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Der Herrschekloes

Der Herrschekloes

Ein Sketchlet zum St.-Nikolaustag für sechs Schafe, zwei Lämmchen und beliebig viele Schafstatisten

Wundersdorf/ Oderbruch, Schafweide. Eine Gruppe umringt Kohle, dem es überhaupt nicht gut zu gehen scheint. Was ist bloß los?

Blütenweiß: Das ist ja schrecklich!

Wolle: Wenn man sich so machtlos fühlt …

Grauchen: Und wie oft hast du das schon geträumt?

Kohle: Ich weiß nicht … immer wieder … bestimmt schon über ein Jahr …

Flocke und Curly (sind gerade erst hinzugetreten): Was träumt Kohle immer wieder?

Wolle: Der Hirte macht so eine Art Almabtrieb mit einer Herde … es ist unsere Herde … im Tal liegt eine liebliche, sonnendurchflutete Au …

Grauchen: Auf dem Gipfel, wo die Schafe herkommen, ist es das ganz Jahr über vereist.

Blütenweiß: Und der Hirte führt die Herde ins Tal.

Curly: Toll!

Kohle: Ja, schon! Aber ich träume dann immer, daß ich selber hinter dem Hirten herlaufe und rufe: Nicht! Es liegen noch welche verletzt auf der Hütte! Wir müssen sie mitnehmen!

Flocke: Ach Gott!

Curly: Aber dann machst du doch alles richtig, Kohle – wo ist das Problem?

Kohle: Das Problem ist, daß der Hirte mich irgendwie nicht hört. Ich kann mich ihm nicht verständlich machen. Er läuft einfach weiter ohne zu reagieren. Ich wusele um seine Füße, aber er steigt über mich drüber.

Blütenweiß: Das ist schlimm!

Wolle: Furchtbar!

Grauchen: Was hat das zu bedeuten?

(Ein lautes Hupen und das vertraute Tuckern des neuen Pritschenwagens – er klingt schon wie der alte! – schreckt die Schafe aus ihren Grübeleien auf.)

Flocke: Da! Der Pritschenwagen!

Wolle: Fixi und Huf kommen aus der Bibliothek zurück!

Blütenweiß: Ah! Die guten Lämmchen!

Grauchen: Welch willkommene Abwechslung!

Fixi und Huf springen von der Ladefläche, laufen zu den andern und setzen ihre Rucksäcke ab.

Kohle (läßt sich gern auf andere Gedanken bringen): Na, Lämmchen – was habt ihr diesmal herausbekommen?

Wolle: Wie sieht der Zwarte Piet dieses Jahr aus?

Fixi: Unverändert – in den Dörfern traditionell, in den Großstädten ein bißchen modifiziert – und Demonstrationen gibt es auch wieder.

Huf: Deshalb haben wir mal ganz woanders geschaut …

Huf: … nämlich im Thüringer Wald und der Rhön.

Grauchen: Was für’n Ding?

Wolle: Das ist irgendwo im Süden, stimmt’s?

Fixi: Naja – so ungefähr. In Mitteldeutschland eben. Mit der Hörsel als nördlicher Grenze geht dort der Herrscheklas oder Herrschekloes um – mit einem eigens nach ihm benannten Weihnachtsmarkt in Schmalkalden.

Blütenweiß: Schmalkalden? Das mit dem Bund?

Huf: Richtig! Das mit dem Schmalkaldischen Bund, ohne den, wie man sagt, Martin Luther nur eine Fußnote der Geschichte geblieben wäre.

Curly: Ui!

Huf: Dort wollte man besonders eifrig sein, mit der Reformation, und hat deshalb versucht, das winterliche Geschenkfest vom Heiligen Nikolaus zu trennen und auf Weihnachten zu verlegen.

Fixi: Luther hat zwar selber seine Kinder noch zu Nikolaus beschenkt – von den Geschenken gibt es Rechnungen –

Flocke (zu Wolle): … vielleicht sollte ich doch meine Müller-Kassenzettel nicht immer alle gleich wegschmeißen …?

Huf (weist Flocke streng mit Blicken zurecht): aber eigentlich wollte er ja die ganze Aufmerksamkeit auf den Heiligen Christ lenken, den ein „Christkind“ symbolisierte …

Fixi: … beziehungsweise noch symbolisiert.

Wolle (leise zu Flocke): Jedenfalls ist mir gerade klar geworden, warum die alle gekaufte Ware darauf immer so präzise beschreiben.

Huf: Übrigens fangen jetzt, nachdem das Christkind als kleines blondes Mädchen oder inzwischen als dicker Weihnachtsmann die Heilige Nacht unter seinen Geschenken begräbt, die Protestanten dort unten auch an, sich wieder auf den Nikolaus zu besinnen.

Fixi: Aber das ist eine andere Geschichte. Wir wollten vom Herrschekloes erzählen.

Huf: Der Herrschekloes kommt nicht am 6. Dezember, sondern am Mittwoch nach dem Ersten Advent. (Er macht eine Kunstpause) Merkt ihr was?

(Die Schafe schauen sich ratlos an.)

Fixi und Huf (triumphierend): Heute ist der Mittwoch nach dem Ersten Advent!

Fixi: Das heißt, wenn Heiligabend auf den 24. Dezember … quatsch! … auf den Vierten Advent fällt, fallen die Erscheinung des Nikolaus und die des Herrschekloes zusammen.

Huf: Wir fanden, dies wäre ein gutes Jahr, um davon zu berichten.

Fixi: Außerdem gibt es ein brandneues Buch: „Das große Weihnachtsbuch Thüringen. Von Ingrid und Ulf Annel (hier).

Annel & Annel, Das große Weihnachtsbuch Thüringen, Köln 2017 (Bild: emons-Verlag)

(Fixi zieht ein dickes rotes Buch aus seinem Rucksack und präsentiert es den Schafen stolz.)

Huf: Hierin haben Ingrid und Ulf Annel so einiges zum Thüringer Advents- und Weihnachtsfest zusammengetragen, von der Geschichte einiger Bräuche bis hin zu Backrezepten.

Flocke: Zeig mal her! (Sie nimmt sich das Buch und sucht die Backrezepte. Curly steckt ihre Nase mit zwischen die Seiten.)

Huf: Also der Herrschekloes, der vor allem in Oberkatz bei Meiningen, in Gethles bei Schleusingen und in Empfertshausen in Stroh gepackt mit Peitschenknall sein Unwesen treibt, hat seinen Namen natürlich trotz allem …

Wolle: … vom Nikolaus?

Fixi: Vom Nikolaus! Genau! „Herrschekloes“ ist „Herr Sente Klos“ und geht seit Mitte des 16. Jahrhunderts im Thüringer Wald und der Rhön um.

Huf: Die Herkunft des Namens wurde aber derart gründlich dem Vergessen anheim gegeben, daß sich dem Herrschekloes vor allem im 19. Jahrhundert eine „Herrschedame“ an die Seite stellte – in Sonneberg auf die Gräfin Jutta von Henneberg zurückgeführt, die der Stadt am Vorabend des Nikolaustages im Jahre des Herrn 1349 das Stadtrecht verlieh.

Wolle: Na – immerhin haben sie sich für ihren neuen Brauch um eine altehrwürdige Geschichte bemüht!

Fixi: Die Herrschedame wurde als herrische, herrschende Dame verstanden – hat aber ihren Namen von … das glaubt ihr nicht!

Huf (platzt heraus): … dem Heiligen Thomas!

(Die Schafe staunen und raunen.)

Wolle: Thomas? Wie soll das denn gehen?

Blütenweiß: Was soll der denn da?

Grauchen (ungläubig): Das glaub ich erst, wenn ich die Buchseiten anfassen kann, auf denen ihr das gelesen habt!

Fixi: Nichts leichter als das, liebe Grauchen. Hier! (Sie kramt einige Kopien eines älteren Buches aus ihrem Papierstapel und sucht nach der richtigen Textstelle. Während sie blättert): Ingeborg Weber-Kellermann hat in ihrem Beitrag (sie liest) „Herrscheklas und Herrschedame. Zwei Bauchgestalten der Weihnachtszeit …

Huf: Brrrrauchgestalten … nicht: Bauchgestalten!

Fixi: Oh! Äh – ja! Zwei Brauchgestalten der Weihnachtszeit aus dem Thüringer Wald und ihre Geschichte“ in Band 6 des Deutschen Jahrbuchs für Volkskunde [Akademie-Verlag Berlin 1960, Teil 1, S. 91-104] das alles sehr ausführlich dargestellt. Mit schönen Orakelsprüchen, die den Wandel belegen können.

Kohle (bleibt skeptisch): Aber von Thomas zu Dame …

Blütenweiß (schüchtern): Vielleicht Vocativ? Sancte Thome?

Huf: Genau das haben wir uns auch gedacht. Und wenn man sich jetzt vorstellt, wie die Thüringer das T und das A aussprechen – dann klingen Thome und Dame eigentlich gleich.

Fixi: Wir sollten Schluß machen. Ich les noch einen frechen Kindervers vor. Da ist der Nikolaus im Grunde auch schon wieder mit dem Knecht Ruprecht verschmolzen …

Wolle: Ach ja! Den gab’s ja auch noch …

Fixi und Huf (im Chor): „Herrscheklas, Rupperich, wenn du kommst, dann zupf ich dich an deine lange Nös!“

 

ENDE

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

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