Lichtmeß und ‚Corona‘
„Nun entläßt du deinen Diener, Herr, nach deinem Wort in Frieden. Denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast.“ (Lk 2, 29f) So der greise Simeon, dem die Weissagung geworden war, nicht eher den Tod als den Heiland zu schauen. Vom Heiligen Geist getrieben, begibt sich Simeon in den Tempel in Jerusalem, gerade als Maria und Josef mit ihrem Baby dort zur Opferung erscheinen. Er erkennt das Wesen Jesu als Christus den Erlöser, nimmt ihn in den Arm und lobt Gott. Simeon ist lebenssatt und möchte sterben. Nun, angesichts dieses Kindes, kann er in Frieden gehen.
Natürlich haben sich Komponisten seit Schütz und Bach dieser Sätze zur Vertonung angenommen. Wir haben Ihnen ein Video der Vertonung durch Felix Mendelssohn-Bartholdy herausgesucht.
Hm. Schön! Aber wer von uns wird derart gesegnet entschlafen können? Wem von uns wird es vergönnt sein, davor den Heiland in den Armen zu halten? Niemandem natürlich. Denn auch wenn Christus wiederkommt, wird er als Richter erscheinen. Das mit dem Baby ist ein für allemal Geschichte.
Und doch geht es den meisten alten Menschen so, daß der Anblick fröhlicher Kinder und freundlicher Jugendlicher ihnen Seelenruhe und inneren Frieden schenkt. Es müssen nicht einmal die eigenen Kinder sein. Weswegen ich bei unserem Pfarrer, wenn er so gar nicht für Kinder- und Jugendchöre Werbung in der Pfarrei machen wollte, geraten habe, die Förderung der musikalischen Nachwuchsarbeit für sich selber dann eben unter dem Titel „Seniorenseelsorge“ zu verbuchen: Gerade für die alten Herrschaften war es immer ein Fest, wenn die Cäcilini kurz vor Heiligabend in einem Pflegeheim ein Advents- und Weihnachtsliederprogramm zu Gehör brachten (so geschehen 2012, 13, 18 und 19) oder bei den wöchentlichen Treffen der Senioren im Gemeindehaus Musik machten (was noch wesentlich öfter geschah).
Viele alte Menschen sind, ob krank oder bei Kräften, lebenssatt und wissen, daß sie ihr Leben gelebt und mit Gottes Hilfe das beste daraus gemacht haben: „Life is not a matter of holding good cards, but of playing a poor hand well“, wie mein Vater des öfteren Robert Louis Stevenson zu zitieren pflegte. Als ihm zu seinem Herzschrittmacher auch noch ein Defibrillator eingesetzt wurde, sagte er traurig: „Nu kann ick ja an nüscht mehr sterben!“ Mit über 80 noch etwas grundsätzlich ‘rauszureißen, streben die wenigsten an. Irgendwann will jeder gehen.
Was ihnen aber wohl allen wichtig ist, ist zu wissen, daß das Leben weitergeht. In den eigenen Enkeln und Urenkeln oder in anderen Jugendlichen und Studierenden. Das Gefühl zu haben, die jungen Leute werden zum Verschwinden gebracht, um ihre Bildung und Lebensfreude, um ihre Pläne, ja um Planbarkeit schlechthin im Leben betrogen, das verhindert sicherlich, daß jemand seelenruhig die Augen schließt.
Dies ist geschehen, wir alle wissen es, in den vergangenen zwei Jahren. Unter der Maßgabe eines ungefragt aufgezwungenen Gesundheitsschutzes wurden alte Menschen und deren Familien in Scharen entmündigt und Mütter, Väter, Großmütter und Großväter isoliert und alleine gelassen. Heute, zu Lichtmeß 2022, gehen meine Gedanken und mein Mitgefühl zu den vielen alten Menschen, die durch Besuchsverbote und die vorsorglichen Quarantänen auch gesunden Pflegepersonals an oder in einer verordneten Einsamkeit sterben mußten.
Cornelie Becker-Lamers
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