Ein Sketch für etwa 25 Kindergartenkinder, 15 Jugendliche und 10 Erwachsene, die ganze Schafherde inklusive zweier Lämmchen und eines Hütehundes
Wundersdorf, die allseits bekannte Schafweide. Kohle, Flocke, Wolle, Grauchen und Blütenweiß stehen mit anderen Schafen am Gatter und scheinen auf etwas zu warten. Manche scharren ungeduldig mit den Hufen. Ein Schaf stößt bereits das Gatter auf. Tatze, der Hütehund, drängt das vorwitzige Schaf behutsam zur Seite und schließt das Gatter mit der Schnauze wieder. Alle blicken Richtung Unterstand.
Kohle (ungeduldig in Richtung Unterstand): Fixi! Huf! Wo bleibt ihr denn? Wir wollen los!
Fixi (aus dem Unterstand): Einen ganz kleinen Augenblick noch!
Huf (steckt den Kopf aus der Tür): Außerdem müßt ihr sowieso noch warten. Wir haben nämlich eine Überraschung für euch.
Grauchen: Wo wollen wir eigentlich hin?
Wolle: Das arme Schwein von Totilas besuchen und ein bißchen seelischen Beistand leisten.
Grauchen: Ist Totilas nicht ein Pferd?
Wolle: Doch, klar. Aber weil der Martinsumzug abgeblasen worden ist, vermißt er seine Extraportion Heu, auf die er ganz fest gerechnet hatte!
Grauchen: Stiiiiiimtmt! Er hatte den Job als Martinspferd!
Wolle (nickt): Normalerweise ja. Nur dieses Jahr nicht.
Grauchen: Oh! Armes Schwein!
Wolle: Sag ich doch!
Blütenweiß: Das kann uns alles auch noch blühen – wenn sie uns dieses Jahr nicht für die Krippenspiele brauchen.
Grauchen: Hör bloß auf! Ich darf gar nicht dran denken!
Flocke (begütigend): Jeder Tag hat seine eigene Sorge. Wartet es doch erst einmal ab.
Kohle (erbost): Jetzt muß ich die beiden aber doch holen! (Er will sich in Richtung Unterstand in Bewegung setzen, als eine schnatternde Horde Halbwüchsiger mit einem Schwung Kindergartenkindern, Eltern und Erzieherinnen an der Weggabelung zur Stadt sichtbar wird. Sie tragen Lampions und bunte Laternen (rote, gelbe, grüne, blaue) vor sich her und singen, noch ungeordnet, verschiedene Martinslieder. Sie steuern direkt auf die Schafweide zu. Die Schafe beginnen unruhig zu werden, als sich aus der lustigen Personengruppe Teresa und ihre Mutter Edith herausschälen. Zugleich kommen Fixi und Huf endlich aus dem Unterstand zum Gatter gesprungen.
Teresa (zu den Lämmchen): Fixi! Hu-uf!! (Sie begrüßt die beiden über den Zaun hinweg und streichelt ihre Schnauzen.)
Kohle (zu Edith): Sagt mal – seid ihr irre? Ihr seid mindestens 45 Personen aus 50 Haushalten! Hört ihr denn keine Nachrichten? Was denkt ihr euch eigentlich! Zieht uns da bloß nicht mit rein! Das kann teuer werden!
Edith (lächelt Kohle und der ganzen Herde beruhigend zu): Grüß dich erstmal, Kohle. Teresa, Fixi und Huf haben sich gestern abgesprochen und Huf meinte, das ginge in Ordnung. Wir sollten ruhig kommen, er kriegte das hin. Was er da genau organisieren wollte, weiß ich allerdings auch noch nicht. Deswegen sind wir auch seeeehr vorsichtig auf 55 verschiedenen Wegen aus der Stadt rausmarschiert und haben uns erst an der Weggabelung hier am Waldrand getroffen.
Huf (schlenkert ein Papier): Wir haben ganz ordentlich eine Demonstration angemeldet. So macht man das doch heute! Ihr hört wohl keine Nachrichten?! (Er lacht.)
Kohle: Jetzt werd‘ bloß nicht frech. Du willst mir doch nicht erzählen, daß dir die Polizei in Petershagen vier Tage nach ‚Leipzig‘ eine Demo genehmigt hat?!
Huf: Will ich nicht, aber muß ich ja wohl, sonst geht es ja hier überhaupt nicht weiter.
Wolle: Und was ist unser Thema? Eine Demo braucht doch einen Anlaß und ein gemeinsames Ziel.
Fixi: Unser Ziel ist natürlich ein zünftiger Laternenumzug, wie er sich zu Sankt Martin gehört. Was sollen denn die Heiligen von uns denken, wenn wir ihnen so halbherzig huldigen? (Sie macht ihr altkluges Unschuldslamm-Gesicht.)
Huf: Und als Thema haben wir einen Lichterzug an der Nikolauskapelle vorbei zur katholischen Kirche und zurück angemeldet – also das Motto ist „Frieden“. (Er guckt siegesgewiß in die Runde.)
Kohle (seufzt): Eine Friedensdemo mit Lampions! Ich fasse es nicht! (In anderem Tonfall) Und was habt ihr die ganze Zeit noch im Unterstand gemacht?
Huf: Najaaaaa … die Demo ist natürlich erstmal verboten worden. (Rasch) Aber ich wußte, daß die Jungs von den Klagepaten das für uns durchdrücken. Die kriegen alles hin! Deshalb hab ich gestern Teresa schon mal grünes Licht gegeben. Naja, und die definitive Zusage von OVG kam eben gerade erst … (er grinst.) Aber haut ja noch hin! Jetzt laßt uns endlich los!
Kohle: Auf einmal!
Grauchen: Du guter Gott! Huf! Und nun sollen wir uns alle gemeinsam auf den Weg machen?
Huf: Klar! Wir Schafe zählen doch sowieso wieder nicht. Also habe ich 50 Teilnehmer angemeldet – einmal durchzählen bitte. (Die Erwachsenen aus der Personengruppe auf dem Feldweg überschlagen die Zahl der Kinder)
Eine Mutter: Paßt!
Eine Erzieherin: Kommt genau hin! Mehr sind wir nicht.
Ein Vater (anerkennend): Gut geschätzt, Teresa und Huf!
Teresa: Naja – vorher im Kopf durchgezählt halt …
Grauchen: Und gehen wir jetzt gar nicht zu Totilas?
Wolle: Doch! Das können wir sicher einrichten!
Grauchen: Gut!
Edith (öffnet das Gatter): Jetzt aber los! Es wird schon dunkel.
Die Erwachsenen sammeln die Kinder wieder ein, die sich während der Debatte ein wenig verteilt hatten, und die ganze Schafherde und die etwa 50 Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen setzen sich in Richtung Stadt in Bewegung. Durch die vorgeschriebenen Abstände wird es ein mächtig langer Zug. Doch während die Kinder brav ihre Laternen vor sich hertragen und nun geordnet ein Martinslied nach dem anderen singen, nestelt Fixi immer noch irgend etwas an ihrem Rucksack herum.
Flocke: Fixi! Was hast du denn immer noch? Nun komm schon!
Fixi: Moment! (Sie zieht Kohles Phablet auf dem Rucksack, entsperrt den Bildschirm und kommt dann hinter der Gruppe hergesprungen.) Ich muß doch Dove Sveta spielen! Auf unserer Tour jetzt sind doch massig Punkte drin! So schön wie die Kleinen singen! (Sie ruft die App des Spieles auf.)
Flocke: Na! Wenn dir nur mal nicht auf Schritt und Tritt die Heilige Corona begegnet!
ENDE
Cornelie Becker-Lamers
Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Also – zu einer angemeldeten Demo hat es bei uns in Weimar meines Wissens nicht gereicht. Aber unsere Tochter hat gestern gegen 17 Uhr auf dem Theaterplatz vier Kinder mit ihren Laternen gesehen – unter zehn Personen aus zwei Haushalten vermutlich – und auch mir sind heute zwei Familien mit Kinderwagen und selbstlaufenden Kleinen begegnet, die tapfer ihre Lampions vor sich her trugen und Martinslieder sangen. Einige haben also offenabr die Ausnahmesituation zu nutzen gewußt, um ausnahmsweise mal nicht den Geburtstag Martin Luthers zu begehen, sondern des Tagesheiligen seines Tauftages zu gedenken, dessentwegen Luther überhaupt Martin hieß.
Mein Mann hat heute in Erfurt ebenfalls Kinder und in Weimar sogar eine (hinreichend kleine…) Gruppe von Jugendlichen mit augenscheinlich selbstgebastelten Laternen gesehen!
Wir selber sind gestern den ideenreichen Vorschlägen unseres Gemeindereferenten gefolgt
und hatten ab kurz nach fünf bis halb sechs abends zwei Laternen ins Fenster gehängt. Schauen Sie:
Cornelie Becker-Lamers
PS: Daß es eine ganze ‘Pandemie’ braucht, damit einmal Umzüge am Tag des Hl. Martin stattfinden und nicht am Vorabend, seufz! Seit Jahren schreiben wir uns ja die Finger wund, daß es nichts als fair wäre, es abwechselnd zu gestalten und bekanntlich geschieht es in anderen mitteldeutschen Städten (Halberstadt!) auch nicht nur am 10. November!
Aber immerhin, dafür waren diese kleinen Umzüge spontan! Das macht ja Hoffnung.
Gereon Lamers
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