Zurüruck zum Inhalt

Die – heiligen? – drei? – Könige? (3/3)

Diesseits der Idee des Rassismus

In seinem gut lesbaren Büchlein „Geschichte des Rassismus“ erläutert Christian Geulen, Juniorprofessor für Neuere Geschichte in Koblenz, die Entstehung rassistischer Ideen. Er knüpft sie an Denkmuster im Zuge der spanischen Reconquista und hält fest, „daß [der in dieser Zeit erstmals als Lehnwort aus dem Arabischen auftauchende Begriff] Rasse und Rassismus keineswegs archaische Phänomene sind, sondern immer dort eine Rolle spielten, wo es um eine rationale Neuordnung von Zugehörigkeit ging.“ (S. 36) Die Erhaltung jüdischer Kultur noch Generationen nach Zwangstaufen hatte, so Geulen, die Idee unsichtbarer Eigenschaften ‚des Blutes‘ hervorgebracht, die das „verborgene Wesen“ eines Menschen untrennbar mit seiner Abstammung verbinden sollten. Plötzlich reichte – anders als jahrhundertelang zuvor – nicht mehr das Glaubensbekenntnis zur Zugehörigkeit eines Menschen zur christlichen Gemeinschaft aus. Die Zuordnung zu Abstammungslinien rückte in den Vordergrund. Die zweite wesentliche Bedingung für die Entstehung des Rassismus waren koloniale Expansionsbestrebungen. Massenversklavung oder Ausrottung ganzer Völkerstämme in der Neuen Welt folgten keinem politischen Programm, machten aber die Ausformulierung rassistischer Stereotype zur nachträglichen Rechtfertigung der eigenen Greueltaten unerläßlich. Ein klassisches Beispiel hierfür stellen die damaligen Erzählungen über den flächendeckenden angeblichen Kannibalismus der in Europa fremden Kulturen dar.

Zwischen Abwertung und scheinbarer Aufwertung in einer Stilisierung zum „Edlen Wilden“ werden Angehörige der Zivilisationen der „Neuen Welt“ zur Projektionsfläche europäischer Gesellschaften. Über mindestens zwei Jahrhunderte wird diese Projektionsfläche intellektualisiert. Und so kommt es, daß die Französische Revolution zum einen die Idee der Gleichheit auch der mit rassistischen Stereotypen überzogenen Afroamerikaner bewußt macht und zugleich das Jahrhundert der mit den gewachsenen technischen Möglichkeiten in Schiffahrt und Handel einmal mehr ausufernden Sklaverei einläutet.

« Moi libre aussi » – « Ich (sollte) auch frei (sein) »  (1792) ein ehemaliger schwarzer Sklave in der Kleidung der Revolutionäre (erkennbar an der phrygischen Mütze!) Radierung von Louis Darcis nach Louis-Simon Boizot (Quelle wikicommons)

Jetzt sind wir im 19. Jahrhundert mit seinen ausgearbeiteten und im kulturellen Gedächtnis jedes Europäers festgestampften rassistischen Stereotypen: Im Jahrhundert der US-amerikanischen „Black-facing“-Bühnenshows wie der Erfindung des schwarzen Dieners für den niederländischen Nikolaus. Mit diesen Ideen haben wir bis heute zu tun.

Die Maler des 15. und 16. Jahrhunderts kannten sie hingegen noch nicht. Das Jahr 1492 markiert für die Entstehung rassistischen Gedankenguts in mehrfacher Hinsicht einen Anfangspunkt. Bilder, die in dieser Epoche bereits gemalt wurden, mit der Sensibilisierung des 21. Jahrhunderts zu beurteilen, ist anachronistisch. 500 Jahre vor Erfindung der political correctness verfehlen deren Wahrnehmungs- und Deutungsmuster den Gegenstand ihres Zorns.

Und so macht man sich im Europa der frühen Neuzeit auch nur Gedanken darüber, ob die „Könige“ Könige bleiben dürfen. Kölner Maler stellen die drei weiterhin mit heller Haut dar – aber als „Könige“! Und die Kölner müssen es ja wissen: Beherbergen sie doch seit der Eroberung Mailands durch Kaiser Barbarossa 1164 die durch die Kaisermutter Helena im 4. Jahrhundert aufgespürten Gebeine der frühen Augenzeugen der Geburt des Erlösers. Und sie haben um diese Gebeine einen kostbaren Reliquienschrein und hierum einen ganzen großen Dom gebaut (woher bis heute die Kölner Redensart „Bau keinen Dom dran!“ datiert für den Fall, daß eine Sache nicht so wichtig zu nehmen ist 🙂 ).

Das Wappen der Stadt Köln zeigt die Kronen der im Dom ruhenden Heiligen Drei Könige (Quelle wikimedia commons; User Madden)

Und tatsächlich übersteht die Bezeichnung als „Heilige Drei Könige“ – egal ob schwarz oder weiß dargestellt – sogar reformatorischen Bildersturm und protestantische Skepsis.

 

Sternsinger im Dunkelheute

Aus der Geschichte des Rassismus und vor allem aus der Internetseite „Black Central Europe“, auf der ja wirklich zu Wort kommt, wer unter dem Alltagsrassismus leidet, wird klar, daß man nicht jede Darstellung schwarzer Menschen über einen Kamm scheren kann. Vor allem ist die Geschichte der Afroamerikaner eine so deutlich andere als die schwarzer Deutscher, daß man die über den Atlantik schwappenden Schlagwörter differenzieren und auf europäische Zustände anpassen muß. Nicht abschwächen; aber anpassen. Und nicht vor lauter politischer Korrektheit das Kind mit dem Bade ausschütten.

So begrüße ich, daß in Ulm die Entscheidung gegen die mißlungene Krippenfigur des schwarzen Königs – geschaffen soweit ich weiß um 1920 – ausgefallen ist. Sie verband tatsächlich in drastisch karikierender Weise rassistische Stereotype über Dunkelhäutige. Ebenso vehement aber möchte ich für einen dunkel geschminkten ‚König‘ in jeder Sternsingergruppe plädieren. Diese Kinder betreiben damit kein „black-facing“. Sie karikieren bei ihren Auftritten nicht schwarze Sklaven, sondern stellen einen König dar; einen König, der kam, um Christus anzubeten. Davon singen die Kinder, die in den ersten Januartagen von Haus zu Haus gehen. Sie stellen einen König dar, dessen Ikonographie von einem Benediktinermönch – Beda Venerabilis – um das Jahr 700 erfunden wurde, um durch diese Figur den afrikanischen Kontinent zu repräsentieren, also um Schwarze vorkommen zu lassen; einen König, dessen Vorbilder für die ersten Gemälde der Renaissancezeit gebildete hochstehende Persönlichkeiten aus Afrika waren, die gerade begannen, Europas Fürstenhöfe zu erobern; einen König, dessen Darstellung mindestens 500 Jahre älter ist als die Angstbilder der political correctness. Ich verteidige das dunkel geschminkte Kind in jeder Sternsingergruppe. Denn für eine mögliche Abwertung dieser Figur stimmt einfach das Drehbuch der Sternsinger nicht.

Und ist nicht – wie Dieter Nuhr so treffend bemerkte – der Kern jeder Verkleidung, daß ich in die Rolle eines Menschen schlüpfe, der ich nicht bin?

Wenn man nach dem Schwarzschminken auch die sogenannten „Hosenrollen“ im Theater abschaffen will – beruhen sie doch zumindest bei der Opera Seria auf einer damaligen außerordentlich männerfeindlichen Praxis, nämlich der Produktion von Kastraten – so sollte man tunlichst bis nach dem Beethovenjahr damit warten. Handelt Beethovens einzige Oper doch – von einer als Mann verkleideten Frau!

‘Manfacing’? Oder ‘malefacing’? Jessye Norman als Leonore alias Fidelio in Beethovens gleichnamiger Oper (Screenshot vom YouTube-Film, eingestellt von Haldirwen)

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Einen Kommentar schreiben

Ihre Email wird NIE veröffentlicht oder weitergegeben. Benötigte Felder sind markiert *
*
*

*