1 […] Ad te, Domine, levavi animam meam.
2 Deus meus, in te confido ; non erubescam.
3 Neque irrideant me inimici mei : etenim universi, qui sustinent te, non confundentur.
4 Confundantur omnes iniqua agentes supervacue. Vias tuas, Domine, demonstra mihi, et semitas tuas edoce me.
5 Dirige me in veritate tua, et doce me, quia tu es Deus salvator meus, et te sustinui tota die.
6 Reminiscere miserationum tuarum, Domine, et misericordiarum tuarum quæ a sæculo sunt.
7 Delicta juventutis meæ, et ignorantias meas ne memineris. Secundum misericordiam tuam memento mei tu, propter bonitatem tuam, Domine.
8 Dulcis et rectus Dominus; propter hoc legem dabit delinquentibus in via.
12 Quis est homo qui timet Dominum ? legem statuit ei in via quam elegit.
13 Anima ejus in bonis demorabitur; et semen ejus hæreditabit terram.
14 Firmamentum est Dominus timentibus eum ; et testamentum ipsius ut manifestetur illis.
1 […]. Zu Dir, HErr, hab‘ ich erhoben meine Seele;
2 mein Gott, auf dich vertrau‘ ich, laß mich nicht zuschanden werden,
3 und mich nicht verlachen von meinen Feinden; denn alle, die auf Dich warten, werden nicht zu Schanden.
4 Zu Schanden sollen alle werden, die Böses thun freventlich. Deine Wege, HErr, zeige mir und Deine Steige lehre mich.
5 Leite mich in Deiner Wahrheit, und lehre mich; denn Du bist, o Gott, mein Heiland und auf Dich hab‘ ich gehofft den ganzen Tag.
6 Gedenke, HErr, Deiner Erbarmungen und Deiner Gnaden, die vom Anbeginne her sind.
7 Der Sünden meiner Jugend, und meiner Unachtsamkeit gedenke nicht. Nach Deiner Barmherzigkeit gedenke Du mein; um Deiner Güte willen, HErr!
8 Gütig und gerecht ist der HErr; darum wird er ein Gesetz geben den Fehlenden auf dem Wege.
12 Wer ist der Mensch, der den HErrn fürchtet? Er hat ihm ein Gesetz auf dem Wege gegeben, den er erwählen soll.
13 Seine Seele wird weilen im Guten und sein Same wird erben das Land.
14 Eine Veste ist der HErr denen, die ihn fürchten; und sein Bund ist, daß er ihnen offenbar werde.
Psalm 24 ist der erste der nach dem (hebräischen) Alphabet geordneten. Wolter spricht von einem „gemeinschaftlichen, für Kult und Leben brauchbaren Lied“, einem „Kirchengebet für jeden Notstand“. Spaemann nennt ihn einen „Alltagspsalm“ ohne „sehr spezifischen Gedanken“, eine „Paraphrase des Kyrie eleison“ als dessen Meditation man ihn beten könne – um dann darin „geradezu ein Musterbeispiel eines sogenannten dialektischen Dreischritts […]: These, Antithese, Synthese“ zu entdecken; Philosophen-Alltag offenbar… 😉 (GL)
Dreifache Bedürftigkeit
Dreifach ist die Bedürftigkeit, die uns […] das Kyrie eleison rufen läßt: Unwissenheit, Sünde und Schwäche. Aus dieser Bedürftigkeit »erhebe ich meine Seele zu Dir …« levavi animam meam, wie die Vulgata übersetzt). Das Gebet läßt uns in eine andere Dimension eintreten, die Dimension des Lichtes, der Reinheit und der Kraft, die Dimension Gottes, die der Dimension der Sünde, der Dunkelheit und der Schwäche entgegengesetzt ist. Das Gebet ist eine »Erhebung« in diese Dimension. Die Bedürftigkeit drängt uns zu dieser Erhebung.
[Der Beter] hat das Urvertrauen nicht verloren, er hat es […] dort festgemacht, wo es nicht mehr enttäuschbar ist: »Keiner wird zuschanden, der auf Dich hofft.«
Diese Gewißheit des Beters ist keine dingliche Sicherheit, sondern selbst von der Art der Hoffnung. Sie existiert nicht unabhängig vom Gebet, so daß es des Gebetes gar nicht mehr bedürfte. Darum betet der Psalmist: »Laß mich nicht zuschanden werden!«, um dann einen Vers später zu sagen: »Keiner wird zuschanden, der auf Dich hofft.« Das heißt: Keiner wird zuschanden, der bittet: »Laß mich nicht zuschanden werden.« Die so nicht bitten, die »leichtfertigen Verächter«, werden sehr wohl zuschanden.
[Allioli hat in Vers 4 das „supervacuus“ mit „freventlich“ übersetzt, Spaemann denkt bei den „leichtfertigen Verächtern“ offenbar eher an die Bedeutung „nichtig, überflüssig“, man könnte es, wie das beim Lateinischen oftmals möglich ist, auch einmal sozusagen ‚quasi-wörtlich‘ versuchen, d.h. man bedient sich bei den uns vertrauten Bedeutungen der aus der alten und doch so wirkmächtigen Sprache: „super“, also „überaus leer“, was, finde ich, auch sehr sprechend und passend ist, GL]
Wahrheit und Weg
[…] Der Psalm setzt das Wort »Wahrheit« beinahe mit dem Wort »Weg« gleich. Die Wahrheit Gottes ist dem bloß theoretischen Vorstellen nicht zugänglich. Sie erschließt sich nur in der Weise eines zu gehenden Weges. »Wer bereit ist, den Willen Gottes zu tun, der wird erkennen …« (vgl. Joh 7,17). Umgekehrt aber: Es gibt keinen göttlichen Weg, der nicht in der Wahrheit ist. Eine Pastoral, die glaubt, von der Fülle der geoffenbarten Wahrheit etwas ablassen zu dürfen, verdient nicht den Namen »Pastoral«: Das Gebet um Belehrung über den Weg Gottes ist, wenn es ernstgemeint ist, ein gefährliches Gebet. Es wird nämlich erhört. Und nicht immer ist es dem Menschen lieb und willkommen, wenn ihm der schmale Pfad wirklich gezeigt wird, der gerade ihn zu Gott fuhren soll. […]
Das Kyrie eleison des Psalms bittet Gott, Seines Anfangs »von Ewigkeit« [„von Anbeginn“ GL] zu gedenken, sich Seiner eigenen »Vergangenheit« zu erinnern, nicht aber der Vergangenheit des Beters. Die Bitte des Beters geht ja dahin, daß Gott den sündigen, unwissenden und schwachen Beter in Seine Dimension der Reinheit, des Lichtes und der Kraft hineinnimmt und ihn nicht in der eigenen Dimension der Sünde, der Verwirrung und der Schwäche stecken läßt. […].
Es ist Sein Wesen, barmherzig und gütig zu sein. Und der Beter bittet um nichts anderes, als daß Gott Gort sein möge, so wie wir im Gloria danken, daß Er Gott ist: gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam – »Wir sagen Dir Dank ob Deiner großen Herrlichkeit.« Der wahre Dank und die wahre Bitte an Gott kreisen letzten Endes immer um Gott selbst. Wir bitten, daß Er Er sei, und wir danken, daß Er Er ist. […]
Nun wird eine Frage gestellt und auf eine Weise beantwortet, die für die Offenbarung bezeichnend ist. »Wer ist der Mann, der den Herrn fürchtet?«, wird gefragt. Aber dieser Mann wird nicht beschrieben in dem, was er tut, sondern es wird gesagt, was Gott ihm tut. Und dies ist die Antwort auf die Frage: Er zeigt ihm den Weg, Er ist sein Freund, Er läßt ihn Seinen Bund wissen. Wem tut Er das? Dem, der Ihn fürchtet. Aber wer ist es, der Ihn fürchtet? Der, dem Gott dies tut. Das Tun Gottes kommt also vor dem Tun des Menschen. Weil Gott jemandem Seinen Weg zeigt, ihn Seinen Bund wissen läßt […] (RS)
[Allioli hat diese Stelle wunderbar gelöst: „und sein Bund ist, daß er ihnen offenbar werde“ Hervorhebung von mir; die „überarbeitete Version“ hat demgegenüber: „und sein Bund wird ihnen offenbar“, was vergleichsweise wirklich ‚lahm‘ ist und die lateinische Konstruktion (ut manifestetur) schlankweg ignoriert…! GL]
Damit ist nun auch der vierte Adventskalender auf PuLa zu Ende. Wie immer habe ich das Gefühl, im Zweifelsfall selber am meisten davon profitiert zu haben, aber die Rückmeldungen lassen mich auch zuversichtlich davon ausgehen, daß er recht gut aufgenommen worden ist, worüber ich mich sehr freue!
Ganz ehrlich, es war anstrengender, als ich erwartet hatte, was einerseits an der Dichte und Qualität des Spaemannschen Textes liegt, andererseits und vor allen Dingen aber daran, daß mich die Psalmen selbst immer wieder so stark bewegt haben – auch scheinbar simple Kürzungen gingen einem alles andere als leicht von der Hand und erforderten stets, sich mit dem ganzen Text in ein Verhältnis zu setzen.
Aber, wie sagt der Hl. Apostel Paulus im Römerbrief?
Quæcumque enim scripta sunt, ad nostram doctrinam scripta sunt : ut per patientiam, et consolationem Scripturarum, spem habeamus.
Denn alles was geschrieben worden, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch die Geduld und den Trost aus der Schrift die Hoffnung haben. (Röm 15,4, Allioli-Fassung)
“Die Geduld und den Trost aus der Schrift”; Genau!
PuLa wünscht allen Lesern von Herzen einen fröhlichen Heiligen Abend und ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!
PS: Ja, es wird wohl auch wieder ein Weihnachtsphoto geben… 😉
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