Obschon – die Zerstörung des Benediktbildes* hat mich doch sehr bestürzt. Nicht so sehr die Sache selbst, als die Haltung, die sie impliziert, von der sie Symptom ist. Ich bin ja auch mal ein bissl mit Historie verbandelt gewesen – und ich muss sagen, eine Historikerhaltung, die NUR zeitgenössische Dokumentation als gültige Quelle werten will, erscheint mir wirklich unmöglich. Da könnte man ja sowohl fast das ganze Alte Testament wie auch Plutarch und jede Frühgeschichte überhaupt fallen lassen. Denn schliesslich ist doch jede Aufzeichnung Resultat einer langen mündlichen Vorgeschichte und es scheint mir doch eine Haltung des „totalen Misstrauens“ zu sein, sich grundsätzlich nicht mehr auf das lange Gedächtnis der schriftlosen Zeiten, der Geschlechter und Erbfolgen verlassen zu wollen. Dies schiene mir absolut destruktiv – wirklich ein zersetzendes Prinzip, was Geschichte anlangt. Es löst die Persönlichkeit in ein Gewimmel anonymer Nullen auf- und es müsste mir wirklich erst noch an einem glaubhaften Präzedenzfall bewiesen, nicht nur behauptet werden, dass je eine so runde, lebensvoll ausstrahlende und lebenszeugende Gestalt in Wirklichkeit bloss eine zufällig synthetisierte Fiktion gewesen sei. – Es würde zuviel geschichtlich-menschliche Wirklichkeit bloss vom zufälligen Erhaltensein passender Dokumente abhängig machen – usw. – Sehen Sie, das ist nur ein Element des Klimas, an dem ich ersticke: das Klima des „totalen Misstrauens“, das einfach alles, worauf wir bisher bauten, als Sand zerbröckeln möchte. Aber man muss doch auf etwas bauen -.
(13.2.1965)
* Der Satz nimmt Bezug auf einen vorangegangenen Besuch in Kloster Beuron. Es ging dort im Gespräch um die “Ablösung der Vielfalt der Stifter-Figuren” (wie eben des Ordensgründers Benedikt). Inwiefern u.U. auch die physische Zerstörung einer Figur, eines Bildes o.ä. eine Rolle spielte, wird nicht klar, kann aber bekanntlich in dieser Zeit keinesfalls ausgeschlossen werden! Schon im Jahr 1964 begann ja auch, als “Renovierung” schöngeredet, der Bildersturm in Herz-Jesu Weimar.
Gereon Lamers
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