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Sketch des Monats: Die Visitation

Ein Sketch für sechs Personen

Wundersdorf, Oderbruch. Im Wohnzimmer der Familie Langenfeld. Gemeinsam mit einigen Freunden wollen Richard und Edith die offizielle und wie es scheint pflichtschuldigst abgefeierte Visitation des Bischofs auswerten. Gerade spricht man über die Abendmesse am Eröffnungsabend. Denn sowohl Richard als auch Hanna haben diese Abendmesse verpaßt.

Hanna: Hat er denn nun was zur Wundersdorfer Situation verlauten lassen?

Richard: Genau! Deshalb wart ihr doch hingegangen. – Karl – rot oder weiß? (Er hält zwei Weinflaschen hoch.) Beides Saale-Unstrut.

Edith: „Buy local“ (sie lacht). 

Karl (studiert die Etiketten): Oh! Da hast du ja mal einen halbtrockenen? (Er lacht.) Wie kommt’s?

Edith: Der Kerner geht auf mein Konto. Ich vertrag‘ diese Säure einfach nicht …

Karl: Ja – aber ich würde sagen – nach dem Kuchen – warum nicht?! (Er hält Richard sein Glas hin.)

Richard: Also wirklich den Weißen?

Karl: Den Kerner. Ja!

Richard (gießt Karls Glas bis zur breitesten Stelle voll): Aber jetzt erzählt!

Karl: Natürlich hat er nichts gesagt!

Helene: Naaa – ich denke, es ging nach dem Motto: Wer Ohren hat zu hören der höre!

Karl: Das mit dem „Das ist besonders für Wundersdorf interessant“?

Edith: Das auch, ja, aber ich denke, schon das opening …

Richard (ist noch reihum mit dem Weinausschank beschäftigt): „Opening“ (er schnaubt).

Edith: Naja … also die einleitenden Worte nach dem Kreuzzeichen, bis es wirklich losging, das war schon … also da merkte man schon … das war schon anders …

Hanna: Wie?

Silke: Die ausführlichen Betrachtungen zur Vergebung?

Edith: Ja, das meinte ich. Das war doch länglich. Daß wir im Credo bekennen, daß wir an die Vergebung der Sünden glauben, daß Gott vergibt …

Karl: … ja – aber wie hat er die Kurve gekriegt zu: Das setzt voraus, daß wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind, und daß andere uns vergeben, die an uns schuldig geworden sind … ?

Helene: Gar nicht. Er hat die Kurve gar nicht gekriegt. Er hat es einfach aneinandergehängt.

Karl: Ja! (Er dreht sein Glas in den Händen.)

Richard (hebt sein Glas): Dann laßt uns aber erstmal anstoßen – daß wir endlich mal wieder ans Reden kommen (sie prosten sich zu und trinken einen Schluck.)

Edith: Also das war schon einschlägig in meinen Augen.

Hanna: Stimmt schon … vor dem Hintergrund, daß das Schuldbekenntnis oft ganz hinten runterfällt …

Richard: Trotzdem etwas unspezifisch … Karl, du erwähntest doch vorhin noch etwas von einer Bemerkung in die Richtung „Das ist besonders für Wundersdorf interessant“ …

Karl: Ja, das war gegen Ende der Predigt.

Hanna: Worüber ging denn die?

Helene: Oh! Um einen Tagesheiligen …

Silke: Justin den Märtyrer … gestorben 165 …

Edith: …der doch tatsächlich Jugendliche angesprochen hat! (Alle lachen.)

Karl: Ja – das waren noch Zeiten!

Silke: Nein! Aber das für Wundersdorf Interessante kam im Zusammenhang mit Clemens von Alexandrien …

Hanna: Aaaah! Sein Lieblingsthema!

Richard: Klar! Den kennt kaum jemand, und unser Bischof hat über ihn promoviert …

Helene: Clemens von Alexandrien hat nämlich die Musik so sehr geschätzt – und da kam dann der Hinweis auf Wundersdorf – weil (sie dehnt die Silbe und macht es spannend) in der Musik verschiedene Stimmen in Harmonie zusammenklingen.

Alle (durcheinander): Aaaaah! – ooooh! – na da! – Hört hört … – Sieh mal einer an! 

Edith: Ja! Nicht wahr?! Herzerwärmend! Durch die Musik könne man lernen, daß verschiedene Stimmen harmonisch zusammenklingen können! (Sie macht ein wichtiges Gesicht.)

Helene: Und dabei hat unser Bischof das wichtigste vergessen! (Sie hebt die Augenbrauen. Alle blicken sie gespannt an.) Das funktioniert nur, wenn alle erstens dasselbe Stück spielen …

Silke: Das ist wahr! Und niemand darf falsch spielen wollen. Sonst hat es sich mit der Harmonie!

Helene: Uuuuund …

Hanna: Ja?

Helene (triumphierend): Es braucht einen Dirigenten!

Richard: Jaaa! Das ist wahr! Irgend jemand muß trotz allem die Stimmen koordinieren.

Hanna: Aber er wollte ja nicht wirklich eine Predigt über Musik halten. Das bezog sich schon aufs Gemeindeleben …

Edith: … wo der Dirigent letztlich wer ist?

Karl: Der Ortsgeistliche und letztlich …

Alle: … der Bischof!

Helene: Genau! Der Bischof muß die Harmonie koordinieren und den Stimmen ihre Einsätze geben; keine vergessen und alle auf das gleiche Stück einschwören.

Richard (nickt): Die berühmte Metaerzählung, die in Wundersdorf seit 2015 fehlt …

Edith: … und mit Ende März 2022 nochmal komplizierter geworden ist! Noch mehr verbrannte Leute … noch mehr „War da was?“ … noch mehr fehlende Entschuldigungen …

Richard: … ohne die es auch kein Verzeihen geben kann … schließlich kann man nicht in den luftleeren Raum hinein vergeben … so auf Vorrat …

Silke: „To whom it may concern“ … (sie lacht).

Hanna: Das heißt, unser guter Bischof hat einfach mal wieder seine eigene Rolle in dem Stück unterschlagen! (Alle schauen eine Schrecksekunde lang in die Runde. Karl fängt sich als erster wieder.)

Karl: Ja – aber das paßt doch zu seiner Schlußbemerkung über den Begriff „Bischof“.

Edith (stöhnt): Aaaah! Ich hasse es, wenn diese Leute ihr Amt und den Diskurs mißbrauchen, um den Leuten einen Bären aufzubinden!

Richard: Um Himmels Willen! Was war los?

Helene: Er sagte, Bischof heiße ja wörtlich „Aufseher“, werde in der Bibel ganz häufig mit „Besucher“ übersetzt.

Hanna: Pfff! Die Einheitsübersetzung übersetzt auch Unicornus mit Wildbüffel! Das ist doch kein Maßstab! (Sie schnaubt.) Wer Einhörner abschafft …

Edith: … schafft auch Visitationen ab. Genau! Nein, es kommt noch besser. Ich hab’s nämlich nachgeguckt.

Silke: Jetzt wird’s spannend.

Edith: Das LThK nennt die fünf Stellen, in denen es in der Bibel überhaupt um Bischöfe geht.

Richard: Stimmt! So viele können das naturgemäß gar nicht sein. Kann ja nur in den Briefen.

Edith: Und in der Apostelgeschichte. Genau. Und an allen fünf Stellen übersetzt das MNT natürlich „Aufseher“ …

Alle (durcheinander): Soll sein! … Heißt es ja auch! … Jaja, das MNT ist ja immer nah an der griechischen Wortbedeutung …

Edith: … der Allioli in allen Fällen schlicht „Bischof“. Und weil man da im Grunde drüber weg liest, über den heute so selbstverständlichen Amtstitel, schreibt die neue EÜ dann auch zum Teil wieder „Vorsteher“.

Silke: Ach so?!

Edith: Ja! Und um Visitationen geht es da gar nicht. Der „Besucher“, der herumreist, ist ja jeweils der Briefschreiber – also Paulus oder so. Petrus. In den Textstellen über die Bischöfe geht es drum, wen man vor Ort einsetzt, um dessen seelische und charakterliche Qualitäten.

Karl: Also um Visitationen geht es da gar nicht?

Edith: Nö.

Richard (schiebt seinen Sessel zurück): Jetzt hol ich aber doch mal das LThK … ich will jetzt wissen, was die zum Thema Visitationen schreiben. (Er geht zum Bücherregal und kommt mit einem Lexikonband wieder. Er blättert, liest, und fängt an zu lachen.)

Helene (nimmt Richard das Lexikon aus der Hand und liest vor): „Entsprechend dem Ziel des Gemeindeaufbaus werden in die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Visitation möglichst viele Gemeindemitglieder einbezogen.“ (Alle brechen in schallendes Gelächter aus.)

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Die armen Pfarrkinder, die ihr Bischof da – offensichtlich aus reinem Selbstschutz und damit sie ja nichts von ihm und seiner Visitation erwarten – hinters Licht geführt hat. Die Textstellen, in denen die Bibel Bischöfe erwähnt, sind jedenfalls – zum Nachlesen der Übersetzungen – Apg 20,28 (dort ist aber Christus gemeint); 1. Petrus 2,25; Phil 1,1; 1. Tim 3,2 und Tit 1,7. Das Zitat über den Zweck von Visitationen und dessen Erreichen findet sich im Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg etc.: Herder, Sonderausgabe 2009, Bd. 10, Sp. 819.

Tja! Bloß gut, daß Bischof Neymeyr anläßlich seiner Visitation um Pfingsten herum sich direkt in der Musikhochschule wenigstens hat erklären lassen, warum das Konzept der Umgehung einer Kantorenstelle für Weimar eine Schnapsidee ist. Aber ob die Einwände auf fruchtbaren Boden gefallen sind … ?

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