Die Cäcilini singen morgen (26. August 2018) im Hochamt
Übersetzungen der Bibel (wie wir heute sagen) hat es ja immer gegeben. Das fängt im frühen 3. Jh. v. Chr. mit dem Pentateuch an, der durch eine Gruppe von Gelehrten in Alexandria ins Griechische übertragen wird – der Grundstock der bis ins erste nachchristliche Jh. hinein entstehenden sogenannten „Septuaginta“. 70 Gelehrte sollen sich, einem fiktiv-zeitgenössischen Bericht, nämlich dem „Brief des Aristeas“, zufolge zur korrekten Übersetzung abgestimmt haben. Die Geschichte, die sich im Laufe der Zeit entwickelte und nach der die 70 vollständig unabhängig voneinander zum identischen griechischen Wortlaut fanden, ist allerdings viel zu schön, um nicht ebenfalls weitererzählt zu werden. (Vgl. hierzu ausführlich Zur Legende von der Übersetzung der Septuaginta, in: Septuaginta deutsch, hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2009, S. 1503-07).
Lateinische Bibelübersetzungen ließen nicht allzulange auf sich warten. Als sich Hieronymus im Auftrag von Papst Damasus im späten 4. Jh. an die (übrigens erst nachmittelalterlich dann so bezeichnete) „Vulgata“ machte, ging es bereits um die Revision konkurrierender lateinischer Übertragungen.
Noch vor Hieronymus setzte sich ein gotischer Bischof hin, um uns mit seiner Bibelübersetzung das älteste germanische Sprachdenkmal zu hinterlassen: Die nach ihm benannte „Ulfilas“. Wulfila, so sein eigentlicher Name, lebte von ca. 311 bis 383 und wurde um das Jahr 340 von Eusebius von Nikomedia in Antiochia zum Bischof geweiht (mithin von demselben Reichsbischof Konstantinopels, der – entgegen der Legende erst auf dem Totenbett im Jahre 337 und noch dazu im arianischen Glauben – Kaiser Konstantin den Großen getauft hatte). Anders als seine Kollegen hatte Wulfila, bevor er seine Übersetzungsarbeit beginnen konnte, zunächst einmal die Voraussetzungen seiner Niederschrift zu schaffen: Die Schrift. Eine gotische Schrift.
Wie man am Schriftbild unmittelbar sieht, bediente er sich dabei des griechischen Alphabets (dessen Buchstaben er zum Teil mit abweichenden Lauten belegte) und durchsetzte es mit germanischen Runen – etwa dem „Thorn“ für ein stimmloses „th“ (wie im Englischen).
Die erhaltenen Teile der „Ulfilas“ beinhalten auch das sechste Kapitel des Matthäus-Evangeliums und hierin die Verse 9-13: Das vollständige Vater Unser – sogar mit dem in Vers 13 hinzugefügten „Denn dein ist das Reich …“ Hören Sie mal:
Na, bravo! Werden Sie denken. Veräppeln kann ich mich selber! Woher will er denn wissen, wie man die Worte ausspricht, hm? Hat er eine CD von damals gefunden?
Das ist in der Tat bei Codex-Sprachen (den früher sogenannten „toten Sprachen“) immer die Krux – aber in diesem Fall durch die Bekanntheit der Textvorlage wohl mit überschaubarem Aufwand zu lösen gewesen. Der Schlüssel zu den Aussprachefragen sind natürlich die Eigennamen und Lehnwörter, die zeitgleich in anderen Schriften und Sprachen überliefert sind. Wenn beispielsweise im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums steht, daß Maria nach der verstörenden Verkündigung des Engels „AileisabaiÞ“ – Elisabeth – aufsucht, wissen wir, daß ein langes offenes „e“ im gotischen als „ai“, ein langes geschlossenes „i“ als „ei“ dargestellt wird – und schon ist klar, daß das „weihnai namo thein“ – geheiligt werde dein Name – „wiichnää namo thiin“ heißen muß. (Irritierend finde ich im Zusammenhang mit den neuesten Gepflogenheiten der theologischen Forschungsliteratur, daß das „th“ am Namensende von Elisabeth durch Wulfila mit dem Thorn, also wirklich als „th“ mit Zunge zwischen den Zähnen wiedergegeben wird und heutige Wissenschaft, sogar das superauthentische „Münchner Neue Testament“, bei Elisabet – wie bei Rut, Betlehem und öfter – das „h“ wegläßt … Kann dazu jemand etwas sagen?)
Aber warum schreibe ich das alles hier überhaupt?
Weil die Cäcilini morgen, am 26. August, in der 10.00-Uhr-Messe bei Dr. Pittner in Herz Jesu Weimar neben drei anderen Liedern und Chorsätzen auch eine Vertonung des „Atta unsar“ vortragen werden.
Und warum dies? Weil das Gotische für die Geschichte Thüringens nicht irrelevant ist. Um nicht zu sagen: Weil Radegunde (vgl. jüngst erst auch hier) dieses Atta unsar gebetet haben könnte. Ihre Tante, an deren Hof die kleine Prinzessin nach dem Tod ihrer Eltern aufwuchs, war schließlich Amalaberga, eine Nichte Theoderichs des Großen. Amalaberga war aus Ravenna mit Herminafried nach Thüringen verheiratet worden, um die ostgotisch-thüringische Phalanx gegen die Franken zu festigen. Ich bin sicher, sie hat den Kindern das Vater unser beigebracht – das Atta unsar aus Wulfilas Übersetzung. (Zu Texten, Vokabular und Grammatik des Gotischen vgl. Friedrich Ludwig Stamms Ulfilas oder die uns erhaltenen Denkmäler der gotischen Sprache. Text, Wörterbuch und Grammatik, Stuttgart: Magnus o.J.)
Cornelie Becker-Lamers
PS: Ich hätte da noch was: Die „Ulfilas“ ist in einer scriptio continua verfaßt – in einer fortlaufenden Majuskelschrift, die die einzelnen Wörter nicht voneinander trennt. Ab und zu sind Punkte in den Text gesetzt, um Sinnabschnitte zu kennzeichnen. Mir ist, als hätte ich mal gelernt, dies sei die Grundlage der Verseinteilung der Bibelkapitel. Ich konnte das aber seither nicht mehr verifizieren. Es müßte in einem Aufsatz von Walter Haug stehen. Kann jemand helfen?
PPS: Wo wir schon gerade beim Fragenstellen sind hätte ich da noch eine zum Stichwort “Bibelübersetzungen” (s. erster Satz dieses Beitrags). Die Übersetzungen der Hl. Schriften des Judentums, wie sie die Septuaginta (ursprünglich) darstellt, würde ich persönlich niemals als “Bibel“-Übersetzung bezeichnen, und zwar aus Rücksichtnahme auf das jüdische Empfinden, ist doch “Bibel”, so wie ich das verstanden habe, ein historisch ganz und gar christlicher (und insofern übrigens auch u.U. anachronistischer) Begriff! Analog also zu der Vorsicht in der Verwendung des Gottesnamens, zu der Papst Benedikt vor einiger Zeit aus ebendiesem Grund der Rücksichtnahme aufgrufen hat (vgl. hier). Nach meinem Gefühl zum Glück nicht ganz ohne Erfolg.
Daß es historisch derartige Empfindlichkeiten sehr wohl gegeben hat, zeigt in Bezug auf die Septuaginta ja allein schon die Tatsache, daß das Judentum schon recht bald die Notwendigkeit empfand, sich eine andere, “neue” Textgrundlage zu schaffen, als es die Septuaginta als christlicherseits “gekapert” und von daher für sich selbst sozusagen “kontaminiert” empfand. (Ein Faktum, nebenbei, daß ich in Bezug auf die seitens der “Humanisten”, vor allem aber nicht nur “reformatorischer” Provenienz, einseitige Abwertung der griechisch-lateinischen Texttradition zugunsten der hebräischen Überlieferung für sehr betrachtungswürdig halte!).
Nun muß ich aber zur Kenntnis nehmen, daß auch jüdische Gelehrte immer wieder von sich aus “Hebräische Bibel” schreiben, so, als ob es ihnen offenbar nichts ausmache.
Weiß dazu jemand etwas? Hat es mit unterschiedlichen Richtungen innerhalb des Judentums zu tun?
Ich finde bis auf weiteres jedenfalls, wir sollten, wenn das gemeint ist, gemeinsam von den jüdischen Hl. Schriften, vom ‘Tanach’ sprechen und dafür die notwendige Empathie und Energie aufwenden! (und nicht für so bemühte und für uns m.E. nicht “nur” traditionsferne, sondern wirklich verfälschende “Klimmzüge” wie “Erstes” Testament, wenn wir vom Alten Testament sprechen…)
Gereon Lamers
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[…] Erinnern Sie sich? Nein – das wäre auch wirklich zuviel verlangt! Vor zweieinhalb Jahren haben die Cäcilini eine Vertonung des gotischen Vater Unser im Hochamt uraufgeführt. Trotz der behutsamen Ankündigung des Zelebranten gab es natürlich die eine oder andere Irritation. Das ist aber verständlich. Schließlich haben wir nichts in einer der beiden Sprachen gesungen, die man bei einem liturgischen Auftritt Jugendlicher erwartet und kommentarlos mitzuverfolgen versucht. Sprich: Es war weder Englisch noch Swahili. Sondern gotisch. Es war der Text des Atta unsar aus der 1650 Jahre alten Bibelübersetzung des Bischof Wulfila. […]
[…] erinnern sich an das gotische Vater Unser, das die Cäcilini vor genau vier Jahren im Hochamt erstmals gesungen haben und das sich auf dem […]
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