Ein PuLa unterwegs
Der Landesjugendchor Sachsen besteht seit 15 Jahren und hat sein Jubiläum an diesem verlängerten Wochenende durch ein Konzertprogramm an verschiedenen Orten im Land festlich begangen: in Meißen, Dresden, Leipzig und Freiberg. Unter der Leitung seines Dirigenten Ron-Dirk Entleutner, eines ehemaligen Thomaners, kamen sechs Bachmotetten zu Gehör. Als Sahnehäubchen und Besonderheit des festlichen Anlasses zuliebe waren allerdings auch drei Ausdruckstänzer(innen) engagiert worden, die die Musik durch ihre darstellende Kunst begleiteten.
Da ich schon einmal einen Beitrag über ein getanztes Magnificat von Bach im Erfurter Dom gesehen hatte,
war ich neugierig, hielt so etwas für ein must-have-seen und machte mich gestern Nachmittag auf den Weg in die Leipziger Peterskirche.
Außer den Tänzern fielen auch bei den Musizierenden interessante Dinge auf: Instrumentalisten waren zwischen den Sängern plaziert, Entleutner dirigierte komplett auswendig, dafür aber umso engagierter, und die klangliche Brillanz, die textliche Präzision und die mutig langen Generalpausen machten die Musik wirklich zu einem Erlebnis. So hatte ich das „Es ist nun nichts“ aus „Jesu meine Freude“ noch nie gehört.
Aber dieser Ausdruckstanz war seltsam. In Ermangelung einer Geschichte, die man ja offenbar hätte darstellen wollen/müssen, reduzierten sich die Bewegungselemente auf eine Aneinanderreihung irgendwie bekannter Ausdruckselemente aus der Trickkiste. Da wurde mit eiskalter Miene energisch ausgeschritten, es wurde geschubst, publikumswirksam in sich zusammengesunken und zwischen den Zuhörern, ja sogar zwischen den Chorsängern Aufstellung genommen. Und das alles in bunten Kostümen von Goldpailleten über das Crop-Top bis hin zum rosa Anzug – natürlich für den Herrn.
Der Tanz lenkte eigentlich einfach nur von der Musik ab. Für mein Empfinden macht sogar Bild und Bewegung zu Musik letztere zur Untermalung für die Figuren: Die Motetten wurden im gestrigen Konzert zur Stummfilmmusik für den nicht vorhandenen oder zumindest sehr flachen Plot der Tanzfiguren.
Warum macht man sowas? Besonders wenn die Musik so meisterhaft dargeboten wird?
Zunächst mal ist es natürlich ein Problem, daß heutzutage Musik, die nie zum reinen Zuhören im Konzert geschrieben worden ist, über anderthalb Stunden hinweg in Konzertatmosphäre aufgeführt wird. Von der Tafelmusik bis zu geistlichen Chor- und Instrumentalwerken. Schon richtig, daß das ermüden kann – es war ja auch nie ohne weiteren Inhalt oder ohne eigene Aktivitäten der Zuhörenden gedacht.
Aber die Inhalte etwa der geistlichen Werke gäbe es ja. In Bachs Motetten beispielsweise, von denen jetzt in den sächsischen Metropolen sechs hintereinander gesungen wurden (BWV 225-230), sind Psalmen und andere Bibeltexte vermutlich für Begräbnisgottesdienste oder ein Requiem vertont worden. Die geistlichen Inhalte waren, heißt das, zuvor in einem Gottesdienst aufgefrischt worden: Was des Menschen Ziel sei, was im Jenseits auf die Verstorbenen wartet, was auf Erden zu deren und unserer eigenem Heil unternommen werden kann und warum ein moralisch integres Leben sich am Ende auszahlt.
Das wären meines Erachtens die Inhalte, die, wenn der sprachliche Kontext der Gesamtveranstaltung sie nicht liefert, ein weiteres Element wie darstellender Tanz zu verdeutlichen hätte. Das wäre dann aber richtig Arbeit: Kongenial zur Heiligen Schrift und der Vertonung durch Johann Sebastian Bach konkrete religiöse Inhalte in eine Geschichte für den Ausdruckstanz packen? – Chapeau! Aber es gelang eben auch nicht und war offenbar auch gar nicht erst angestrebt.
Für die Inhalte gibt es ja noch weniger Publikum als für die Musik, sagt meine Tochter. So ein setting soll Menschen anlocken, die denken: Tanz! Hm! Klingt interessant – und die dann nebenbei ein bißchen Bach hören und dann vielleicht auch mal einfach nur in ein Konzert mit Bachscher Musik gehen.
Ich wünsche den Konzertmanagern und jungen Künstlern alles Gute! Möge die Rechnung besser aufgehen als der Versuch, durch Gitarren und Cajón junge Menschen in die Heilige Messe zu locken …
Cornelie Becker-Lamers
Ein Kommentar
Die Musik hätte ich gern gehört und sie war offenbar auch großartig.
Tanz dazu? Ich war schon skeptisch, als ich die Einleitung gelesen habe, und der Text bestätigt das nur. Bach behält seine Qualität in verschiedensten Formen, aber diese Art Tanz hat sich wohl nicht richtig damit verbinden lassen.
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