Am einundzwanzigsten Sonntage nach Pfingsten
Evangelium: Vom hochzeitlichen Kleide [Mt 22, 12]
Und er sprach zu ihm: »Freund! wie bist du herein gekommen, und hast kein hochzeitliches Kleid an?«
An manchem Tag mein Hirn wie wüst und öde!
Wie eingesargt mein Herz zu manchen Zeiten!
Vor übergroßer Schwäche schein‘ ich blöde,
Bewußtlos starrt mein Auge durch die Weiten,
O welch ein Bild verschuldeten Verfalles!
O welch ein kläglich Bild der Niedrigkeit!
Wie fühl‘ ich es! doch nicht zu jener Zeit,
Wo neblig mir und unverständlich alles.
Soll ich es Leichtsinn nennen? O mitnichten!
Wie Zentner fühl‘ ich es am Herzen liegen.
Soll ich verstecktem Trotze gleich es richten?
Dann wahrlich müßt‘ ich mich zum Meister lügen!
Des Trotzes Kraft, des Leichtsinns heiter Prangen,
Die sind gebrochen mit dem gleichen Streich;
Nein! einem morschen Stamme bin ich gleich,
An dem die Blätter halbverhungert hangen.
Wenn Nervenspiel mir einmal möchte hellen
Der dumpfen Stirne fieberisch Umgeben,
Aufsprudeln möchten alter Wunden Quellen
Und stoßen vor der Worte sengend Leben:
Wie zittert meine Hand! wie bricht zusammen
Die Körperkraft in solchem Augenblick!
Und eine harte Faust stößt mich zurück
Ein nutzlos Opfer in die eignen Flammen.
Weh mir, ist dies ein hochzeitliches Kleid,
Worin ich deinen Gästen mich gesellen
Und meine arme Lampe lehrbereit
O Herr! an deinen heil’gen Schrein darf stellen?
Ein halb Ertrunkner deut‘ ich nach der Küste
Und aufwärts deut‘ ich schwindelnd, wie verwirrt;
So Israel durch vierzig Jahre irrt‘
Und sucht‘ und sucht‘, und fand ein Grab der Wüste.
Doch weißt du auch, mein Herr und milder Richter!
Es war nicht Eitelkeit, was mich geleitet.
Der zündet nicht dem eignen Moder Lichter,
Wer noch um ird’scher Ehre Kränze streitet!
Der läßt des Sarges Deckel gern geschlossen.
Doch eben jetzt, all deiner Pfunde bar,
Jetzt brächt‘ ich gerne noch ein Scherflein dar
Für alle meines eignen Leids Genossen.
Groß ist die Zahl, das hab‘ ich erst erfahren,
Seit mich die Wellen unter Menschen trieben.
In meiner Heimat noch, der frommen, klaren,
Da mußte Einsamkeit mich sehr betrüben,
Doch als ich in die Fremde nun getreten,
Wie schauderte mir vor Genossenschaft!
Wie Pilze hingen sie am dürren Schaft,
Wie Nesseln schossen sie aus allen Beeten.
Da sah ich auch, wohin es konnte führen
Mutlos zu stehn auf unterhöhltem Grunde;
Noch durfte meine Hand das Kreuz berühren,
Doch andre hört‘ ich jubeln tief im Schlunde.
Da sah ich, wem sich meine Augen wandten,
Da hörte ich, was ich vergessen will,
Noch sprach in mir ein Laut, o steh nicht still!
Schau jene an, sie sind nur still gestanden!
Seitdem auch weiß ich, wem ich bin gesendet;
Dem der da steht, wo ich nicht durfte weilen.
Kein Licht hab‘ ich was leuchtet oder blendet,
Nur eine Stimme! die da treibt zu eilen,
O eile! eile! nur die Schritte wende!
Und ob kein Schimmer durch die Wolke bricht,
So denk »Er herrscht im Dunkel wie im Licht.«
Und falte nur im Finstern deine Hände!
Annette von Droste-Hülshoff
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