Krippe und Kreuz
Das Vexilla Regis, das eng mit unserem vorigen Beitrag verbunden ist, war übrigens auch der Ausgangspunkt einer intensiven Diskussion und in der Folge einer ganzen Reihe von Beobachtungen zum Thema „Krippe und Kreuz“, von denen ich jetzt in der Karwoche erzählen möchte. Genau genommen ging es um das aus dem Vexilla Regis von Komponisten bereits verschiedentlich ausgekoppelte O Crux Ave, das der Philharmonische Chor Weimar in einer erst zwanzig Jahre alten Vertonung des 1964 in Riga geborenen Rihards Dubra u.a. bei einem Weihnachtskonzert am 7. Januar 2023 in der Herz Jesu Kirche Weimar zu Gehör brachte. Es klingt so:
Der Chor, dem ich seit drei Jahren angehöre, konnte das Stück für eine andere Gelegenheit gut brauchen und hatte es einstudiert. Ob es aber auch für ein Weihnachtskonzert passend wäre? Es stellte sich nach einigen Gesprächen, Recherchen und Überlegungen heraus: Ja. Ist es.
Treue PuLa-Leser wissen, daß ich vor sieben Jahren in einem Sketch einmal gegen die These angeschrieben habe, die den Choral „Wie soll ich dich empfangen“ aus Bachs Weihnachtsoratorium (WO) mit dem Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ kurzschließt. Der Erfurter Bistumsanhang im alten Gotteslob (vor 2013) apostrophierte diesen Zusammenhang in einer Fußnote zu Lied 903. In der Tat sind diese beiden Stücke nicht Mutter und Kind, sondern Geschwister. Beide gehen auf eine ältere Melodie (um 1600) von Hans Leo Haßler zurück.
Dennoch wird der Heilsplan offenbar als immer in Gänze präsent gedacht. Die Wahrheit kennt keine Zeit. Sie ist immer da, und sie ist immer ganz. So wird denn auch Paul Gerhardts um 1650 entstandener Text, dessen erste Strophe Johann Sebastian Bach in den ersten Teil seines Weihnachtsoratoriums integriert hat, in der zweiten Strophe auf Jesu Einzug in Jerusalem bezogen: „Dein Zion streut dir Palmen“.
In Friedrich Heinrich Rankes „Tochter Zion“ wird zu Georg Friedrich Händels Musik ebenfalls ein Text zum Adventslied, dessen biblischer Vorlage wir zu Palmsonntag gedenken (vgl. Mt 21,5.9). Die Heilsbotschaften vor der Geburt des Herrn und vor Beginn der Karwoche werden austauschbar.
Der Kreuzeshymnus Pange Linguavon Venantius Fortunatus, der wie sein Vexilla Regis auf das Jahr 569 datiert wird und mit der Schenkung einer Kreuzesreliquie an die (thüringische Prinzessin und) fränkische Königin und Klostergründerin Radegunde zusammenhängt, enthält als fünfte Strophe ein Stück Weihnachtsgeschichte:
Vagit infans inter arta conditus praesaepia,
Membra pannis involuta virgo mater adligat,
Et pedes manusque, crura stricta pingit fascia.
„Er schreit als Kind, geborgen in der engen Krippe,
die Glieder, in Windeln gehüllt, verbindet die jungfräuliche Mutter,
und Füße, Hände, Beine zeichnet die straffe Binde.“
Der Jesusknabe kommt in bildlichen Darstellungen der Verkündigung mit einem Kreuz auf der Schulter in den Schoß seiner Mutter geschwebt (Bilder bereits hier). Und in der Baßarie des WO I, „Großer Herr, o starker König“ vertont Bach die Worte „muß in harten Krippen schlafen“ dergestalt mit einem verminderten Akkord, daß die Melodie das Kreuz als sogenannte ‚musikalisch-rhetorische Figur‘ förmlich abbildet.
Auch Künstler des 20. Jahrhunderts trennen Krippe und Kreuz nicht. Im „Weihnachtskyrie“ dichtet der von seiner Bedeutung für das evangelische Kirchenlied her gern mit Paul Gerhardt verglichene Jochen Klepper (1903-1942): „Die Welt ist heut voll Freudenhall./ Du aber liegst im armen Stall./ Dein Urteilsspruch ist längst gefällt,/ das Kreuz ist dir schon aufgestellt./ Kyrie eleison.“
Als Hildegard Hendrichs (1923-2013), die vermutlich bedeutendste Bildende Künstlerin unseres Bistums und Franziskaner-Tertiarin, von den geistlichen Brüdern um ein Wandrelief für das Kloster in La Verna gebeten wurde, fiel ihr das Thema gleichsam in den Schoß: „Es ergab sich mir aus der gerade erlebten Pilgerfahrt und den so wichtigen Meditationen in Greccio und La Verna: Krippe und Kreuz.“ (So in ihrer Autobiographie „Erlebt und erfahren“ Münsterschwarzach 1994, S. 76).
Im Marcel-Callo-Haus Heiligenstadt durften Gereon und ich am 8. Januar dieses Jahres an einem Gehörlosengottesdienst teilnehmen, den Pfarrer Haase abhielt. Hörend, waren wir fasziniert über die Armbewegungen, mit denen er seine Worte begleitete. Und wir merkten, welche Gesten er für welche Worte gebrauchte. Das Christkind stellte er mit dem Hinweis auf durchbohrte Hände dar. Weihnachten symbolisierte er durch die Krippe. Dazu formte er mit seinen Armen vor der Brust ein Kreuz.
Cornelie Becker-Lamers
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