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„Du bist gebenedeit unter den Frauen“ 1/2

Ein Close reading zur Begegnung in Ain Karim

Wie schon im vergangenen Jahr angekündigt (aber damals nicht geschafft), möchten wir noch einmal einen Beitrag zum Fest Mariä Heimsuchung posten. Dieses Fest ist trotz seines wesentlichen Gehalts bloß ein Fest II. Klasse und wurde vom Datum her zwischen dem 31. Mai und dem 2. Juli umhergeschoben. Ich denke, das trägt dazu bei, daß vielen Christen das Gedenken wegrutscht, das Gedenken an Marias Besuch bei ihrer Verwandten Elisabeth aus dem Hause Aaron.

Warum ist das so bedauerlich? Was macht das Fest so wichtig, das der Heilige Bonaventura vor gut 750 Jahren, nämlich 1263, für den Franziskanerorden einführte und das kein geringerer als Pius V. (#Lepanto) um 1570 in den allgemeinen Kalender der Kirche aufnahm? Was hält die Geschichte expressis verbis für unseren Glauben und was hält sie en passant an Informationen über Maria und ihre Lebensumstände bereit? Welche Verbindungen innerhalb der Bibel stellt sie her? Welche Ereignisse präfiguriert die Wanderung von Nazareth nach oder in die Nähe von Jerusalem?

Schauen wir, was genau erzählt wird. Es steht im ersten Kapitel des Lukasevangeliums, ab Vers 26. Als Elisabeth im sechsten Monat schwanger ist – auch ihres Sohnes Geburt wurde durch einen Engel verkündet –, wird

Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt, die mit einem Mann namens Josef aus dem Haus Davids verlobt war. Der Name der Jungfrau war Maria. Er trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über das Wort und sann nach, was dieser Gruß bedeuten solle. Der Engel sagte zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wird du gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben.

Als Maria eingedenk ihrer Jungfräulichkeit über diese Nachricht stutzt, erklärt ihr der Engel, daß sie vom Heiligen Geist empfangen wird. Um ihr die Allmacht Gottes zu verdeutlichen, erwähnt er zusätzlich ihre Verwandte Elisabeth, die trotz ihres hohen Alters ein Kind gebären wird: „Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. Auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch einen Sohn empfangen in ihrem Alter“.

Daraufhin macht sich Maria auf den Weg. Und es scheint, als ob sie trotz ihres Glaubens und ihrer Einwilligung erst durch den Gruß Elisabeths wirklich verstünde, was geschehen ist. Denn diese spricht sie als Auserwählte und als Mutter ihres Herrn an. Erst durch den Besuch bei Elisabeth, dessen wir im Fest Mariä Heimsuchung gedenken, wird der werdenden Gottesmutter ihre Bestimmung und – ja: ihre eigene zukünftige Rolle und Bedeutung endgültig klar. Die Worte ihrer älteren Verwandten leiten Marias berühmten Lobpreis ein:

Elisabet wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Woher wird mir dies zuteil, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn als der Klang deines Grußes in mein Ohr drang, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was ihr vom Herrn gesagt wurde. Da sagte Maria: Hochpreist meine Seele den Herrn/ und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn er hat geschaut auf die Niedrigkeit seiner Magd./ Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.

Der Ablauf macht deutlich, daß das Fest eigentlich so ungefähr am Oktavtag der Verkündigung gefeiert werden müßte. Aber acht Tage nach dem 25. März landet man dummerweise auf dem 1. April und der war – beispielsweise als Geburtstag von Judas, dem Verräter – schon immer ein mißtrauisch beäugtes Datum, das irgendwie mit dem Wirken des Teufels oder doch zumindest des Spötters in Verbindung gebracht wurde. Aber es bis hinter den Oktavtag von Johanni zu schieben, also nach dem 24. Juni zu feiern, ist definitiv bitter und zeigt schon, wie wenig die Kirche offenbar ernst nimmt, worauf das Gedenken sich bezieht.

Aber liefert dieses Ereignis nicht eine erste Erscheinung des Herrn und den ersten Gottesbeweis? Erkennt Johannes der Vorläufer nicht im Mutterleib schon Christus und hüpft er nicht vor Gott, dem Sohn, wie David vor der Bundeslade hüpft? (Vgl. 2 Sam 6, 5.14.16) Und hat obiger Textauszug nicht bereits zitiert, was die Worte der Elisabeth nicht nur im Rahmen der Erzählung für Maria, sondern auf der Metaebene auch für die Kirche so bedeutsam macht? Elisabeth formuliert etwas, das wir als Teil des Ave Maria wie des Salve Regina bis heute wiederholen: „Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Sohnes, Jesus.“ Wenn Sie echte Verblüffung sehen möchten, erinnern Sie einen bibelfesten Protestanten daran, daß der Wortlaut des von ihm verschmähten Ave Maria zumindest zur Hälfte, nämlich als Gruß des Erzengels Gabriel bzw. der Elisabeth, schlicht im Evangelium steht. Immer wieder schön 😉 ! Doch auch die Katholische Kirche scheint sich wie gesagt nicht in vollem Umfang bewußt zu sein, welche Relevanz der Begegnung zwischen beiden Frauen im Rahmen des Heilsgeschehens zukommt – und daß hier die Marienverehrung („Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“) mit höchster Autorität, nämlich biblisch begründet wird.

Aber gehen wir weiter: Was sagt uns die Geschichte über ihre Darstellbarkeit? Alle Gemälde, die beide Frauen mit kugelrunden Bäuchen zeigen, verfehlen erkennbar, was die Erzählung vermittelt: Daß sich Maria sofort nach der Empfängnis auf den Weg gemacht hat und bei Elisabeth letztendlich ihre Bestimmung versteht. Es sei denn natürlich, man postuliert eine darstellerische Intertextualität und geht von einer Bezugnahme der Künstler auf diejenigen Gemälde aus, die im Moment der Verkündigung den vollentwickelten Jesusknaben in Marias Leib auf den Weg schicken 😉 . Genau das ist tatsächlich die Spur, die zum Verständnis dieser eigentlich „falschen“ Darstellungen führt – wenn sie auch nicht als Bezugnahme der Künstler untereinander zu denken ist, sondern als Ausdruck des „gesteigerten mittelalterlichen Bedürfnisses nach Anschaulichkeit“, wie das LThK formuliert (Stw. Heimsuchung, II, Herder: Sonderausgabe 2009, Bd. 4, Sp. 1369). In der Tat wird die erste „revelatio“ des inkarnierten Herrn nur in der Darstellung zweier schon entwickelter Kinder deutlich, die sich, umgeben von einer Gloriole, in den Leibern ihrer Mütter gegenübersitzen. Wer das Marienfest der Heimsuchung als Herrenfest begehen möchte, muß den Wortlaut der Erzählung übersteigen und Christus bereits als kleinen Menschen sichtbar machen.

Was hält die Geschichte noch bereit? Die Formulierung von der „Frau aus dem Volke“, die uns Maria immer am liebsten als Proletarierin verkaufen möchte, wird fragwürdig, wenn man sich die (vermutlich mütterlicherseitige) Verwandtschaft ins Priestergeschlecht vor Augen führt. Elisabeth ist aus dem Stamme Aarons.

Fortsetzung folgt 

 

Cornelie Becker-Lamers

P.S.: Das mit dem Hüpfen Davids vor der Bundeslade (2 Sam 6, 5.14.16) und dem Hüpfen des Kindes im Mutterleib (Lk 1, 41a. 44) geht leider nur in den deutschen Übersetzungen so schön auf. In der Septuaginta bzw. dem griechischen Original wird zwischen dem Tanzen Davids und dem Hüpfen des Kindes im Vokabular unterschieden. Auch die englische Übersetzung schreibt zum einen ‘dance’, zum anderen ‘leap’. Das ergibt sich aus den Interlinearbibeln, die online zur Verfügung stehen. Dennoch glaube ich, daß hier eine typologische Verweisfunktion des alttestamentlichen Textes auf die Erzählung des Lukasevangeliums vorliegt.

Ein Kommentar

  1. Walter Eichhorn schrieb:

    Sehr berührend dieses Lied für die Mutter Johannes‘ des Täufers – wunderschön Musik und Worte und Ausführung. Schade, dass ich die Aufführung seinerzeit verpasst habe … und dass sie wohl am Ort ihrer Aufführung nicht mehr erklingen sollen! Bis auf Widerruf in besseren Zeiten, so wage ich zu hoffen. Walter Eichhorn.

    Freitag, 8. Juli 2022 um 10:14 | Permalink

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