Am vierten Sonntage nach Pfingsten
Evangelium: Vom verlornen Schafe [Lk 15, 2; 7]
Die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: »Dieser nimmt Sünder und Zöllner auf, und ißt mit ihnen.« – »Wahrlich sage ich euch, im Himmel wird mehr Freude sein über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte.«
So ist aus deines heil’gen Buches Schein
Gefallen denn ein Strahl in meine Nacht,
In meines Herzens modergrauen Schacht.
Du gabst ihn Herr, du hast mir selbst gebracht
Was ewig meiner Hoffnung Edelstein.
Es ist zuviel, zuviel; ich faß es kaum:
Um meine ganz versunkne Seele, weh,
So öd und aschig wie Gomorrhas See,
Um sie soll Freude sein in deiner Höh‘!
Es ist zuviel, weh mir! es ist ein Traum!
Kann wachsen denn, wie des Polypen Arm,
Aus Tränen die verlorne Eigenschaft?
Zieht mit der Reue wieder ein die Kraft?
Ist es genug, wenn tot die Leidenschaft
Zerfressen liegt wie von Insektenschwarm?
Ist es genug vor deiner Gnad‘ und Lieb‘,
Wenn über das Gebäude ausgebrannt
Sich sehnsuchtsvoll und betend streckt die Hand,
Die Hand, so alle Übel ausgesandt,
Die Hand, der, ach, das brand’ge Zeichen blieb?
Und doch hast du ein heilig Wort gesandt
Uns bindend mit gewalt’ger Gnadenpflicht,
Zu glauben gegen eigenes Gericht,
Was stöhnend aus des Herzens Kammern bricht
Und selber die Verwerfung sich erkannt.
Zu glauben ach wie süß und ach wie schwer!
Weh! nicht auf meine Sünden darf ich schaun,
Soll nicht in ihrem Schlamme das Vertraun
Ersticken, wie ein Wild in Sumpfes Graun,
Wie ein Gevögel ob dem Toten Meer.
Was du gesprochen, Herr, wer meistert’s kühn,
Bist gnäd’ger du als Menschensinn ermißt?
So bist du Herr der Heiland und der Christ;
Und ich, die nur ein armer Schatten ist,
Was darf ich anders tun als glaubend knien!
Annette von Droste-Hülshoff
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