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„Auf eigene Gefahr“

Satire in den Zeiten von COVID 19

Im vergangenen Jahr besuchten wir meine Nichte in Gießen. Und an diesem Wochenende, Mitte März 2019, galt in Gießen wirklich mal: nomen est omen. Es goß in Strömen. Das ganze Wochenende. Das tut weiter nichts zur Sache – tat es auch vor einem Jahr nicht –, soll nur die Fotografien entschuldigen, die wir gleich präsentieren, weil sie bei so erkennbar unfotogenem Wetter entstanden sind.

Natürlich waren wir auch damals am Sonntagvormittag in der Kirche. Die katholische Kirche St. Bonifatius in Gießen ist ein ganz schöner Raum. Darüber könnte man auch mal ein „PuLa unterwegs“ schreiben. Sie ist nämlich neu ausgestattet und hat trotzdem Seitenaltäre. Links einen für Maria mit dem Kind und rechts einen für Josef. Mit einer Lilie. Stellen Sie sich vor! Sogar das geht: Neugebaute Seitenaltäre! Da sollte, möchte man meinen, der Wiederaufbau eines erhaltenen historischen Inventars doch erst recht möglich sein.

Aber dazu ein andermal mehr. Darum soll es heute gar nicht gehen. Sondern um ein Warnschild vor dieser Kirche. Natürlich bezieht es sich auf Nässe, Winterdienst, Stufen oder was auch immer. Aber an den Eingangsstufen zum Kirchhof ist so eine Warnung einfach lustig. Denn da stand:

„Durchgang auf eigene Gefahr“. Ja: Vorsicht! Der Besuch einer Heiligen Messe könnte Ihren Gemütszustand beeinflussen! (Gießen, am Hoftor von St. Bonifatius im März 2019; eigene Bilder)

‚Das mußt du fotografieren‘, dachte ich mir. ‚Da kann man mal was draus machen.‘ Gesagt – getan. Aber Sie wissen ja: Manchmal wird Satire von der Realität ganz schnell eingeholt. Das hatten wir ja schon öfter mal. Jetzt ist es wieder soweit. Und das haben offenbar auch schon andere gemerkt. War die katholische Kirche lange Zeit eine Verfechterin von Anstandsregeln, hat sie nun die Abstandsregeln für sich entdeckt. Und nicht nur das:

„Die Gottesdienstbesucher sind am Zutrittsbereich durch geeignete Informationen (Hinweisschilder, Aushänge) über Händehygiene, Abstandsregeln, Husten- und Niesetikette und deren Einhaltung zu informieren. Dort hat der Hinweis zu stehen: Die Teilnahme am Gottesdienst geschieht auf eigene Gefahr“, lautet Punkt ‚l‘ des „Schutzkonzeptes für öffentliche Gottesdienstfeiern, das der Generalvikar am 23. April 2020 ins Netz gestellt hat (Hervorhebung von mir).

Ok. PuLa schätzt für Sie, liebe Leser, die Risiken ab. Wie schon in den Printmedien, so liest man auch auf der eigens eingerichteten „Corona“-Seite unseres Städtchens  „von insgesamt 64 positiven Fällen seit Beginn der Pandemie“. 58 dieser einmal infizierten Personen „gelten als genesen“. Und das ganze gibt den Stand am 06.05.2020  um 17:15 Uhr wieder. Nach Adam Riese sind derzeit hier also sechs Leute infiziert und noch nicht genesen. Das ist bei einer Einwohnerzahl von gut 65.000 Menschen π mal Daumen jeder Zehntausendste. Bei einer Katholikenzahl von etwas über 4.000 in der Stadt haben wir statistisch gesehen nicht mal einen halben Infizierten in der Pfarrei. Bei einer auf 30 Personen beschränkten Anzahl von Meßbesuchern liegt die Chance auf eine Begegnung bei … puh! Kann das einer? – Egal! Also ich an Ihrer Stelle würde einen Platz in der Sonntagsmesse buchen! Wir begrüßen daher die Gewissenhaftigkeit, mit der Herz Jesu Weimar auf die Anweisung des Generalvikars reagiert.

„Die Teilnahme am Gottesdienst geschieht auf eigene Gefahr. Bistum Erfurt 23.4.2020“: Erforderliches Hinweisschild im Zutrittsbereich der Pfarrkirche Herz Jesu Weimar (eigenes Bild)

Cornelie Becker-Lamers

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