Ein Sketch zum Dritten Advent für dreizehn Personen
Wundersdorf, Oderbruch. Wir erinnern uns: Man hat Stadt und Umland abgeriegelt und hier ein Reservat für Ungeimpfte – in Bezug auf welche Krankheit, mußte man seit Erschaffung des Begriffs noch nie dazusagen – angelegt. Täglich ziehen Menschen zu, die sich, obwohl mehrfach und kreuzgeimpft, wegen eines verpaßten Boostertermins wieder als Ungeimpfte deklarieren müssen.
Oder sagen sie etwa nur, sie hätten die Auffrischung verpaßt und haben in Wahrheit den Irrsinn mit der Zeit durchschaut? Schließlich könnten die Angebote zur Impfung niederschwelliger nicht sein, hat man doch nicht nur alle ungenutzten evangelischen Kirchen zu Impfzentren umgebaut, sondern mittlerweile auch Bäckereien und Stehcafés nach einer Wochenendschulung der Bäckereifachverkäuferinnen für die Auffrischungsimpfung fit gemacht. So können sich die Bürger hinsichtlich der mittlerweile empfohlenen täglichen Impfdosis beim morgendlichen Brötchenholen gleich mitversorgen, um einen ganzen Tag lang unbeschwert die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu dürfen. Wie bemerkenswert, wenn eine Regierung mit den Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie derart out of the box denkt! Zugleich wurden den Bürgern die Möglichkeit zu Zweifeln genommen, ob diese derart privilegierte Krankheit denn überhaupt noch als Pandemie anzusprechen sei – denn kritische Smartphone-Apps und Internetkanäle wurden für die Bundesrepublik gesperrt und aus den Playstores verbannt. Wie umsichtig auch dies!
Aber das geschieht ja alles draußen, außerhalb der Mauern unseres kleinen Städtchens Wundersdorf. Wie läuft das Leben im Innern?
Nun – mit den Ungeimpften wurden selbstverständlich auch jede Menge aufrechter Selberdenker in der Stadt angesiedelt, auch im kirchlichen Umfeld. Und so finden wir in der katholischen Pfarrei Maria Hilf! Wundersdorf nun seit einigen Wochen Pfarrer Finke aus der Magdeburger Börde. Unversehens hat der Ministrantenunterricht ungeahnten Aufschwung genommen und auch sonst scheint alles recht schnell wieder auf Kurs zu kommen. Da – sehen Sie? Da strömen die Kinder und Jugendlichen schon auf das Pfarramt zu. Heften wir uns an ihre Fersen und versuchen wir herauszufinden, wo es lang geht.
Reimer (liest von einer Spielkarte ab): Inzidenz 1615.
Michael (liest ebenfalls von einer Spielkarte, resigniert): 1258 (er reicht Reimer die Karte) Warum hast du eigentlich in jeder Runde Hildburghausen?
Reimer (grinst): Weil das so ist (Er steckt beide Karten unter seinen Stapel und liest von der nächsten) 49.576 Genesene.
Michael (grinst zufrieden): 54.913.
Reimer (reicht ihm die Karte): Mist! Bautzen Land?
Michael: Korrekt! (Er steckt zufrieden die Karten hinter den Stapel und liest): 28 Todesfälle.
Reimer: 40 (Er gibt ihm seine Karte).
Michael: 12 Intensivbetten.
Reimer: 14 (Er kassiert die Spielkarte).
Nina (dreht sich nach den beiden um): Jetzt steckt mal euer Quartett ein – wir sind da.
Michael und Reimer sehen gerade noch rechtzeitig von ihren Spielkarten auf, um nicht die Stufen zum Jugendraum hinter zu fallen und stecken rasch das Quartett in die Hosentasche. Drinnen angekommen, hängen die Jugendlichen ihre Jacken über die Garderobe und gesellen sich zu denen, die schon früher gekommen sind.
Jule (in einer Ecke, wischt sich die Tränen ab): Das war richtig scheiße!
Carola (legt ihr den Arm um die Schulter und blickt sie eindringlich an): Das nächste Mal, wenn deine Tante von draußen kommt, sagst du ihr, sich impfen zu lassen hätte so viel mit Solidarität zu tun wie die Impfung selber mit einem Schutz vor eigener Ansteckung. Oder der Weitergabe des Virus.
Jule (verzweifelt): Ich hasse das! Ich bin kerngesund, mir fehlt nichts!
Carola: „Gesund“ gibt’s nicht mehr. Das war mal.
Kalle: Es gibt nur noch gesund geworden. Und nur amtlich bestätigt.
Teresa (schaltet sich ein): Und ‚fehlen‘ tut uns allen die Impfung …
Daniela (philosophisch): … als imaginäres Defizit.
Lenni: Hä?
Pfarrer Finke (betritt den Raum und sammelt die Jugendlichen um den Tisch): Gelobt sei Jesus Christus!
Die Jugendlichen: In Ewigkeit, Amen; Guten Abend, Herr Pfarrer. (Sie sprechen gemeinsam ein Vater unser und setzen sich im Kreis.)
Pfarrer Finke (begrüßt daraufhin eines der Kinder): Ach! Freddy! Schön, daß du wieder hier bist! (zu allen) Ihr wißt noch, was wir heute vorbereiten wollten?
Die Jugendlichen (nicken – durcheinander): das Weihwasser zurückbringen – mit der Reinigung das – die Weihwasserbecken befüllen – lernen wegen dem Asperges – die Sakramente –Sakramentalien! – Wasser und Taufe …
Pfarrer Finke (lächelt): Na, da kommt ja schon sehr viel. Reimer – hast du deine Aufgabe erledigt?
Reimer (stutzt, greift in die Hosentasche und zieht eine Quartettkarte heraus) Also … Oh! Falsche Seite (er grinst verlegen und holt aus der anderen Hosentasche einen gefalteten DIN A4-Bogen; die anderen kichern) Das war ein Artikel in der „Welt“ – ist das in Ordnung?
Pfarrer Finke: Das ist in Ordnung, ja.
Reimer: „Ärzte empfehlen Salzwasser als Mittel gegen Viren“ hieß der.
Pfarrer Finke: Faß den Artikel bitte mal zusammen.
Reimer: Also die Ärzte empfehlen zum Schutz vor Viren in der Grippesaison das Gurgeln mit Salzwasserlösung. Drei Teelöffel Salz auf einen Liter Wasser. (Er liest einige Passagen aus dem Artikel vor.) Das ist aber eher um selber weniger zu spreaden. Also wär was für den Chor …?
Pfarrer Finke: Richtig! Viren mögen kein Salz auf den Schleimhäuten. Vielen Dank, Reimer. Sehr guter Hinweis, daß das für unseren Kirchenchor interessant sein könnte! – Darum kümmere ich mich. Teresa – wie sieht es mit der Wortbedeutung aus?
Teresa: „Virus“ ist lateinisch und heißt zähe Flüssigkeit, Schleim … dann auch Gift.
Pfarrer Finke: Danke – genau: schleimige Flüssigkeit. Wer wollte sich um die Hintergründe zum Thema Viren und Salzwasser kümmern?
Carola: Ich! (Sie schlägt einen DIN A4-Block auf) Es ist so: Bakterien stehen mit Salzwasser auf Kriegsfuß wegen der Osmose. Genauer wegen der Diffusion durch eine semipermeable Membran. (Kalle stöhnt.) Es ist ganz einfach. Wenn der Salzgehalt in der Umgebung zu hoch wird, entzieht er dem Bakterium die Flüssigkeit. Also, es trocknet aus. Bei Viren sieht es mit diesbezüglichen Studien ziemlich mau aus … also da ist es nicht so eindeutig, aber manche Typen vertragen Salzwasser wohl schlecht, und zwar die Gruppe der unbehüllten Viren. Aber Corona ist ein behülltes – mit Lipidhülle … Aber es sind weltweit keine Infektionen bekannt geworden, die auf Weihwasserbecken zurückgehen. Viren können sich ja halt auch nicht allein vermehren – anders als Bakterien. Also jetzt wegen der Viruslast …
Pfarrer Finke: Sehr schön Carola, vielen Dank! Ja – das ist alles sehr aufschlußreich!
Kalle (flüstert): Damit solltest du gleich deine Epochalnote in Bio aufbessern!
Carola (flüstert zurück): Die kann ich nicht aufbessern, ich steh schon auf ‘ner Eins.
Pfarrer Finke: Jule – was hast du über Weihwasser herausgefunden?
Jule (tippt kurz auf ihr Smartphone und liest dann vor): Ich hatte jetzt erstmal bei wikipedia geschaut … (Sie blickt den Pfarrer fragend an; der nickt): „Weihwasser ist ein Segenszeichen. In der katholischen Kirche, den orthodoxen Kirchen und der anglikanischen Kirche dient es neben der Taufe zum Taufgedächtnis und zur Segnung. Weihwasser ist Wasser, über das (meist von einem Priester) ein Segensgebet gesprochen wurde. Vor der Liturgiereform wurde dem Wasser bei der Weihe Salz und Chrisam hinzugefügt, heute kann ihm Salz hinzugefügt werden. Weihwasser gehört zu den Sakramentalien (heilswirksamen Zeichen) der Kirche.“ Vor der Liturgiereform wurde das Weihwasser außerdem jede Woche ausgetauscht.
Pfarrer Finke: Sehr schön! Vielen Dank! Wer hatte noch was zu den Desinfektionsmitteln?
Mirko: Das war ich. (Er zieht einen Zettel aus der Tasche.) Das ist ziemlich heftig. Es gibt Desinfektionsmittel, die überhaupt nicht gegen Viren helfen, aber die Bakterien abtöten und dann für Pilze Platz machen … auf der Haut zum Beispiel. Gegen Viren hilft Wasserstoffperoxid oder 70%iger Alkohol. (Die Jugendlichen fangen an zu lachen.) Ja – echt schlecht für die Haut …
Michael: … und auch sonst … öööööh! (Er markiert einen Taumelnden.)
Mirko: Was ich noch gefunden habe: Gefäße! Silber oder Kupfer. Die geben nämlich Ionen ab und desinfizieren dadurch auch. Das ist schon seit der Antike bekannt.
Teresa: Kupferschalen! Davon haben wir doch letztes Mal auf dem Dachboden einen Schwung gefunden!
Pfarrer Finke: Ganz genau. Teresa – noch schöner wäre es, du würdest dich melden – aber es ist schon richtig: Jetzt wißt ihr, warum ich mich letzte Woche so gefreut habe, als wir den Dachboden inspiziert und etliche alte Kupferschalen gefunden haben. Aber ich möchte mit euch noch einmal einen Schritt zurück: Ihr habt so vieles zusammengetragen: Wie können wir vor diesem Hintergrund das Verbot des Weihwassers bewerten?
Die Jugendlichen (schauen sich an; durcheinander): Eigentlich quatsch! – Sollte möglich sein, Weihwasser!
Pfarrer Finke: Meldet euch bitte (schaut in die Runde) Nina!
Nina: Weihwasser sollte wegen seines Salzgehaltes nicht zu gefährlich sein. Oder in einer Kupferschale.
Pfarrer Finke (nickt): Mhm – Karl?
Kalle: Jedenfalls sollte man genau abwägen, bevor man ein so zentrales Symbol außer Kraft setzt.
Pfarrer Finke: Sehr gut! Ganz wichtig! – Elias?
Elias: Vor allem ist es ja auch keine Pflicht, sich mit dem Weihwasser zu bekreuzigen. Wer Angst hat, kann es ja weglassen. Aber deswegen muß man es ja nicht für alle verbieten.
Freddy: Ich hab auch mal – da waren wir …
Pfarrer Finke: Wollten wir uns nicht melden, Freddy?
Freddy (meldet sich): … das hab ich mal im Urlaub gesehen in Österreich letztes Jahr, als wir noch raus durften, da stand in einer Kirche ein Desinfektionsmittelspender und daneben einer für Weihwasser. Das geht ja auch.
Pfarrer Finke: Das geht auch. Aber ich glaube, es ist gar nicht nötig, wenn wir das Weihwasser korrekt weihen, eine Kupferschale nutzen und es regelmäßig austauschen. Wollen wir das jetzt machen?
Die Jugendlichen (durcheinander): Ja klar! – Wird Zeit! – Endlich! (Sie ziehen ihre Jacken wieder an, bevor alle gemeinsam zur Sakristei hinüber gehen.)
Mirko: Und wann lernen wir das mit dem Asperges?
Pfarrer Finke: Das erzähle ich euch dann in der Kirche. Ich hab drüben in der Sakristei dazu auch noch ein schönes Büchlein für jeden von euch.
Und hier das Geschenk, das Pfarrer Finke für alle Ministrantinnen und Ministranten bereithält (Foto Teresa Langenfeld)
Fortsetzung folgt
Cornelie Becker-Lamers
Eieieieieieiei! – Tja! So geht’s zu in Wundersdorf! Bloß gut, daß in Weimar wie im gesamten Bistum Erfurt die Priester auf Anordnung des Generalvikars so vorsichtig und so vernünftig sind, daß die Weihwasserbecken jetzt schon rund 650 Tage ausgetrocknet sind und keine geistliche Reinigung und keinen Segen mehr spenden …
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