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„ … da war die Kirche noch nicht gespalten“

Wie die Heiligen den Christen in Thüringen inhaltliche
Wege der Ökumene bereiten

Zum ersten Mal fiel es mir 2007 auf. Ganz Thüringen befand sich im Elisabeth-Fieber wegen deren 800. Geburtstages, die Wartburg war in aller Munde, Thüringer Musikfestivals wie der „Güldene Herbst“ der Academia Musicalis Thuringiae knüpften mit einem Fokus auf der Musik der venezianischen Ospedali und ihrer Verbindungen nach Deutschland (Stichwort u.a. Hasse) in ihrem Programm thematisch bewußt an das in der Armenfürsorge aufgehende Leben der Thüringer Landgräfin an – und natürlich publizierten einschlägige Experten einschlägige Bücher. So beispielsweise die katholischen im Verein mit den evangelischen (Landes)Bischöfen aus Hessen und Thüringen.

„Mehr als Brot und Rosen“, eine ökumenische Publikation zum Elisabethjahr 2007 (Bild: Herder Verlag)

„Komisch“, sagte ich zum damaligen Pfarrer der Herderkirche – pardon: der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul, mit dem wir befreundet sind. „Ich dachte, die Protestanten verehren keine Heiligen.“ – „Na, doch!“ antwortete der damals frisch promovierte Theologe. „Als Vorbilder mit einem vorbildlichen christlichen Leben schon.“

Frohgemut führten denn auch die Cäcilini ein Programm aus der „Weltreise durchs Kirchenjahr“, die Heiligenviten und -legenden in Musik nacherzählt, 2014 mit großem Erfolg und viel Zuspruch in verschiedenen evangelischen Gemeinden Thüringens auf. Wir erfuhren in diesem Zusammenhang, daß Menschen wie Nikolaus, Franz von Assisi, Martin von Tours, Silvester und die drei Magier aus Ekbatana immer gehen und daß man natürlich auch die Marienfeste wie Lichtmeß, Verkündigung und Heimsuchung in evangelischen Kirchen besingen kann – stehen schließlich in der Bibel. Wenn‘s nur nicht Fronleichnam ist, oder Mariä Himmelfahrt. Aber darauf kommen wir gleich nochmal zurück.

Cäcilini Weimar: Das Lied zum Leben des Heiligen Franz von Assisi, Livemitschnitt aus dem Gottesdienst in St. Christophorus Weimar-Tiefurt am 2. November 2014

So erstaunte es mich kein bißchen, daß am vergangenen Freitag die evangelische Kirche Nermsdorf, die bislang nur Dorfkirche geheißen hatte, einen Namenspatron erhielt. Und zwar den Tagesheiligen Laurentius von Rom. Unter großer Beteiligung aus unserer Pfarrei – denn Nermsdorf liegt auf dem Gebiet von Herz-Jesu Weimar – wurde die Widmung der Kirche in einem ökumenischen Gottesdienst begangen. Ich freute mich, waren mir doch im Verlauf des vergangenen Jahres immer wieder Zeitungstexte aufgefallen, in denen die Hinwendung der Weimarer Pastoren zu den Vorbildfiguren, die wir Katholiken als Heilige verehren und um das stellvertretende Gebet bitten, sinnfällig wurde. So stand, nach etlichen Jahren Luther-und Katharina-Feier auf dem Herderplatz, ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2017 der Pfarrer der Stadtkirche zum Martinsumzug am 10. November in einem halben Mantel auf der Bühne und erinnerte an Martin von Tours. Man hatte den Kiefer gerade wieder zugeklappt, da legte unser Superintendent nach und verfaßte am Vorabend des Ersten Advent in der Lokalzeitung sein Wort zum Sonntag im Gedenken an die Heilige Barbara: „Ich gehe am Montag in unseren Garten und schneide einen Zweig vom Kirschbaum. Dann stelle ich den Zweig in die Vase. Am Heiligen Abend soll er blühen.“ Am 6. Januar schrieb derselbe Superintendent an gleicher Stelle nicht etwa von den Weisen aus dem Morgenlande, sondern explizit von den „Heiligen Drei Königen“.
Ich las das als ermunternde Zeichen einer wirklich inhaltlich ausgerichteten Ökumene, eines sich aufeinander zu Bewegens in Glaubensdingen.

Den Vogel schoß jetzt allerdings die evangelische Wochenzeitung „Glaube und Heimat“ ab (die warum auch immer ab und zu in unserem Briefkasten landet – vergelt’s Gott dem netten Spender). Eine Redakteurin macht darin (Nr. 32 vom 12. August 2018, S. 6) auf Wallfahrt, ökumenischen Gottesdienst und Andacht zum Gedenken an den dieses Jahr ungefähr 1500. Geburtstag der letzten Thüringer Prinzessin und Heiligen Radegunde aufmerksam. Aber zwei Seiten vorher lesen wir bereits unter der Überschrift „Das Leben feiern: Mariä Himmelfahrt“ eine Würdigung dieses „durch und durch katholischen Feiertags“ (ebd). Neben dem passenden Gemälde Simon Vouets erläutert Fabian Vogt in seiner Kolumne „Credo. Woran ich glaube“ die Wertschätzung der Frauen durch Christus im allgemeinen, die Wertschätzung Mariens in den frühchristlichen Gemeinden im besonderen sowie die Entstehung dieses alten Kirchenfestes. Speziell dieser Feiertag könne, so Vogt abschließend, „auch den evangelischen Glaubenden Mut machen, die göttliche Idee von der Gleichheit aller Menschen immer neu zu realisieren.“

Wie wunderbar, vielen Dank!

Während wir auf das Fest Mariä Himmelfahrt noch bis Mittwoch warten müssen, war schon heute der Einladung zum Gottesdienst zu Ehren der Heiligen Radegunde in die kleine Kirche Sankt Lukas in Mühlberg bei Arnstadt Folge zu leisten.

Pilger der Fahrradwallfahrt nach Mühlberg beim Aufbruch Richtung Mühlburg zur abschließenden Andacht (eigenes Bild)

Der ausgesprochen gut besuchte Gottesdienst (man könnte auch sagen: Es war proppevoll bis in die zweite Empore hinauf – auch etliche Kinder dabei) wurde von Probst Stawanow (Sprengel Eisenach-Erfurt der EKM) geleitet, aber auch durch Pfarrer Scholle von katholischer Seite her eröffnet.

St. Lukas Mühlberg, Auszug der Zelebranten (eigenes Bild)

Die Predigt hielt das Geburtstagskind (das wurde alles andere als geheimgehalten und zuletzt auch dreistimmig besungen) Bischof Ulrich. Er stellte die hierzulande wohl weitgehend unbekannte Heilige vor, die ja eigentlich nicht nur in Mühlberg mit seiner Radegundiskapelle gefeiert werden sollte. Sie war die letzte Prinzessin des 531 untergegangenen Thüringerreiches. Eigentlich müßte das gesamte christliche Thüringen Kopf stehen. Aber wie gesagt: Sie ist hierzulande wesentlich weniger populär (was man auch der Seltenheit ihres Namens unter der heutigen Bevölkerung ablesen kann) als in Frankreich, wo sie das erste Frauenkloster Europas gründete – und unglaublichen Zulauf unter den jungen Frauen hatte. An ihrer weitgehenden Unbekanntheit konnte auch die Aufführung des Thürigen-Oratoriums „Radegunde“ zum Auftakt des Thüringentages in Pößneck am 26. Juni 2015 offenbar nicht wirklich viel ändern.

Das Kirchenkreisorchester sowie Mitglieder dreier Chöre (erkennbar an der wohldefinierten, aber eben unterschiedlichen Chorkleidung) unter der Gesamtleitung von Johannes Götze bei der festlichen Ausgestaltung des Gedenkgottesdienstes (eigenes Bild)

In Mühlberg, das sich mit seiner urkundlichen Ersterwähnung im Jahr 704 übrigens als ältestes Dorf Thüringens bezeichnet, und auf der nahen Mühlburg

Die Mühlburg, eine der „Drei Gleichen“ südwestlich von Erfurt (eigenes Bild)

wird Radegunde jedenfalls regelmäßig in einer eigenen Kapelle verehrt. (Eigentlich, wie vor der Tür zu lesen ist, am Sonntag nach dem 13. August, ihrem eigentlichen Todestag. Aber wenn der Bischof Geburtstag hat und das gerade mit dem Sonntag so schön paßt, muß man die Feste natürlich feiern, wie sie fallen 😉 ).

Die zum 1400. Todestag der Heiligen Radegunde 1987 errichtete Gedächtniskapelle mit einer Statue von Heino Gloystein Wiefelstede aus dem Jahr 2009 (eigenes Bild)

Die Kirche in Mühlberg ist täglich von 8-18 Uhr geöffnet, und man wird am Eingang zur Radegundiskapelle auch noch an den Ursprung einer der bekanntesten Hymnen der Kirche erinnert: Vexilla Regis des Venantius Fortunatus.

Im Vorraum von St. Lukas Mühlberg (eigenes Bild)

Mit diesem Gesang wollen wir für heute schließen. Enjoy! 🙂

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Die Überschrift ist ein Zitat aus der Predigt von Bischof Ulrich zur Radegundenwallfahrt in St. Lukas Mühlberg am 12. August 2018. Er charakterisierte mit diesen Worten die Zeit, aus der die Heilige stammte. Zwar sollte man in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, daß das Thüringer Königsgeschlecht dem Arianismus anhing, was damals eine dramatische Spaltung darstellte. Bischof Ulrich wollte aber offenbar mit dieser Formulierung das ökumenisch-einigende Potential betonen, das die Heiligengestalten bergen.

4 Trackbacks/Pingbacks

  1. Pulchra ut Luna › Mariä Himmelfahrt – Das Lied zum Tage on Mittwoch, 15. August 2018 um 12:13

    […] vor kurzem (hier) angekündigt, gibt es („natürlich“ ? ) zum heutigen Hochfest (und seinem Oktavfest) ein […]

  2. Pulchra ut Luna › Atta unsar on Samstag, 25. August 2018 um 19:25

    […] Thüringens nicht irrelevant ist. Um nicht zu sagen: Weil Radegunde (vgl. jüngst erst auch hier) dieses Atta unsar gebetet haben könnte. Ihre Tante, an deren Hof die kleine Prinzessin nach dem […]

  3. […] und der protestantischen Konfession darstellen, haben wir anläßlich der Radegunde-Wallfahrt an dieser Stelle ja jüngst erst diskutiert. Er taucht im Ökumenischen Heilgenlexikon auf und firmiert neben den […]

  4. Pulchra ut Luna › Mühlberg 1547 on Montag, 19. November 2018 um 10:59

    […] – zumindest für die mir bekannten evangelischen Funktionsträger scheint es zu gelten, das sagte ich ja […]

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