Ein Sketch für acht Personen, sieben Schafe, zwei Lämmchen,
einen Hütehund und eine kleine Gruppe von Schafstatisten
Wundersdorf, Oderbruch. Im Querschiff der Kirche Maria Hilf!, genau da, wo die restaurierte Mutter Maria auf ihrer neuen Konsole steht (wenn sie nicht gerade für sieben Wochen der Krippe weichen muß), sitzen Ines, Helene, Edith, Richard, Teresa, Karl und Hanna mit Kohle, Wolle, Flocke, Blütenweiß, Grauchen, Tatze und den Lämmchen vor Kohles Tablet und haben gerade anhand des von den Schafen erfundenen Computerspiels „Dove Sveta“ die neue App „Follow JC GO!“ verstehen gelernt, als Teresa in die Fotostrecke des Tablets gerät und ein bißchen hin- und herstreicht. Da plötzlich:
Teresa: Hey! Was ist das denn? (Sie zeigt eins der Fotos herum und streicht auf das nächste.) Das auch! (Sie schaut weiter.)
Edith: Aber Kohle! Das ist ja Neuzelle!
Kohle (stolz): So wahr ich hier sitze!
Richard: Wo hast du das her?
Flocke: Das haben wir natürlich selber fotografiert. Der Blick in den Innenraum da ist von mir. (Sie streicht nochmal auf ein Foto zurück.)
Helene: Aber wie konntet ihr das fotografieren?
Wolle: Na, wir waren doch letztes Frühjahr da!
Hanna: Nicht wahr!
Karl: Und das erzählt ihr uns erst jetzt?
Grauchen: Irgendwie haben wir uns zwischendurch zu selten gesehen.
Wolle: Ihr müßt öfter auf die Weide kommen. Dann erfahrt ihr auch was.
Ines: Wie auch immer! Das wurde ja wirklich Zeit mit eurer Wallfahrt. Seit wann war die geplant?
Blütenweiß: Ende 2012 – das sind mittlerweile sechseinhalb Jahre.
Edith: Ihr könnt von Glück sagen, daß ihr nur aus Sprache besteht – (zu Fixi und Huf) sonst wärt ihr beiden Lämmchen längst groß!
Fixi: Hm. Stimmt.
Teresa: Warum muß ich eigentlich groß werden? (Sie stützt den Kopf in beide Hände.)
Richard: Das habe ich mich als Kind auch immer gefragt.
Helene: So ist das Leben.
Karl: Aber erzählt doch mal – wie war’s?
Kohle: Also das war so …
***
Neuzelle, Klosterkirche. Die allseits bekannte Schafherde hat sich mit dem neuen Pritschenwagen nach Neuzelle bringen lassen und nimmt nun geschlossen an einer Führung durch die barocke Stiftskirche teil.
Die Kirchenführerin: Seit dem 12. Jahrhundert überzieht ein immer dichter werdendes Netz von Klostergründungen des Ordens der Zisterzienser das Gebiet des heutigen Sachsen und Brandenburg bis hinauf nach Vorpommern. Das Stift Neuzelle wurde 1268 von Markgraf Heinrich dem Erlauchten gegründet. Seinen Namen trägt es zur Abgrenzung von seinem Mutterkloster Altzella am Pitzschebach …
Fixi (prustet los und erntet von Flocke einen Rippenstoß mit dem Vorderlauf)
Flocke: Pssst!
Die Kirchenführerin (hat ungerührt weitergeredet): … übereignete Friedrich Barbarossa höchstselbst der ebenfalls Wettinischen Gründung 800 Hufe Land.
Huf: Ha!
Grauchen (dreht sich zu Huf um): Das hat nichts mit dir zu tun, Huf!
Ein Schaf: Ebent! Hufeland – det is doch ‘n janz berühmter …
Ein anderes Schaf: Nach den sind doch Straßen benannt.
Flocke (flüstert): Unsinn! Eine Hufe Land ist ein altes Flächenmaß.
Kohle (zischt): Könntet ihr mal still sein! Ich will zuhören!
Die Kirchenführerin (ist mit ihren Ausführungen bereits bei der Ausstattung des Kirchenraumes angelangt): … datieren wir zehn Beichtstühle in eine Zeit vor 1750 bis 1800.
Fixi: Zehn Beichtstühle! (Sie ist sofort wieder still.)
Die Kirchenführerin: Der prachtvolle Hochaltar ist ein Werk von Johann Wilhelm Hennevogel selber und wurde von 1740 bis 1741 in Stuckmarmor ausgeführt. Er zeigt die Himmelfahrt Mariens aus der Schule des Michael Willmann.
Ein Schaf: Waaaaas?
Ein anderes Schaf: So berühmt ist der?
Flocke (flüstert): Nicht unser Michael Willmann! Es geht um die Mitte des 18. Jahrhunderts!
Das Schaf: Ach so!
Das andere Schaf: Ich dachte jetzt – weil sie sagte Michael Willmann.
Flocke: Jaja. Der heißt ja auch so. Aber es ist halt ein anderer.
Das zweite Schaf: Wie so Namensgleichheiten einen irreführen können: Die Cousine von der Freundin von meiner Schwägerin, die kannte mal eine …
Kohle: Psssst! (Die Schafe hören wieder zu.)
Die Kirchenführerin: … sind elf Seitenaltäre Orte der Andacht, der Meditation und Stille. (Sie geht ein Stück weiter Richtung Chorgestühl.)
Grauchen (steht da wie angewurzelt): Habt ihr das gerade gehört?
Flocke: Die Seitenaltäre sind Orte der Andacht, der Meditation und Stille – ja. – Und?
Grauchen: Meditation und Stille! Begreifst du denn nicht?
Wolle: Nö. Was soll damit sein.
Grauchen: Na, das ist doch das, was unser Pfarrer jetzt seit Jahren anbietet. Dreimal die Woche plus den Taizé-Abend.
Kohle: Stimmt. Organisiert gemeinsam schweigen kann man in unserer Pfarrei bis zum Abwinken.
Grauchen: Aber begreift ihr denn immer noch nicht? (Sie gestikuliert) Seitenaltar! Andacht!
Flocke: Spuck‘s aus, Grauchen, wir kapieren’s nicht!
Grauchen (aufgeregt): Der Pfarrer hat doch gesagt, Seitenaltäre wären heute nur noch Dekoration!
Kohle: Wann hat er das gesagt?
Flocke: Als Edith ihn mal auf den Seitenaltar angesprochen hat.
Wolle: Weil zum Kirchweihjubiläum plötzlich alle Teile des Marienaltars aus allen Räumen des Pfarrhauses zusammengetragen wurden – in eine Ausstellung. Und jeder konnte sehen: Alle Figuren sind noch da!
Kohle: Stimmt. Da hat er das gesagt.
Wolle: Und der Maria dann bloß so eine Konsole an die Wand gebaut.
Blütenweiß: Ich habt recht!
Grauchen: Vielleicht weiß er bloß nicht, daß man vor einem Seitenaltar Andachten halten kann?
Blütenweiß: Oder daß sie der persönlichen Meditation und Ruhe dienen?
Flocke (elektrisiert): Stellt euch vor – die Alltagsmessen – acht Uhr – wenige Besucher – das wär‘ doch toll vor so einem Seitenaltar (sie schließt die Augen und malt sich die Szene aus).
Kohle: Hm … Also ich kann mir nicht vorstellen, daß er das alles nicht weiß. Aber warum schätzt er die Wertigkeit so anders ein als wir?
Blütenweiß: Schließlich wäre der Altar auch als Dekoration einfach schön!
Fixi (deklamiert): „Domine, dilexi decorem domus tuae“
Flocke: Wo hast du das denn her?
Fixi (unbekümmert): Mal gelesen. Irgendein Introitus. Aus den Psalmen glaub ich.
Grauchen (nickt sinnierend): Jaja – die Lämmchen kommen auf die alten Sachen zurück – es ist immer dasselbe!
ENDE
Cornelie Becker-Lamers
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[…] eigentlich auch was für Alltagsmessen. Oder als Gebetsort. Also im liturgischen, im religiösen Gebrauch. Nicht, dem Gebrauch enthoben, im nur musealen […]
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