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Der Psalmen-Adventskalender, Tag/Psalm 22 „Dominus regit me…“

1 Psalmus David. Dominus regit me, et nihil mihi deerit:

2 in loco pascuæ ibi me collocavit. Super aquam refectionis educavit me,

3 animam meam convertit. Deduxit me super semitas justitiæ, propter nomen suum.

4 Nam, etsi ambulavero in medio umbræ mortis, non timebo mala, quoniam tu mecum es. Virga tua, et baculus tuus, ipsa me consolata sunt.

5 Parasti in conspectu meo mensam, adversus eos qui tribulant me ; impinguasti in oleo caput meum ; et calix meus inebrians quam præclarus est !

6 Et misericordia tua subsequetur me omnibus diebus vitæ meæ ; et ut inhabitem in domo Domini, in longitudinem dierum.

 

1 Ein Psalm Davids. Der HErr regieret mich, und nichts wird mir mangeln;

2 auf einem Weideplatze; da hat er mich gelagert; am Wasser der Erquickung mich erzogen;

3 meine Seele bekehret; mich geführt auf die Wege der Gerechtigkeit, um seines Namens willen.

4 Denn wenn ich auch wandle mitten im Todesschatten, so will ich nichts Uebles fürchten, weil Du bei mir bist. Deine Ruthe und dein Stab, die haben mich getröstet.

5 Du hast einen Tisch vor meinem Angesichte bereitet wider die, so mich quälen. Du hast gesalbet mit Oel mein Haupt; und mein berauschender Becher, wie herrlich ist er!

6 Und Deine Barmherzigkeit folget mir all die Tage meines Lebens;

7 daß ich wohne im Hause des HErrn in die Länge der Tage.

 

Wozu ein Hirte?

[…] Wir sind nicht unsere eigenen Hirten. In dieser Situation gibt es drei Mög­lichkeiten: ohne Hirten herumirren, dem falschen Hirten folgen, einem guten Hirten folgen.

Hemmirren: »Wir irrten alle herum wie Schafe« heißt es beim Propheten Jesaja (Jes 53,6), und der heilige Petrus wiederholt es (1. Petr 2,25). Der Prophet erläutert, was das heißt, »herumirren«: »Jeder sah auf seinen eigenen Weg.« Das ist die Irre: die Erhe­bung der Selbstbestimmung zum Selbstzweck, die Autonomie, in der jeder auf seinen eigenen Weg statt auf das Ziel blickt. […] Der Weg, das Tao, ist nie »der eigene« Weg, er ist uns gegeben. […]

Christus steigert den platonischen Gedanken von der »reinen Hirtenkunst« ins Absolute. […] Der irdi­sche Hirt ist nur ein Gleichnis der reinen Hirtenkunst.
Gott ist der Hirt der Menschen. Wir gehören Ihm. […]

Das ist der Grund des Jubels für den Beter: Der Herr ist mein Hirt. Der Satz drückt aus: Ich bin nicht ein Staubkorn im Weltall, ich bin nicht an äußere Zwecke, Zwänge, Funktionen entfremdet, sondern heimgekehrt zum Ursprung des eigenen Wesens: »Ihr wart wie irrende Schafe. Nun aber seid ihr heimgekehrt zum Hir­ten und Bischof eurer Seelen.« (1. Petr 2,25) […]
Unsere Sache ist Seine Sache, weil alles Seine Sache ist. Wenn der gute Weg letzten Endes schei­terte, so wäre Gott gescheitert. Gott aber scheitert nicht. Daß Er uns den guten Weg führt »um Seines Namens willen«, das ist der höchste Ausdruck unserer Geborgenheit in Gott. […]

Und nun wird aus der metaphorischen Rede des Psalms eine symbolische. An die Stelle der grünen Wiese tritt der »im Ange­sicht der Feinde« gedeckte Tisch. Im Angesicht der Feinde am gedeckten Tisch sitzen und es sich schmecken lassen – nichts demonstriert schöner die Ohnmacht der feindlichen Gewalt. Der Zecher kämpft nicht. Er ist physisch und psychisch in Sicherheit. Der Anblick der wütenden Feinde verdirbt ihm nicht einmal den Appetit. Das Mahl, das hier angerichtet ist, ist nämlich ein Mahl jenseits aller Bedrohungen, ein Mahl von jenseits der Todes­grenze. Es ist für die Feinde prinzipiell unerreichbar. Sie müssen sogar, ohne es zu wollen, noch helfen, den Tisch zu decken, das heißt die Speise herzurichten, die darin besteht, den Willen des Vaters zu tun. So haben die alten Märtyrer ihre Henker gar nicht als Feinde wahrgenommen, sondern als solche, die ihnen die Tür zum ewigen Gastmahl öffnen, eine Perspektive, die den Feinden ganz verborgen bleibt. […]

Die sakramentale Welt

[…] Accipiens et hunc praeclarum calicem. »Auch nahm Er diesen herrlichen Kelch.« Calix meus inebrians quam praeclarus est […] – »Wie herrlich ist mein Becher, der mich trunken macht.« Der Verfasser der Wandlungsworte im Kanon der Messe und der heilige Hieronymus, der Verfasser der Vulgata, wußten beide, wovon hier die Rede ist. Das Wort praeclarus, das weder im Abendmahlsbericht der Evangelien noch im Urtext des 2[2]. Psalms eine Entsprechung hat, dient dem christlichen Beter als geheimes Codewort, das beide Texte für immer aufeinander bezieht. Schon vor Hieronymus diente der Psalmtext etwa dem heiligen Cyrill von Jerusalem dazu, den Neugetauften den Sinn der Eucharistie aufzuschließen. […]

»Weilen im Hause des Herrn«[:] Wer am Tisch des Herrn Platz genommen hat, wessen Haupt mit Öl gesalbt wurde, wer in die sakramentale Welt der Kirche eingetreten ist, der steht nicht mehr auf Messers Schneide, nicht am Scheideweg zwischen Gut und Böse. Er muß auch nicht mehr allein gegen den Strom schwimmen, bis womöglich seine Kräfte schwinden, gegen den gewaltigen Strom derer, die die breite Straße ins Verderben ge­hen. Er ist schon in der Arche, im Haus des Herrn, und darf dort bleiben – für die Länge der Tage. […]

 

Der erste Vers des Psalms klingt in der Fassung von Allioli zunächst sehr ungewohnt, denn die bekannte Wendung: „Der HErr ist mein Hirte‘, bzw. ‚Der HErr weidet mich‘ (da gehört wohl auf jeden Fall eigentlich ein Verb und kein Substantiv hin!) fehlt. Das lateinische Verb „regere“ („regit“: 3. Person Singular Präsens Indikativ Aktiv) heißt „lenken, regieren, abgrenzen, zurechtweisen, beherrschen, herrschen, leiten, verwalten“ (heutzutage würde man wohl noch „managen“ hinzufügen…) und das gilt, wenn ich es richtig verstanden habe, auch für das ursprüngliche hebräische Wort, das aber eben auch „weiden“ bedeutet. Das hat ja in der Praxis mit den obigen Tätigkeiten auch eine ganze Menge zu tun! So ist auch der auch der antike Sprachgebrauch vom König als dem ‚Hirten seines Volkes‘ zunächst völlig „praktisch“ zu verstehen. Auch wenn so an ‚pastoraler Emotionalität‘ einiges verlorengeht, gewinnen wir damit auf der anderen Seite eine wichtige Bedeutungsebene dazu!

Die dahinter stehende Übersetzungsgeschichte umfaßt, soviel steht fest, die Septuaginta, den Hl. Hieronymus, das Konzil von Trient und mehrere (heilige) Päpste und (heilige wie weniger heilige) Kardinäle und sie kam erst 1979 zu einem (vorläufigen) Abschluß, der aber nicht befriedigen kann. Ich hoffe irgendwann einmal genug davon zu verstehen, um es auch schildern zu können; warten Sie aber besser nicht drauf – das kann noch dauern. (GL)

Übrigens: Auf diesem Niveau kann das, seit dem Wechsel in der Leitung vor einiger Zeit, der Kirchenchor an Herz-Jesu-Weimar auch, das Stück gehört zum Repertoire! Ob irgendwann einmal etwas davon auch „nach außen dringen“ wird?

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