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„Dialog revisited“

„Dialog“

Zur Wortgeschichte eines Homonyms

Ein Zwischenruf

Wer hat es nicht schon erlebt: Eben noch hat ein kirchlicher Würdenträger in einem Grußwort, hat eine Kirchenfunktionärin in ihren einführenden Worten zu einer Sitzung vom „Dialog“ gesprochen, der doch so wichtig sei und daher an dieser Stelle erbeten, angemahnt oder gar eingefordert werde – da schauen auch schon alle, sobald behutsam, aber beispieluntersetzt die erste kritische Frage gestellt wird, betreten unter sich, fangen an, die Fragenden zu beschimpfen oder drehen sich um und gehen weg.

Wen dies schon des öfteren irritiert, geärgert oder zur Verzweiflung gebracht hat, dem kann jetzt geholfen werden. Denn in Heft 1/2013 der deutschsprachigen Ausgabe des bekannten kirchenpolitischen Satire-Magazins „Texts Unwritten – Words Unsaid“ beschäftigt sich der Leitartikel mit der Etymologie des Wortes „Dialog“ und schließt damit endlich eine wissenschaftliche Lücke, deren Existenz uns bis dato noch gar nicht aufgefallen war.

Entgegen der landläufigen Meinung, so die auf basisgestützten Studien fußende Glosse, das Wort „Dialog“ leite sich aus dem griechischen Diálogos = Gespräch ab, ist im Umfeld kirchlicher Kreise von einer abweichenden Wortgeschichte auszugehen. Bei der im klerikalen und kirchennahen Milieu üblichen Nutzung des Begriffes „Dialog“ handelt es sich vielmehr um den Gebrauch eines terminus technicus, dessen Semantik als Fachausdruck mit der Bedeutung des uns geläufigen umgangssprachlichen Wortes keinesfalls verwechselt werden darf.

Zwar schreibt auch der im kirchendeutsch gebräuchliche terminus „Dialog“ sich vom Griechischen her, meint jedoch nicht den „diá-logos“ als sprachlichen Austausch und gegenseitige Durchdringung von Argumenten, sondern setzt sich aus dem Präfix di- (vom griechischen Zahlwort dýo = zwei) und dem Adjektiv álogos = sprachlos zusammen. „Dialog“, von einem Kirchenfunktionär gebraucht, meint daher in neun von zehn Fällen eine beiderseitige Sprachlosigkeit zweier aus irgendeinem Grund zur Suche nach Austausch verurteilter Menschen.

Es handelt sich bei den Wörtern „Dialog“ (umgangssprachlich) und „Dialog“ (kirchendeutsch) somit um klassische Homonyme, das heißt um zwei gleichklingende Wörter unterschiedlicher Herkunft und Bedeutung. Kein Grund also zu weiterer Verzweiflung: Verwirrt uns das Teekesselchen „Dialog“ doch nur deshalb mehr als beispielsweise das Wortpaar „Schimmel“ (im Stall oder auf der Marmelade) oder „Blume“ (auf dem Bier oder am Hasen), weil die beiden Elemente des Wortpaares „Dialog“ durch ihre ungewöhnlich eng benachbarte Kontextualisierung so verwechselbar sind. Ja mehr noch: Der „di-álogos“ scheint in Kirchenkreisen zum Dialog-Analogon avanciert zu sein, das den eigentlichen Dialog freilich ebensowenig ersetzen kann, wie ein Religionsanalogon die Religion…

In jedem Fall empfiehlt es sich, jeweils zunächst ganz genau zu analysieren, wer da von „Dialog“ spricht – ein normal-suchender Gläubiger oder aber ein Gremienmitglied, ein Priester oder gar Bischof –, um das Gegenüber nicht durch „Fehlverhalten“ zu erschrecken, selber in die Irre zu gehen und trügerischen Hoffnungen Raum zu geben, die nur in Enttäuschung enden können.

Cornelie Becker-Lamers

 

Ein Trackback/Pingback

  1. Pulchra ut Luna › Die Auswertung on Samstag, 23. März 2013 um 22:32

    […] Jaja … der Dialog in der deutschen katholischen Kirche […]

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