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Sketchlet zum Advent No. 3: Das Sonderrecht

Das Sonderrecht

Ein Sketchlet für zwei Personen

Wundersdorf/ Oderbruch. In der Küche der Familie Langenfeld. Edith und Richard misten Zeitungen aus. Dabei stoßen sie auf den einen oder anderen Artikel, der sie an etwas erinnert und tauschen sich darüber aus.

Edith (schaut von einer Zeitung auf): „Tugce starb an ihrem 23. Geburtstag.“

Richard blättert in seinem eigenen Stapel und brummt.

Edith: In der Antike glaubte man, perfekte Menschen sterben am selben Tag, an dem sie geboren wurden. (Sie legt die Zeitung auf den Abfallhaufen und sortiert weitere Zeitungen unbesehen dazu.)

Richard (sortiert aus): Hm. Der „Hirntod“, was auch immer man davon halten mag, war aber wohl schon früher. An ihrem Geburtstag haben sie „nur“ die Geräte abgeschaltet.

Edith (blättert; zertreut): Hm.  … Auf jeden Fall echt nah dran.

Richard (aus seiner Zeitung): „Karlsruhe bestätigt zweite Ehe als Kündigungsgrund“

Edith: Hm. Weißt du noch, Tom damals? Dem haben sie am Hedwigsgymnasium den Vertrag unterm Füller weggezogen, als er sagte, er heiratet Conni nicht … Da haben sie gesagt: „Wilde Ehe gibt’s bei uns nicht“.

Richard (brummt): Ist ja auch richtig so.

Edith (blättert weiter): Trotzdem! Die wußten genau, daß er Familie hat! Wie sollen denn da die Mütter zu Hause bleiben, wenn sie den Vätern keine Stelle geben? (brummt) Alles so verlogen!

Richard: Hm. Sie argumentieren halt, daß die Mitarbeiter an katholischen Schulen und Krankenhäusern auch die Institution Kirche repräsentieren. (Er sortiert einen Stapel Zeitungen auf den Abfallhaufen.) Und da gibt es dann halt in der Verfassung ein Sonderrecht für die Kirchen als Arbeitgeber.

Edith (liest aus einer der jüngeren Ausgaben): Ah! „Wundersdorf ehrt mit seinem 20. Menschenrechtspreis zwei syrische Erzbischöfe“.

Richard (blättert und sortiert): Hm.

Edith: Die sind ja echt seit anderthalb Jahren vermißt!

Richard: Mhm, schlimm!

Edith: Muß richtig großer Bahnhof gewesen sein in der Wundersdorfhalle, bei der Vergabe.

Richard (sortiert aus): Hm!

Edith: Also die Erzbischöfe, die stellvertretend den Preis in Empfang genommen haben, aber auch OB, MP, Superintendent und eben eine ganze Schar von Metropoliten, koptischen und orthodoxen Bischöfen, aus Köln und Berlin – also richtig hochgehängt die Sache! Hundert Grußworte von allen Seiten …

Richard: Ah! Ok!

(Sie blättern weiter und sortieren aus.)

Edith (nach einer Weile): Hab ich dir erzählt, daß unsere orthodoxen Mitbrüder und –schwestern sich schon gefragt haben, warum eigentlich kein Vertreter der katholischen Gemeinde anwesend war und gesprochen hat?

Richard (schaut auf): Nein. Wer sagt?

Edith: Ifigenia war dort – als Vertreterin der deutsch-griechischen Gesellschaft und unserer griechisch-orthodoxen Gemeinde, und unser orthodoxer Erzpriester. Er hat das zu ihr gesagt.

Richard (interessiert): Aha?!

Edith: Naja, sie haben dann gedacht, es sei sicherlich jemand da, den sie nur nicht kennen.

Richard (braust auf): Das ist genauso, als wäre keiner da!

(Sie blättern weiter in Zeitungen und sortieren aus.)

Edith: Wann wird das denn entschieden?

Richard: Was?

Edith: Wer den Wundersdorfer Menschenrechtspreis bekommt.

Richard: Meines Wissens muß das jedes Jahr am 31. Juli feststehen. Warum?

Edith: Dann hätten Hochwürden ja seinen Urlaub eigentlich ein bißchen danach ausrichten können … Wenn so viele Vertreter aus aller Welt nach Wundersdorf gefahren kommen …

Richard: Selbstverständlich hätte er das!

Edith: Er hätte doch sogar eine echte Conrad-Kneif-Rede halten können …

Richard (lacht): Du meinst in Stil von: ICH war ja auch mal in Syrien.

Edith (lacht auch): Genau: Für MICH war das ja damals richtig knapp, im März 2011 noch wieder rauszukommen!

Richard: Tja – warum hat er sich das nur entgehen lassen? Aber im Ernst! Wenn er schon nicht selber die Anteilnahme aufbringt, bei der Preisverleihung anwesend sein zu wollen, dann muß er selbstverständlich einen Vertreter schicken!

Edith: Den Pfarrvikar.

Richard: Zum Beispiel.

Edith: Der ist gebildet, kennt sich in der Gegend aus …der hätte ein Grußwort halten können, daß alle gedacht hätten: Boah, die Katholiken!

Richard: Klar! Aber das ist Kneif halt offenbar völlig wurscht!

(Sie sortieren weiter aus.)

Edith: Sag mal, müssen Priester nicht eigentlich auch die Kirche nach außen repräsentieren?

Richard (schaut auf): Selbstverständlich – wer sonst?

Edith: Na, die Ärzte und Lehrer und so … da nehmen sie’s so genau … und so ein Priester kann sich offenbar alles erlauben.

Richard: Hm.

Edith: Warum können sie Priester und Laien immer so mit zweierlei Maß messen?

Richard: Keine Ahnung … Sonderrecht der Kirche?

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Ob es bei der Verleihung des Weimarer Menschenrechtspreises am Ende zu ähnlichen Phänomenen gekommen sein mag?

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