„Es war ein entsetzliches Bild“
Der nun folgende Text ist seit langem fällig. Sozusagen schon immer. In meinem Kopf spukt er ganz konkret seit mindestens zwei Jahren herum (was auf die Dauer sehr anstrengend ist). Damals wollte ich ihn anhand einiger Bemerkungen am Rande des Besuchs eines Jugendchores aus Oberhausen im August 2017 in Herz Jesu Weimar aufziehen (worüber wir in Teil 4/4 dieses Textes berichten werden). Letzten Mai dachte ich dann, ich nehme ein Beispiel aus der Gruppe der pueri-cantores-Chöre beim Chorfest auf dem Erfurter Domberg. Zwischendurch hatte ich hier und da schon einige Bemerkungen zum Thema in andere Texte eingeflochten. Letzten Donnerstag dann passierte es: Ich machte abends den Radiowecker an, um seine Lautstärke für den nächsten Morgen zu überprüfen und landete in der Reihe „Historische Aufnahmen“ des Deutschlandfunks genau bei folgender Stelle eines Interviews mit Heinz Bongartz, dem langjährigem Leiter der Dresdener Philharmonie. Und dachte: Jetzt! Denn – aber lesen Sie einfach erst einmal selbst:
Moderator: „[…] Der Wiederaufbau der Dresdner Philharmonie nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Orchester, das sich wieder selbstbewußt neben der altehrwürdigen Staatskapelle Dresden etablieren konnte, gehört zu den großen Verdiensten des Dirigenten Heinz Bongartz. An die ersten Jahre mit dem Orchester erinnerte er sich lebhaft, besonders an eine Konzertreise nach Westdeutschland.“
Heinz Bongartz: „Das war damals [nach dem Zweiten Weltkrieg] eine sehr schwere Zeit für das Orchester wie auch für mich. Es gibt da auch einige Episoden, die man erzählen könnte. Die Dresdner Philharmoniker waren das erste Orchester, das nach dem Zusammenbruch 1945 nach Westdeutschland reiste und die beiden ersten Konzerte in Hamburg und Bremen absolvierte. Zu diesem Zeitpunkt spielten alle Orchester, auch in Westdeutschland wie auch bei uns, alle im Straßenanzug, mit bunten Schuhen, gelben Schuhen, brauen Schuhen, und schwarzen, die Krawatten waren unterschiedlich, also es war ein entsetzliches Bild. Und ein Musiker machte mich darauf aufmerksam, es wäre doch ganz unmöglich, daß man heute, wenn wir jetzt nach Hamburg und Bremen kommen, daß wir da nicht im Frack spielten. Und wir kamen auf die glorreiche Idee, Annoncen in den Dresdener Zeitungen aufzugeben, und in Null Komma Nichts, es war ich glaube in einer Woche, hatten wir über zweihundert Angebote von Frackanzügen, und wir staffierten uns aus und zogen so gerüstet auch nach Bremen und Hamburg. Naja – das machte also einen ungeheuren Eindruck drüben, man sagte doch, daß die armen Musiker aus Ostdeutschland, die kommen nun im Frack und unsere Orchester, die musizieren noch im Straßenanzug. Also dieser äußerliche Eindruck war auch mitbestimmend für den großen Erfolg, den wir in Hamburg und Bremen mit einem Tschaikowsky-Abend hatten.“
(eigene Transkription der Worte Heinz Bongartz‘ in: DLF, Sendung „Historische Aufnahmen“ vom 1. August 2019 , 22.05 Uhr, Textausschnitt ab Minute 20:00).
Der äußerliche Eindruck ist, so die Einschätzung eines berühmten Dirigenten, mitbestimmend für den Erfolg eines Konzertabends.
Interessant – nicht wahr? Würde man doch denken, der musische Kulturbürger lausche geschlossenen Auges. Aber nein. Offenbar gilt analog dem schönen Spruch „Das Auge ißt mit“, der uns gerade, wenn wir Speisen für Gäste anrichten, auf die äußere Form und vielleicht einige Verzierung zu achten bestimmt, auch: Das Auge hört mit. Der äußere Eindruck einer singenden oder musizierenden Gruppe entscheidet mit über das Musikerlebnis – nämlich über dessen Intensität, Spiritualität und Geschlossenheit – der Zuhörenden.
So theoretisch hingeschrieben kommt einem das komisch vor. Aber wissen tun es alle. Das weiß man offenbar einfach intuitiv. Denn erfahrungsgemäß ist jeder Chor, jedes Orchester und jedes Ensemble bestrebt, sich ein einheitliches, im Falle von Kinder- und Jugendchören gerne sogar eigenes, spezifisches Erscheinungsbild zu geben.
Das hängt mit einer Idee zusammen, die im Unternehmensbereich unter den Begriffen „Corporate Design“ und „Corporate Identity“ verbreitet ist und über deren mögliche Fruchtbarmachung im Bereich des kirchlichen Ehrenamtes schon vor mindestens 10 Jahren an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Erfurt Diplomarbeiten vergeben wurden.
Im Bereich der Unternehmensstrategien ist die Idee des Corporate Design über 100 Jahre alt und wird mit dem Namen Peter Behrens (u.a. Arbeitgeber des jungen Walter Gropius #Weimarbezug 🙂 ) verknüpft. Ihr Sinn ist das erfolgreiche Bemühen um ein einheitliches und positives Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit, was durch den Wiedererkennungswert dessen Bekanntheit erhöht oder sogar überhaupt erst ermöglicht. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern teilt sich dieses positive und wiederkennbare Erscheinungsbild als Identifikationsangebot mit, das sich im Stolz der Zugehörigkeit, dem damit einhergehenden persönlichen Einstehen für das Unternehmen und einer daraus resultierenden positiven Ausstrahlung in der Aktivität für das Unternehmen ausdrückt und für Außenstehende spürbar wird.
Kein Wunder, daß man in der katholischen Kirche in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen irgendwann nach Möglichkeiten suchte, diese Idee des Corporate Design, die im liturgischen Dienst ja 2000 Jahre alt ist, auch auf den ehrenamtlichen Dienst der Laien zu übertragen. Stichwort Identifikationsangebot, Gefühl der Zugehörigkeit, ‚Kundenbindung‘, persönliches Einstehen, positive Ausstrahlung – im Idealfall bis hin zu der ja immer wieder vom Ambo aus angemahnten Neuevangelisierung. Alles mehr als nötig – gerade hier in der Diaspora!
Cornelie Becker-Lamers
Fortsetzung folgt
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