Chöre beginnen wieder zu proben. Nicht alle. Aber manche. Und nicht wirklich, sondern virtuell. Aber man will auf jeden Fall irgendwie vorbereitet sein, wenn nach dem Endsieg – äääh … Entschuldigung: nach dem Sieg über das jahrmillionenalte Coronavirus plötzlich wieder Bühnen für Konzerte offenstehen. Wann das sein wird, ist allerdings völlig unvorhersehbar.
Und so sitzen denn überall in Weimar und anderswo Menschen vor ihren Computern im heimischen Arbeits- oder Wohnzimmer und singen allein zur Klavier-Korrepetition aus den Lautsprechern ihren Part eines Chorsatzes, so gut es eben geht. Immerhin lernt man das eine oder andere neue Lied auf diese Weise kennen.
Für mich war es in der letzten Probe am vergangenen Dienstag eines der „Zigeunerlieder“, die Johannes Brahms 1887/88 nach Texten ungarischer Volkslieder vertont und unter der Opuszahl 103 publiziert hat. Im sechsten Lied des Zyklus wiederholt der Chor im Wechsel mit einem solistisch zu besetzenden Tenor: „Röslein dreie in der Reihe blühn so rot,/ daß der Bursch zum Mädel geht, ist kein Verbot!“
Ein zugegebenermaßen banaler Text mit alteingeführter und an dieser Stelle wenig durchdachter Blumen- und Farbsymbolik, der im 19. Jahrhundert sicherlich auch als Aufbegehren gegen christliche Sexualmoral verstanden wurde. Vor dem Hintergrund des vergangenen Jahres lassen die Zeilen allerdings aufhorchen, wird doch jede konservative Sittenlehre aktuell von den „Coronaschutzmaßnahmen“ gewissermaßen auf dem Standstreifen überholt. Unsere Lokalzeitung (die TLZ) mit Datum vom 3. März 2021 zeigt auf Seite 8 ein Schaubild, das das „Corona-Ansteckungsrisiko“ gemäß „Einschätzung von mehr als 500 Epidemiologen und Experten aus dem Gesundheitsbereich“ mit verschiedenen Aktivitäten verknüpft. „Umarmung oder Hände schütteln“ und „mit einem Bekannten ausgehen“ rangieren hier in der höchsten Gefahrengruppe, durch dunklere Einfärbung noch übertroffen von „Kirche“, bei der separat erläuternd auf das besondere Ansteckungsrisiko durch Singen hingewiesen wird. #ItsScience? Wie auch immer: Infolge dieser Einschätzung ist all das derzeit verboten.
Unsere ungehemmt entscheidungsfreudige Exekutive realisiert damit sozusagen ‚en passant‘, wovon der Sozialismus in diesem Land immer geträumt hat: Überholen ohne einzuholen. Denn während die katholische Sexualmoral mit ihren Empfehlungen, Forderungen und Geboten immerhin ein ganzes Konzept vom Menschen, der Einheit von Leib und Seele, der Wertigkeit des Körpers und der körperlichen Liebe und den Geschenken Gottes an jedes einzelne seiner Geschöpfe verbindet (sehr gut lesbar beispielsweise hier dargelegt), läßt die profane Politik der Verbote, Schließungen und Separierungen der Menschen erkennbar und zum Teil sogar eingestandenermaßen jegliches weitsichtige Konzept vermissen. Zur Zeit ist alles verboten, weil es halt verboten ist und einem nichts besseres einfällt. Wo die Politik sich dennoch einmal zu Erläuterungen ihrer Maßnahmen herabläßt, ist es, als wolle man voreheliche Intimitäten verbieten mit Hinweis darauf, daß der Storch die Kinder bringt: Die Erklärung paßt regelmäßig nicht zum Verbot. Es ist schon eigentümlich.
Da es gebildeten, vernunftbegabten und das Selberdenken gewohnten Menschen aber schwer fällt, über Monate einem solchen Affenzirkus zuzusehen, ohne einen tieferen Sinn dahinter zu vermuten, fragen sich viele Leute derzeit, worüber wir alle eigentlich aktuell bewußt nicht aufgeklärt werden.
Ach ja: Machen sich über all das eigentlich dieselben Meinungsmacher lustig, die regelmäßig gegen die katholische Kirche zu Felde ziehen? Eigentümlicherweise eben gerade nicht. Lassen wir uns also um alles in der Welt nicht unseren Kultus verbieten, denn – um zwei Verse aus Brahms‘ Lied an dieser Stelle umzuwidmen – „Lieber Gott, wenn das verboten wär,/ ständ die schöne weite Welt schon längst nicht mehr.“
Jetzt hören wir aber zum Abschluß noch ein bißchen Brahms im Zusammenhang, „Zigeunerlieder“ op. 103 Nr. 6 mit den BBC Singers unter der Leitung von Stefan Parkman. Enjoy 🙂
Cornelie Becker-Lamers
PS: Bevor jemand angesichts der Verwendung des Begriffs „Endsieg“ zu hyperventilieren anfängt, er bezieht sich, vorwiegend jedenfalls, auf die närrischen Ideen der “NoCovid” Ideologinnen und Ideologen, die wir allerdings tatsächlich für nichts weniger als totalitär und gemeingefährlich halten – und für genauso unrealistisch wie das hier evozierte historische Beispiel!
Gereon Lamers
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