Worin dann auch ‘diaphthora’ endlich vorkommt!
Österliche Fragen zur Übersetzung der Heiligen Schrift 2/3
Gestern hatten wir festgestellt, daß es seit Jahrzehnten in der wohl meist gelesenen katholischen deutschen Bibelübersetzung in Bezug auf zwei wichtige aufeinander bezogene Bibelstellen, die zentral sind für den österlichen Auferstehungsglauben, einen Widerspruch gibt, der auch die Bezogenheit von AT und NT negativ tangiert, und hatten uns gefragt, macht der „hebräische Urtext“ die unterschiedlichen Übersetzungen unvermeidbar?
Dazu wäre zunächst einmal zu sagen, alles Reden vom ‘Urtext’ ist gefährlich, denn den Urtext gibt es nicht, weil es ihn nicht geben kann. Alles, was es gibt und geben kann ist das jeweils beste Bemühen um die beste Interpretation (!) der jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannten (!) ältesten Textzeugen. Und diese sehr voraussetzungsvolle Situation kann sich jederzeit, wörtlich jeden Tag!, ändern. Weil z.B. einfach neue Textzeugen auftauchen, man denke nur an die Geschichte der Qumran-Rollen. Oder weil Philologen sich aus besserer Einsicht, die aus vielem stammen mag, korrigieren.
Kurz, wir haben ihn nicht, jenen unhintergehbaren, ältesten autoritativen Text, vor dem jedes Argumentieren verschweigen muß; der HErr hat keine gesiegelten Urkunden hinterlassen….
Ein Reden vom ‘Urtext’ in dieser Weise ergibt also keinen Sinn, ist aber leider häufig anzutreffen, und ich zweifle, ob immer in lauterer Absicht. Auch da läßt z.B. die Publikationsgeschichte der Qumran-Rollen erhebliche Zweifel aufkommen.
Aber fragen wir zunächst: Was steht da in Psalm 15 [16] wie er in der Apostelgeschichte zitiert wird? Das griechische Wort ist “diaphthora” und dazu sagt uns die “Septuaginta Deutsch” (Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009), die hier im Haupttext das Wort “Vernichtung” gebraucht, in einer Fußnote (S. 764): “Möglich ist auch Verwesung”.
Insoweit hat also die (soweit ich weiß) gut 1.500 Jahre unangefochtene Lesart, repräsentiert im lateinischen Westen durch die Vulgata, auch nach recht frischen philologischen Maßstäben eine gute Grundlage!
Dann, also vor gut 500 Jahren, ging es los, damit, sich schlauer wähnen zu wollen, als alle bisher lebenden Menschen (was ich, wenn Sie den persönlichen Einschub gestatten, immer schon für eine der vulgärsten “Geistes”-Haltungen überhaupt gehalten habe), aber das war leider etwas die Mentalität vieler “Humanisten”, die sich z.B. die “Reformation” dann vielfach aus ganz und gar außerphilologischen Motiven zunutze gemacht hat.
Dessenungeachtet war natürlich das verstärkte, erneute Hinschauen auf den hebräischen Text, das damals geschah, durchaus sinnvoll! “Erneut”, weil es der Hl. Hieronymus, wie wir heute wissen, auch schon auf hohem Niveau getan hat, was aber in der damaligen konfessionell-konfrontativen Situation leider bestritten wurde.
Auch gilt es zu bedenken, der im 16. Jahrhundert rezipierte sog. “Masoretische Text” ist eine Hervorbringung des Mittelalters, entstanden etwa zwischen den Jahren 700 und 1000. Nach allem, was ich weiß, eine großartige Leistung dieser jüdischen Gelehrten, der “Masoreten”, die auch nach dem heutigen Kenntnisstand in bewundernswerter Weise teils sehr alte Textgestalt bewahrt haben, nur daß eben auch wahr ist, sie lebten in einer Situation religiöser Konkurrenz mit dem sie umgebenden dominanten Christentum, das ebenfalls Anspruch auf “ihre Texte” erhob. Wo möglich werden sie sich natürlich und verständlicherweise gegen christliche Lesarten entschieden haben, bzw. solche, die christliche Interpretation hätten erleichtern können. Das ist ihnen nun wirklich nicht zu verdenken – die Frage ist nur, welche Schlüsse ziehen wir daraus!
Immerhin muß man bemerken, daß die “Luther-Bibel letzter Hand” von 1534 zu unserem Psalm (in bereits falscher Zählung und neben einer reichlich an den Haaren herbeigezogenen antikatholischen Polemik in der Randnote zu V. 4) folgenden Text bietet:
Denn du wirst meine seele nicht inn der helle lassen/und nicht zugeben/das dein Heilige (sic!) verwese.
(zitiert nach der Faksimile Ausgabe, Köln 2002, Hervorhebung von mir).
Aber was ist denn nun das hebräische Wort? Es lautet: “shachath”. Ich betone ausdrücklich, ich habe nicht Hebräisch gelernt, geschweige denn studiert, aber ich glaube zuversichtlich, die jedermann (und -frau 😉 ) zugänglichen Ressourcen, z.B. hier, richtig zu verstehen, wenn ich sage, aufgrund mehrerer aktueller, wissenschaftlicher Konkordanzen darf man davon ausgehen, daß dieses Wort im biblischen Kontext (min.) folgende drei Bedeutungsebenen hat: Die wörtliche “Grube” (gerne im Sinne von “Falle”), eine erste, sozusagen nähere, übertragene Bedeutung, “Grab” und schließlich den “weiteren” übertragenen Sinn, “Zerstörung”, “Verwesung”.
Wenn das richtig ist, wieso dann aber in einer Bibelübersetzung, die besonderen Wert auf den Aspekt der Verkündigung, der christlichen Verkündigung legt (vgl. Vorwort zur EÜ 1980) die vorhandenen Bedeutungsnuancen nicht nutzen?
Und wieso geht im Jahr 2016 eine überarbeitete Bibelübersetzung, die explizit das Verhältnis zum Judentum in den Blick nimmt (vgl. gestern) dann noch einen Schritt zurück zur (bloß) wörtlichen Bedeutung?
Was ist das? Was ist da geschehen?
Das schauen wir uns morgen an!
Gereon Lamers
Ein Kommentar
Also ich übersetze:
Wahrlich;
Du wirst meine Seele nicht im Scheol lassen.
Nicht gibst du deinem gerechten zu Schauen die Schachath.
Scheol ist Unterwelt, Totenreich.
Schachath kann sein: (1) Falle,Grube, oder (2.) Grab, Unterwelt.
Aufgrund des Parallelismus membrorum der hebr. Lyrik wäre dann zunächst einmal die zweite Bedeutungsgruppe vorzuziehen.
Gehen wir aber einmal auf das zugrundelegende Verb zurück, so heißt dies verderben, zerstören, vernichten (und weiteres appetitliches). Für Schachath kann also auch „Vernichtung“ o.ä. übersetzt werden.
Mithin ist „Verwesung“ sogar die elegante Verbindung beider Seiten.
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