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Gregorianik, spätromantisch

Kirchenchor singt Franz Liszts Vexilla-Regis-Adaption
in der Passionsandacht

Die Ausführenden

Wie Sie sicherlich wissen, probt unser Kirchenchor seit dem Advent 2022 endlich wieder und hat bereits eine feierliche Christmette musikalisch mitbestimmt. Zu verdanken ist das unserem neuen Chorleiter, einem in der Pfarrei durch unendlich viele Orgeldienste bereits bestens bekannten Kirchenmusikstudenten im Masterstudiengang: Jakob Schönborn-Dietz. Auch ich persönlich bin ihm bekanntlich zu Dank verpflichtet, seit er zum Besuch der Oberhauser Klosterspatzen die Uraufführung unseres Mariä-Himmelfahrtsliedes in der gemeinsamen Abendmesse am Klavier begleitet hat. 🙂

Herr Dietz also hat die Chorleitung in Herz Jesu übernommen und macht durch seine kluge Literaturauswahl berühmte Musik großer Namen auch mit diesem sich erst wieder findenden Kirchenchor möglich: In der Passionsandacht am morgigen 1. April 2023 um 18 Uhr erklingt Franz Liszts bekanntes Werk „Via Crucis“. Die Komposition (in diesem Fall im Wortsinne von „Zusammenstellung“) entstand im Frühherbst 1878 in Rom. Vollendet wurde sie ein Vierteljahr später in Budapest.

Ach! Da fällt mir ein: Ich muß Ihnen ja unseren zweiten Chorleiter noch vorstellen. Auch in der neuen Besetzung ist unser Kirchenchor nämlich leider wieder auf das ehrenamtliche Engagement in der Chorleitung angewiesen (warum das zwar so ist, aber durchaus nicht sein müßte, schreiben wir Ihnen ein andermal). Da junge Familien aber von irgend etwas leben müssen, bringt Herr Dietz derzeit sein Ehrenamt in Weimar mit einer vertretungsweise angenommenen bezahlten Kantorenstelle andernorts unter einen Hut. Er schafft das, weil er einen Kommilitonen hinzuziehen konnte: Herrn Bogdan Reincke. Abwechselnd leiten beide jungen Männer die Proben oder teilen in Registerproben den Chor auch schon mal auf. Ob Herr Dietz oder Herr Reincke – einen Korrepetitor hat unser Kirchenchor nun ständig, denn die erfahrenen Organisten spielen eine Klavierbegleitung notfalls aus der Chorpartitur und notfalls ohne hinzuschauen, Gesicht und Aufmerksamkeit dem Chor, ihre Arme aber im rechten Winkel dem E-Piano des Elisabethsaals zugewandt! 🙂

Liszts „Via Crucis“ ist ein Werk für Soli, Chor und – Harmonium.

Harmooooonium? Warum um alles in der Welt Harmonium?

Tja – weil Liszt selber das so vorgesehen hat. Den Erzählungen unseres Chorleiters zufolge stand Franz Liszt während des Romaufenthalts Ende 1878 eines schönen Tages im Kolosseum und in seinem geistigen Ohr erklang seine Adaption der gregorianischen Gesänge Vexilla Regis und Stabat Mater an genau diesem Ort – begleitet von einem Harmonium. Gut. Er hat ja auch in Weimar, dem es damals bekanntlich seit gut 300 Jahren einer katholischen Kirche ermangelte, im Jägerhaus in der Marienstraße Harmonium gespielt.

Aber wo um alles in der Welt bekommt man heute ein Harmonium her?

Herr Dietz hat eins besorgt. Sogar ein zu Liszts Musik zeitgenössisches – einen Schiedmayer aus den 1870er Jahren, schauen Sie:

Das Schiedmayer-Harmonium aus einer Privatsammlung; nach der Probe am 25. März 2023 in Herz Jesu Weimar (eigenes Bild)

Ein ehemaliger Professor der Weimarer Musikhochschule, auch er der Pfarrei Herz Jesu durch langjähriges Orgelspiel eng verbunden, hat in einem Dorf nördlich von Weimar eine Sammlung solcher Instrumente zusammengetragen. So kann der Kirchenchor also auch noch historisch informiert musizieren! Als Solisten wird unser Chor eigene Kräfte durch Hochschulabsolventen ergänzen.

 

Das Werk

Liszts Via Crucis paßt gleich doppelt gut nach Thüringen. Zum einen, weil Liszt lange in Weimar als unser Gemeindemitglied gelebt und bekanntlich unser Gotteshaus ‚gefundraised‘ hat. Zum andern, weil der Verfasser des Vexilla Regis ja niemand anders ist als Venantius Fortunatus, der enge Vertraute Radegundes, der letzten Prinzessin des Thüringerreiches und späteren fränkischen Königin und Klostergründerin. Da sie möglicherweise von der Mühlburg oberhalb von Mühlberg bei Arnstadt stammt, ist in der dortigen St. Lukaskirche eine Radegunden-Kapelle eingerichtet worden. Im Vorraum werden die Besucher an den berühmten Hymnus erinnert:

Am Eingang zur Radegundiskapelle im Vorraum von St. Lukas Mühlberg (eigenes Bild)

Aber warum habe ich vorhin die Komposition Franz Liszts als Zusammenstellung apostrophiert? Weil sie es ist. Das Werk wirkt so redundant weil es immer wieder im Verlauf der musikalisch erfaßten 14 Stationen der Passion Jesu sehr konsequent auf die gregorianische Melodie der vertonten Texte des Vexilla Regis und des Stabat Mater zurückgreift. Hören und schauen Sie:

Einleitung und erstes Stabat Mater aus der Chorpartitur der Via Crucis von Franz Liszt (eigene Bilder)

Es ist die jahrhundertealte Melodie des Vexilla Regis:

beziehungsweise des Stabat Mater:

Dazwischen stellt Liszt den Crügerschen Choral O Haupt voll Blut und Wunden und die Vertonung des Friedrich-von-Spee-Textes, O Traurigkeit, o Herzeleid, deren Herkunft aus Mainz oder Würzburg auf 1628 oder 1638 datiert wird.

Ich bin begeistert von der Realisierung einer in Herz Jesu Weimar ja schon älteren Idee: Werke unseres verdienstvollen ehemaligen Gemeindemitglieds Liszt tatsächlich in Messen und Andachten in unserer Kirche zu Gehör zu bringen. Es wird schön und die Chorleiter haben sich alle erdenkliche Mühe für eine gute und korrekte Interpretation des Werkes gegeben. Pfarrer Preis wird die Andacht halten. Und ein von Herrn Dietz liebevoll gestaltetes Plakat gibt es auch:

 

Kommen Sie zahlreich!

 

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Ein Schiedmayer! Die Firma Schiedmayer war ja bekanntlich die prestigeträchtigste unter den ehemals zahlreichen Fabriken für Tasteninstrumente, die es in Stuttgart gab, eine Tradition, für die erst die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ein trauriges Ende brachten.
Die Produktion von Harmonien (oder doch Harmonia? 😉 ) war freilich ein eher späteres Phänomen, begründet wurde dieser Ruf mit dem Bau von Hammerklavieren, nicht zuletzt in der Form von Tafelklavieren, den der Firmengründer bei Mozarts bevorzugtem Pianofortehersteller Stein in Augsburg gelernt hatte. Stein seinerseits aber hatte bei niemand geringerem als Cristofori gelernt, der 1699 die Hammerklaviermechanik ja überhaupt erst erfunden hatte.
Begegnen Sie also morgen abend dem Harmonium mit Respekt, es ist Vertreter einer wahrhaft noblen Tradition des Instrumentenbaus! 🙂 

Gereon Lamers

2 Kommentare

  1. Joh. Lehmann-Dronke schrieb:

    Bin durch einen Kollegen auf den Beitrag hingewiesen worden. Hat mein Interesse geweckt, und ich habe die Passionsandacht besucht. Hat sich sehr gelohnt. Berührende Musik, umgewohnte Klänge, selten zu hören, überzeugend dargeboten. Vielen Dank für den Hinweis und Dank allen Mitwirkenden!

    Dienstag, 4. April 2023 um 16:34 | Permalink
  2. Cornelie schrieb:

    Lieber Johannes! Herzlichen Dank! Das Lob gebe ich gerne an die beiden Chorleiter weiter. 🙂

    Mittwoch, 5. April 2023 um 22:47 | Permalink

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