mühlberger Museums genutzte Präteritum den heutigen Zeitgeist trifft – zumindest für die mir bekannten evangelischen Funktionsträger scheint es zu gelten, das sagte ich ja schon.

Cornelie Becker-Lamers

 

PPS: Was das „kulturelle Überlegenheitsgefühl“ nach dem Kulturkampf anging, so ließe sich darüber viel sagen, ebenso wie über sein unseliges Nachwirken, auch so eine „Vergangenheit, die nicht vergeht“ 🙁 , aber auf jeden Fall klarmachen muß man sich, der Kulturkampf wurde von preußisch-protestantischer Seite aus nicht etwa „gewonnen“. Vielmehr war sein Ausgang bestenfalls ein machtpolitisches Patt, den Zusammenhalt der Katholischen Partei im Reich hat er mächtig gestärkt – und so auch die Fraktion der Zentrumspartei im Reichstag.
Tja, „Don’t mess with Rome“ … 😉

Gereon Lamers

 

Ein Trackback/Pingback

  1. Pulchra ut Luna › Die Jahresfahrt des Bibelkreises (1/2) on Donnerstag, 29. November 2018 um 20:41

    […] reifte dabei übrigens bei meinem Mann und mir die Idee, Mühlberg zu besuchen, was ja dann auch geschehen ist), nachdem wir als Bibelkreis inklusive Professor Hentschel also diese anregenden Ausflüge gemacht […]

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