Ein Sketch zum Vierten Advent für zwei Schafe, zwei Lämmchen, zehn bis elf Personen und beliebig viele Statisten unter den Schafen und unter den Menschen
Wundersdorf, die allseits bekannte Schafweide. Sie ist bei der Schaffung des Reservats für Ungeimpfte, zu dem man Wundersdorf und Umland ja gemacht hat, zwar natürlich innerhalb der Grenzen, aber direkt am Zaun zum Draußen zu liegen gekommen. Dennoch herrscht – Sie erraten es? Genau: reges Treiben. Wie immer. Aber auch die ganze Gemeinde scheint auf den Füßen zu sein. Himmel und Menschen drängen sich am Gatter und möchten auf die Weide. Die Schafe haben alle Hufe voll zu tun, um des Andrangs Herr zu werden.
Unterhalb der Tanne ist ein großes Podest aufgebaut, auf dem sich schon allerlei Tiere tummeln. Auf der Weide sieht man schon Menschen auf Klappstühlen und Sitzkissen, Picknickdecken, Isomatten und Holzklötzen sitzen. Hier und da sind kleine freie Flächen, auf denen Papier liegt … hm! Sieht aus wie Liedzettel … Am Zaun lehnen vier oder fünf Jugendliche und schauen von der Parallelwelt im Draußen aus zu.
Also wir sollten versuchen herauszubekommen, was hier los ist. Ich glaube, es könnte lohnend sein.
Flocke (zu Fixi): Die Leute dürfen nur dort sitzen, wo Liedzettel liegen – sag das bitte allen!
Fixi: Aber Tante Flocke! Das klappt niemals! Schau doch mal, wie viele das sind.
Flocke: Aber es sind die Auflagen.
Fixi: Was soll denn passieren? Im Freien? Beim CSD neulich draußen ist doch auch nichts passiert – und da quatschen die Leute mehr als wenn wir hier singen!
Flocke (nach kurzem Überlegen, seufzend): Hast Recht! Dann leg noch mehr Zettel in die Zwischenräume. (Fixi stürmt mit einem Stapel Liedzettel los und streut sie auf der Wiese aus.)
Wolle (am Einlaß, zu Huf): Huf, lauf zum Unterstand und hol ein paar Pötte heißen Tee für die Gegendemonstranten da am Zaun. (Huf trabt los.)
Edith: Hallo, Wolle!
Wolle: Ach! Edith! Richard! Teresa! Emily! Seid gegrüßt!
Edith und Richard: Hallo Wolle! Hallo Schafe! (Teresa und Emily krächzen auch irgendetwas wie „Hallo“).
Wolle: Um Himmels Willen – was ist denn mit euch los?
Edith (zuckt die Schultern): Die beiden haben sich gestern auf einer Demo draußen heiser geschrien …
Wolle: Oh je! Aber tapfer! (Sie lächelt die Mädchen an) Na, dann sucht euch mal einen Platz auf der Weide und laßt es euch gut gehen! Habt ihr Hocker mit?
Richard (hebt einen Klapphocker hoch): Na klar! Die vom Papstbesuch damals!
Wolle: Sehr gut!
Edith: Aber sag mal – wieso Gegendemonstranten?
Wolle: Ach! Die JuSos rufen doch immer mal zu Demonstrationen hier am Zaun auf. Da steht dann eine Handvoll bibbernder Jugendlicher mit dem Transparent „Geht euch impfen“, liefern ein paar mal ihre Sprüche ab und trollen sich wieder. Das dort scheinen auch welche zu sein …
Emily (heiser): Mhm! Gestern bei uns stand da auch irgendwo so ein winziges Grüppchen rum … (sie lacht.)
Edith: Ich seh‘ jetzt gar kein Transparent … (Sie geht mit Richard und ihren Töchtern los, um sich einen Platz im Publikum zu suchen) Dann jedenfalls gutes Gelingen gleich!
Wolle (fertigt schon die nächsten Gäste ab): Danke!
Huf (kommt vom Zaun zurück): Sie haben sich über den Tee gefreut, aber es sind gar keine Demonstranten. Sie wollen zuhören.
Wolle: Ah! Schööön! Dann merk dir mal ihre Gesichter, wenn sie öfter kommen, können wir ihnen ja sagen, wo der Tunneleingang ist, der in Fischers Garten rauskommt.
Hanna (am Gatter, sie ist mit Karl durch den Tunnel von draußen gekommen): Hallo Wolle!
Wolle: Seid gegrüßt – schön euch zu sehen! Sucht euch einen Platz!
Hanna: Danke! Also ich find‘ das ja toll, was ihr hier macht! Aber es ist schon auch komisch … draußen im Pflegeheim sind gestern wieder drei Menschen gestorben, und ihr macht hier in der Kirche einen auf Krippenspiel und führt den Messias auf!
Wolle: Nimmst du deinem Kind das Laufrad weg, weil auf der A10 ein Unfall war? – Nein, oder?! Die Kinder brauchen ihr Krippenspiel, ihre Feste, ihren Kindergarten und ihre Freunde! Kein Siecher lebt einen Tag länger, wenn wir hier die Lämmchen einsperren! Aber er stirbt in Trauer. Die Alten können nur dann beruhigt gehen, wenn sie wissen, das Leben geht in den jungen Menschen weiter! Das ist doch das Entscheidende!
(Hanna murmelt irgendwas und mischt sich mit Karl wieder unters Publikum. Langsam finden alle ihre Plätze und als die Schafe sich in Reih und Glied auf dem Podest sammeln und Flocke mit ihrem Taktstock nach vorne tritt, beginnt ein großes Zischeln und „Pscht“-Tuscheln. Dann beginnt die Musik).
ENDE
Cornelie Becker-Lamers
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