Zurüruck zum Inhalt

O Wundernacht!

Zum Tage: Annette von Droste-Hülshoff encore

Als Gereon 2019 den Adventskalender mit Gedichten aus dem Geistlichen Jahr in Liedern auf alle Sonn- und Festtage von Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) zu planen begann, war mir klar, daß ich auch nach Vertonungen ihrer Gedichte, ja idealerweise nach eigenen Kompositionen der Dichterin zum Geistlichen Jahr suchen würde. Denn daß sie selber komponiert hat, wußte ich noch aus meinem Studium in Münster.

Die Familien Droste zu Hülshoff und Haxthausen (mütterlicherseits) waren hochmusikalisch und unterwiesen ihre Sprößlinge sorgfältig. Über von Haxthausens Volksliedsammlungen haben wir im Advent ja bereits durch die Schafe ein bißchen was erfahren. Und Clemens August II, Annettes Vater, soll ein guter Violinist gewesen sein. Maximilian Friedrich schließlich, ihr Onkel und zunächst Priester, wandte sich nach seiner Heirat mit Mitte 20 ganz dem Komponieren und Dirigieren zu. Max von Droste, dessen Werke sogar durch Joseph Haydn in Wien aufgeführt wurden, schrieb für seine begabte Nichte eine Generalbaßschule. Und so überstiegen Annette von Drostes Fertigkeiten im Gesang und am Klavier, besonders aber in der Kunst des Tonsatzes das in Adelskreisen übliche Maß.

Leider fanden sich unter den YouTube-Videos zwar einige sehr schöne Liedeinspielungen bspw. von Heike Hallaschka, aber ich fand keine Komposition der Dichterin selber. Und zum Geistlichen Jahr fanden wir auf YouTube einzig eine Lesung des Dreikönigsgedichtes.

Wie sieht es überhaupt mit Vertonungen zu Droste-Gedichten aus? 1986 hat Irmgard Scheitler im Droste-Jahrbuch 1 (S. 186-202) einen Aufsatz zur musikalischen Rezeption des Geistlichen Jahres vorgelegt, auf den ich mich im folgenden hauptsächlich beziehe. Scheitler führt die Tatsache der im Vergleich zum dichterischen Rang der Autorin spärliche Anzahl von Vertonungen auf eine Sperrigkeit der lyrischen Vorlagen zurück: „Die Gedichte der Droste gelten als schwer zugänglich. Sie befremdeten bereits die Zeitgenossen durch ihre verschränkte Sprache, ihren weit ausladenden Duktus und ihren Gedankenreichtum.“ (S. 190) In der Tat entziehen sich die epenhaften Erzählungen, die sich in ihren subjektiven Reflexionen meist gänzlich vom vorgegebenen Evangelientext entfernen, eigentlich dem Strophenlied. Eine Vertonung müßte in jedem Fall eine durchkomponierte sein. Und so hält Scheitler fest: „Nicht einmal zur Zeit des Kulturkampfes, als die Droste als katholische Dichterin verherrlicht und ihre geistlichen Werke, allen voran das Geistliche Jahr, in den Vordergrund gestellt wurden, nahmen sich die Komponisten der Sonn- und Feiertagsgedichte an.“ (S. 191)

Die Vertonungen, die Scheitler dennoch auflisten kann, treffen in der Regel aus jedem Gedicht eine Stophenauswahl. Und die Komponisten versuchen, ihre Vertonungen durch ein Ausklammern gerade des Typischen des Geistlichen Jahres, nämlich der individualisierenden Strophen, ihre Lieder „auf die Ebene objektiver, für gottesdienstliche Zwecke verwendbare Evangelienbereimung“ zu reduzieren. (S. 193) Eine Ausnahme bildet das „Droste-Chorbuch nach Gedichten aus dem ‚Geistlichen Jahr‘ der Annette von Droste-Hülshoff für gemischte Stimmen“, das Fritz Schieri nach Kriegsende begann und 1959 veröffentlichte. (S. 193f.) Schieri vertont hierfür 17 Gedichte aus dem Geistlichen Jahr, sowohl strophisch als auch durchkomponiert. Seine an Hugo Distler geschulte Kompositionsweise setzt auf Deklamation und Textverständlichkeit, verleiht den selbständigen Stimmen Eigenrhythmik und verzichtet auf Taktstriche, so daß die Musik metrischen Wechseln in den lyrischen Vorlagen Rechnung tragen kann. Durch seine Anordnung nach dem Kirchenjahr (nicht, wie bei Droste, nach dem Kalenderjahr) und das Mitvertonen von in der lyrischen Vorlage etwa ausgesparten Evangelientexten objektiviert Schiris „Chorbuch“ die Gedichte des Geistlichen Jahres und biegt sie auf das Schema des traditionellen Perikopenliedes zurück (S. 197) Das „Lied am Grünendonnerstage“, dem wir uns im folgenden zuwenden möchten, hat Schieri durchkomponiert und als Lied Nr. 9 in seine Sammlung aufgenommen.

Die Wundernacht, eben das „Lied zum Grünendonnerstage“, wird von der Forschung als Indiz dafür herangezogen, daß Annette von Droste-Hülshoff sich das Geistliche Jahr im gesungenen Vortrag vorgestellt hat. (S. 196) Denn dieses Gedicht liegt in einer Vertonung durch die Dichterin selber vor. Die Komposition wird von Scheitler auf die Entstehungszeit der lyrischen Vorlage, nämlich 1820-23, datiert. Diese Zeit steht in der Droste-Forschung unter der Überschrift „Jugendkatastrophe“, da damals eine Intrige Drostes Verlobung und Heirat vereitelte. Sie igelte sich zuhause ein und dichtete, so ihr Gesundheitszustand es zuließ. Namentlich zur Entstehung der Wundernacht zitiert Scheitler eine Briefstelle Drostes an Anna von Haxthausen: „Vorzüglich ist das Lied am Gründonnerstage zu einer Zeit, wo sehr heftige Kopfschmerzen mir zuweilen eine solche Dumpfheit zuzogen, daß ich meine Geisteskräfte der Zerrüttung nahe glaubte, unter den schrecklichsten Gefühlen geschrieben“ (S. 198, Anm. 38).

Es ist immer ein Anfängerfehler, literarische Werke vor dem Hintergrund der Autorenbiographie zu interpretieren. Aber im Falle der Wundernacht ist der Hinweis auf die Entstehungsumstände des Gedichtes wirklich mal hilfreich, da man so wenigstens einen kleinen Hinweis zur Motivierung der verstörenden beiden mittleren Strophen des Gedichtes erhält. Eine Gedichtinterpretation müßte sich von diesem Hinweis dann wieder lösen.

Zur Vertonung der Wundernacht durch die Autorin urteilt Scheitler: „Der Tonsatz ist nichts weiter als eine bescheidene Hülse, ein Mittel gefälligen Vortrags. Der Musik kommt keine interpretatorische Qualität zu, sie legt den Text nicht aus, eher widerlegt sie ihn […]. Der Satz hat etwas Quadratisches an sich; zwischen die Zeilen sind Viertelpausen eingeschoben, […]. Kann man sich zehn Strophen so gesungen vorstellen?“ (S. 198).

Tja: Kann man sich zehn Strophen so gesungen vorstellen? Ja, liebe Frau Scheitler, das war genau die Frage, die auch wir uns gestellt haben, nachdem wir den Notentext in Augenschein genommen hatten. Als unsere Suche nach YouTube-Videos mit Liedern aus dem Geistlichen Jahr scheiterten, ging ich nämlich an die Beschaffung von Notenmaterial. Antiquarisch erwarb ich für wenig Geld eine Ausgabe der „Lieder und Gesänge“, die Karl Gustav Fellerer 1954 ausgewählt und herausgegeben hat. Das Büchlein enthält insgesamt 15 Kompositionen Annette von Droste-Hülshoffs, darunter Vertonungen anonymer Volksliedtexte sowie eigener und fremder Gedichte. Aus dem Geistlichen Jahr ist nur das Lied zum Gründonnerstag in die Sammlung aufgenommen.

Das mußte es also werden, wollten wir den Adventskalender zu irgendeinem Zeitpunkt mit etwas Hörbarem abrunden. Ich schrieb also die Einzelstimmen aus dem Chorsatz heraus und an einem Hausmusikabend spielten meine Töchter, eine Freundin aus dem ‚Blockflötenensemble Herz Jesu‘ und ich die Strophen 1-4, 7-8 und 10 des Liedes O Wundernacht zur Fußwaschung am Gründonnerstag ein. Wir wählten also Strophen aus, ließen die trübsinnigsten (5 und 6) weg und wandten zur Belebung des Vortrags außerdem einen Trick an, den ich im Blockflötenensemble gelernt habe: Wir variierten die Besetzung und ersetzten in der einen oder anderen Strophe einzelne Singstimmen durch Instrumente. Die Einspielung hat keinen Konzertanspruch, sondern ist eben Hausmusik und soll mithelfen, in Zukunft wenigstens einen ersten Höreindruck einer Eigenkomposition der Droste zum Geistlichen Jahr zur Verfügung zu haben.

Hier also kommt nun das Lied.

Enjoy! 🙂

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Annette von Droste Hülshoff

O Wundernacht

(Am Grünendonnerstage)

Evangelium: Von der Fußwaschung [Joh 13, 1-20]

O Wundernacht, ich grüße!
Herr Jesus wäscht die Füße,
Die Luft ganz stille stand,
Man hört den Atem hallen
Und wie die Tropfen fallen
Von seiner heil’gen Hand.

Da Jesus sich tut beugen,
Ins tiefe Meer sich neigen
Wohl Inseln diesem Gruß.
Ist er so tief gestiegen,
So muß ich ewig liegen
Vor meines Nächsten Fuß.

Herr, ob sich gleich betöret
Die Seele mein empöret
Vor aller Niedrigkeit,
Daß ich vielmehr mein Leben
In Qualen aufzugeben
Für deinen Ruhm bereit:

So gib, daß ich nicht klage,
Wenn du in meine Tage
Hast alle Schmach gebannt,
Laß brennen meine Wunden,
So du mich stark befunden
Zu solchem harten Stand!

O Gott, ich kann nicht bergen,
Wie angst mir vor den Schergen,
Die du vielleicht gesandt,
In Krankheit oder Grämen
Die Sinne mir zu nehmen
Zu töten den Verstand!

Es ist mir oft zu Sinnen,
Als wolle schon beginnen
Dein schweres Strafgericht,
Als dämmre eine Wolke,
Doch unbewußt dem Volke,
Um meines Geistes Licht.

Doch wie die Schmerzen schwinden,
Die mein Gehirn entzünden,
So flieht der Nebelduft,
Und mit geheimem Glühen
Fühl‘ ich mich neu umziehen
Die frische starke Luft.

Mein Jesu, darf ich wählen,
Ich will mich lieber quälen
In aller Schmach und Leid,
Als daß mir so benommen,
Ob auch zu meinem Frommen,
Die Menschenherrlichkeit.

Doch ist er so vergiftet,
Daß es Vernichtung stiftet,
Wenn er mein Herz umfleußt,
So laß mich ihn verlieren,
Die Seele heimzuführen,
Den reichbegabten Geist.

Hast du es denn beschlossen,
Daß ich soll ausgegossen
Ein tot Gewässer stehn
Für dieses ganze Leben,
So will ich denn mit Beben
An deine Prüfung gehn.

 

Nachweise:

Text hier.
Text und vierstimmiger Liedsatz für Frauenchor abgedruckt in:
Annette von Droste-Hülshoff, Lieder und Gesänge, herausgegeben, ausgewählt und erläutert von Karl Gustav Fellerer, Münster/Westf.: Aschendorff 1954, S. 42f.

Zur oben referierten und zitierten Übersicht über die Droste-Vertonungen siehe:
Irmgard Scheitler, Die musikalische Rezeption des
Geistlichen Jahres von Annette von Droste-Hülshoff, in: Droste-Jahrbuch 1. Im Auftrag der Annette von Droste-Gesellschaft herausgegeben von Clemens Heselhaus und Winfried Woesler, Münster: Regensberg 1986, S. 186-202.

 

Einen Kommentar schreiben

Ihre Email wird NIE veröffentlicht oder weitergegeben. Benötigte Felder sind markiert *
*
*

*