Der Kindertag
Wenn‘s politisch wird, von der Kanzel, erkennt man ja immer gern schon mal in irgendeiner Form die jüngsten Fernsehnachrichten wieder. Nicht so in der Vorabendmesse des zweiten Sonntags der Weihnachtszeit, sprich am vorvergangenen Samstag, dem 4. Januar. Tags zuvor waren im Rahmen einer Andacht die Sternsinger in die Welt entsandt worden und darauf nahm der Zelebrant denn auch am Ende des Gottesdienstes Bezug. Da wußten wir noch gar nicht, welch unglaublicher Medienpräsenz sich die als Könige verkleideten Kinder in diesem Jahr erfreuen würden. Ich habe nicht mitgezählt – aber fünf- oder sechsmal war diese fotogene Aktion zwischen Aussendung und Einholung bestimmt in der Lokalpresse, jedes Mal mit buntem Bild: Die Sternsinger wurden ausgesandt – Die Sternsinger beim OB – Guck mal, die Sternsinger – Die ökumenische Schar der Sternsinger vor der evangelischen St.-Marien-Kirche Bad Berka – Da betreten die Sternsinger in einer langen Prozession die katholische Herz Jesu Kirche Weimar und haben in diesem Jahr allein in unserer Stadt 13.800 Euro gesammelt. Interreligiösen schulischen Projekten im Libanon kommt es in diesem Jahr zugute.
Wie gesagt, dieses Presseecho war am 4. Januar noch gar nicht absehbar, aber unser Zelebrant nahm die Aussendung der Sternsinger zum Anlaß, ein Wort zum, wie er sagte, „ideologisch motivierten“ neuen Feiertag in Thüringen zu nehmen: Seit letztem Jahr ist mit dem 20. September der Weltkindertag in Thüringen gesetzlicher Feiertag – eine Entscheidung, die aufgrund ihres Timings (kurz vor der Landtagswahl) recht schnell als Wahlkampfgeschenk entlarvt wurde.
„Der sechste Januar – das ist ein wirklicher Kindertag!“ donnerte es vom Ambo. „Denn bei keinem anderen Projekt weltweit tun Kinder so viel für Kinder wie in der Aktion Dreikönigssingen.“ In der Tat haben die Sternsinger in den letzten 60 Jahren Milliarden an Spendengeldern erbettelt und ersungen. „Der sechste Januar – das wäre ein Feiertag gewesen!“
Recht hat er, der Gute! Aber wie es so ist – siehe „Veggieday“, den man den Kantinen für die Donnerstage vorschlug (bloß nicht der traditionell fleischfreie Freitag …) – ein neuer Feiertag muß in unserer säkularen Welt offenbar so liegen, daß es ja nicht aussieht, als dürften mit dem traditionellen Datum seine christlichen Inhalte wieder ins Bewußtsein rücken.
Cornelie Becker-Lamers
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