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Rabumm!

Was für ein wunderbarer Anblick, gestern bei schönstem Abendsonnenschein, als der Pfarrhof bis auf die Straße überlief vor Menschen mit Kindern und Laternen. Denn so schwer sich unsere Pfarrei inzwischen wieder tut, eigene Kinder- und Jugendarbeit auf die Beine zu stellen, so sicher profitieren wir auch in Weimar von den über Jahrhunderte gewachsenen Bräuchen und Feiern der Kirche.

So auch zu Sankt Martin, das allerdings hier, im „Kernland der Reformation“, zu Luthers Geburtstag begangen wird. Aber das Martinsspiel auf dem katholischen Pfarrhof stellt wie eh und je die Mantelteilung vor den Toren Amiens im Jahre 334 nach Christus nach, bevor es zünftig in einem, von einem (diesmal von einem Mädchen gerittenen) Roß angeführten Zug mit Laternen (und hoffentlich Gesang) zur Lutherfeier auf dem Herderplatz vor die evangelische Stadtkirche geht.

Aber wenn wir heute, heimgekehrt vom Hörnchenteilen auf dem Herderplatz, die Martinsgans essen – zu wessen Ehre wird es eigentlich sein? Ist es ein getaufter Brauch und die Gans ist Wotans Gans? Wotans, dem die Gänse heilig waren? Oder beziehen Protestanten das Gänseessen zu Recht auf Jan Hus, weil der Name Hus im Tschechischen ja die Gans bedeutet? Essen wir aus Rache oder zum Dank eine Gans, weil Gänse als die besseren Wachhunde den Heiligen Martin verraten haben sollen, als er sich im Jahr 370 im Gänsestall vor dem Bischofsamt versteckte?

Oder hat sich das Gänseessen irgendwann eingebürgert, weil man nicht alle Tiere über den Winter bringen konnte, sondern die Zahl der Gänse dezimieren mußte? Erinnert es daran, wie der Bauer früher die Gans aufteilte und Knecht und Magd die Keulen bekamen, damit sie auch im folgenden Jahr immer tüchtig möchten laufen können? (Der Hausherr selber nagte übrigens das Brustbein ab, um aus der Farbe des Knochens das Wetter des kommenden Jahres herauszulesen.) Ißt man noch heute eine Gans, weil die Landarbeiter, die zu Sankt Martin entlohnt und über den Winter nach Hause entlassen wurden, mit Naturalien bezahlt wurden? Oder ist es, weil der Festtag des Sankt Martin ein zweiter „mardi gras“ – ein „Martin gras“ sozusagen –, also ein zweiter Faschingsdienstag ist, an dem man sich vor dem Beginn der sechswöchigen Fastenzeit in Vorbereitung auf Weihnachten noch einmal richtig den Bauch vollschlug?

Denn von Martin sind es genau sechs Wochen bis Weihnachten. Zuzeiten markierte dieses Datum auch den Winteranfang. Die zeitliche Relation zur Heiligen Nacht wird gerne erwähnt, wenn man hervorhebt, daß bei Sankt Martin nicht der Todestag, sondern der Tag der Beisetzung begangen wird. Gestorben ist Martin (übrigens der erste Heilige, der nicht als Blutzeuge – Märtyrer – sterben mußte, sondern seine Heiligkeit aus einem Leben als Bekenner und Nachfolger Christi ableiten kann) nämlich zufällig auf einer Reise in Candes.

Natürlich haben die Leute aus dem 50 km entfernten Tours die Leiche geraubt. So weit käme es noch, daß ihr Heiliger, ihr Bischof, dessen Reliquien Ruhm und Prosperität der Stadt versprachen, nicht zuhause beerdigt werden sollte … Da die Bewohner von Candes die in jedem Sinne teuren und wertvollen Überreste, die ihnen da so unverhofft zuteil geworden waren, allerdings bewachten, wurde die Leiche durchs Fenster hinaustransportiert.

Viele Geschichten gibt es zu erzählen rund um den Heiligen Martin. Ich tue das gerade in der Erwachsenenbildung, wo ich einigen wißbegierigen Menschen das Kirchenjahr mit Festen und Bräuchen nahebringe. Macht allen Beteiligten unglaublich viel Spaß – doch wie immer hat die vorbereitende Person vermutlich selber am meisten davon.

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Der Heilige Martin, erkennbar an seinem Attribut, der Gans zu seinen Füßen (Pfarrkirche in St. Michael im Lungau; eigenes Bild)

 

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