Neues vom modernen Kirchenbau
Ein „PuLa unterwegs“
Vor gut zwei Wochen lud die Vereinigung der pueri cantores zu einer ChorleiterInnenfortbildung ein und ich nahm das großzügige, weil kostenlose und zugleich wirklich qualitätvolle Angebot wahr (die Pfarrei hat die Fahrtkosten übernommen – dafür auch öffentlich herzlichen Dank!) Wir waren etwa dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer und haben etliches an Einsingübungen, Spiele für die Gruppen (es richtete sich ja an LeiterInnen von Kinder- und Jugendchören) und einige gefällige mehrstimmige Stücke kennengelernt, von denen zumindest eines auch für die kleine Gruppe der Cäcilini machbar sein sollte. (Raunte mir eine meiner Nachbarinnen doch an einer Stelle zu, sie habe nur 15 Chormitglieder, da brauche sie an Mehrstimmigkeit ja gar nicht zu denken … Ich habe mal lieber nichts gesagt, sondern mich auf ein verständnisvolles Nicken beschränkt. Sie wissen ja: Beim dreistimmigen „Maria, Mutter, Friedenshort
hatten wir zwei Proben und waren zu siebent. Naja – tapfere Cäcilini eben! „No retreat, baby, no surrender“. 🙂
Aber wegen der Fortbildung schreibe ich gar nicht. Ton- und Bildaufnahmen sind in Seminaren verboten – was soll das also auf einem Blog. Ich schreibe wegen des Veranstaltungsortes. Denn Stephan Rommelspacher (Leipzig) und Elisabeth Lehmann-Dronke (Erfurt), die beiden Verbandsvorsitzenden der pueri-cantores-Region Ost hatten zur Fortbildung nach Leipzig ins Gemeindehaus der Pfarrei St. Trinitatis eingeladen. Und ich nutzte meinen Aufenthalt unter anderem, um den auch im Weimarer Freundeskreis bereits vielbesprochenen Neubau dieser Kirche endlich einmal selbst in Augenschein zu nehmen.
Gut – mehr breit als quer und ein verdecktes Oberlicht im Altarraum – das gibt es ja alles seit 50 Jahren. Hier fehlen nun auch noch die Altarstufen. „Schwellenloser Altarraum für vielfältige Liturgieformen“, nennt man das auf der Homepage der stolzen Architekten und zeigt einen Pünktchenring um den Altar. Ok … schon gut … Stufengebet irgendjemand? Och nööööö … Zum Vater Unser kommen alle Kinder mal nach vorne und wir lassen den Embolismus weg.
Ok, das kennt man im Prinzip so alles. Wirklich bemerkenswert aber fand ich den „Kreuzweg“. Sie erinnern sich: Mit seiner Ahnung von Formen in Beton geht der an dieser Stelle unlängst vorgestellte Kreuzweg der Schopper Kirche noch erkennbar vom Figürlichen aus und abstrahiert es. In Leipzig aber geht es nicht einmal mehr abstrakt zu. Die konkreten Formen der Stationen erinnern hier tatsächlich nur noch an die Stolpersteine, die in unseren Städten im Zweiten Weltkrieg deportierte jüdische Einwohner benennen. Eigentlich sollte man in St. Trinitatis Leipzig nicht von „Kreuzweg“ sprechen, sondern von „Rundweg“. Denn ein Rundweg ist es immerhin – und runde Stationen hat er auch. Denn sieht so sieht es da aus:
Damit Sie nicht denken: „Da hat sie jetzt nur den Boden geknipst. Wer weiß, was an der Wand zu sehen ist“ hier die Station VI nochmal aus einiger Entfernung:
So sieht es eine Station weiter aus:
Puuuh! Ganz schön aseptisch und clean, das Ganze – finden Sie nicht auch? So völlig ohne ästhetisches Anschauungsmaterial fühle ich mich beim Kreuzweg-Beten definitiv allein gelassen. Da kann man sich dann ja wirklich alles denken – oder auch nichts. Sehr anspruchsvoll! Wie viele von uns schaffen es, sich hier 14 Stationen lang auf die Sache zu konzentrieren? Also ich persönlich hätte da ungeheure Schwierigkeiten.
In puncto religiösem Sachverstand und – sagen wir: – spirituellem Reflexionsniveau der Planer schießt allerdings die vierte Station den Vogel ab. „Jesus begegnet seiner Mutter“. Da wollte man offenbar ein bißchen Gefühl zeigen. „Auch“. Oder „zulassen, du“. Und hat die Station neben dem einzigen Kunstgegenstand versenkt, den man aus der ersten neogotischen St. Trinitatiskirche (Baujahr 1847) in den nunmehr dritten Kirchenbau dieser Pfarrei mitgenommen hat: Die Statue der Maria mit dem Jesusknaben. Die Schrift ist schräg auf die Figur hin ausgerichtet. Die Anordnung ist also wirklich Absicht.
Ist es möglich, daß niemandem aufgefallen ist, daß man vor einer solchen Statue etwas anderes zu beten hat (im affirmativen wie im normativen Sinne) als angesichts der vierten Kreuzwegstation? Kann doch eigentlich gar nicht sein?! Das ist schon kurios. Da verkommen Marienstatuen zum postmodernen Genrezitat, das im Stilgemisch der unterschiedlichen Entstehungszeiten ein bißchen Traditionsbewußtsein simulieren und nebenbei einen Kirchenraum als katholischen ausweisen kann. Gratuliere!
Aber wo bleibt der oder die Betende? Auf diesen Stolpersteinen? Vor diesen kahlen Wänden? Vor diesem irreführenden Bild?
Cornelie Becker-Lamers
PS: Da ist an einer Stelle die Rede von den „Planern“. Ich denke, es sollte klar sein, daß damit natürlich nicht mehr (nur) die (Innen-) Architekten gemeint sein können, oder?
Verantwortlich ist für jeden Bau letzten Endes wer? Die Auftraggeber selbstverständlich. Diese gebaute geistliche Bankrotterklärung geht auf das Konto geistlicher Würdenträger.
Traurig.
Gereon Lamers
2 Kommentare
Wundervoll. Eine Art Freimaurertaufbecken, 2 Lautsprecher als Gegenstand der Anbetung und transzendenten Kontemplation, und bei der Bestuhlung die übliche Quadratur des Kreises. Nachnutzung als Oberhaus problemlos möglich: Links die Regierung, rechts die Opposition und in den Querbänken die Unabhängigen. Der Speaker setzt sich auf den Altar.
Die Philisterhaftigkeit des Entwurfs bleibt aber durch die Plazierung der Zelebrantenhocker am vorgeblichen Vorne gewahrt, statt daß man, wenn schon denn schon, die erste linke Querbank, meinetwegen mit rotem Samt eingeschlagen, wenn’s denn sein muß, als Zelebrantenbank reserviert. Aber da war dann wohl der Auftraggeber vor, denn alles lassen wir ja nicht mit uns machen, wo kämen wir denn da hin.
Hmja – und irgendwann würde dann auch der rote Samt infrage gestellt (vgl. Benedikts rote Schuhe) …
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